Psychogramm unserer Gesellschaft

Buchvorstellung - 13.10.2010

Peter Stamm
Sieben Jahre

Frankfurt am Main: S. Fischer-Verlag 2009
304 Seiten
ISBN 978-3-10-075126-3


Der jüngste Roman des 1963 geborenen Schweizer Autors Peter Stamm nimmt das biblische Motiv der Dreiecksbeziehung zwischen dem Stammvater Jakob und seiner geliebten, schönen Frau Rahel sowie der eher unattraktiven, weniger geliebten Frau Lea. Stamm wandelt das biblische Motiv indes um, indem er die Geschichte von Alex, der mit seiner bildhübschen, strebsamen und ordentlichen Frau Sonja zusammenlebt, erzählt.

Vor Zeiten sind sie durch die eher verhaltene Mithilfe von Antje, Sonjas um einige Jahre älterer Freundin, zusammengekommen, die jetzt, am Ende der Beziehung von Sonja und Alex auch wieder der Katalysator der Trennung der beiden wird. In rückblickenden Erzählungen gibt Alex Antje Einblicke in die Geschichte seiner Ehe. Dabei kommt auch die nie ganz abgeschlossene Beziehung zu Iwona, einer in Deutschland lebenden Polin, zur Sprache. In unregelmäßigen Abständen zieht es Alex immer wieder zu Iwona, die ihn in einer hingebungsvollen aber nichts zurückfordernden Weise liebt. Lange schon hat sie Alex im Blick gehabt, bis er sie eines Tages eher unfreiwillig anspricht. Doch da Iwona nicht wirklich hübsch und alles andere als Alex´ Typ ist, bleibt es zwischen ihnen bei punktuellen erotischen Treffen, die von Alex ausgehen. Am Ende bekommt Iwona ein Kind von Alex, das dieser zusammen mit seiner Frau Sonja, die ohnehin nur ihren beruflichen Erfolg im Sinn hat, adoptiert und aufgezogen wird. Als das Architekturbüro, das Sonja und Alex führen, Insolvenz anmelden muss, zerbricht ihrer beider Ehe und Sonja geht nach Marseille. In der eigenwilligen Ménage à trois hat Iwona immer das Nachsehen und ist im Grunde so etwas wie das geborene Opfer. Sie bleibt Alex gegenüber passiv und fordert von ihm nicht, dass er sich zu ihr bekennt, liebt und verehrt in aber als „ihren Mann“. In einem Fotoalbum hat sie nicht nur jeden Zeitungsausschnitt über ihn aufgehoben, sie bewahrt darin auch Fotos von Orten auf, an denen sie mit Alex gewesen ist oder an denen er lebt.

Alex bringt seine Überlegungen über Iwona im Laufe des Romans auf die Maxime: „Du bist, was du liebst, nicht wer dich liebt.“ Während Sonja den Aufstieg repräsentiert, ist Iwona Repräsentantin des Ausstiegs zurück in die kleinbürgerliche Welt von Alex´ Kindheit mit ihren klaren Regeln und ihrer Einfachheit. „So beschränkt sie gewesen war, schien sie mir doch aufrichtiger und realer“, zieht Alex Bilanz. Meiner Ansicht nach hat Peter Stamm in seinem wunderbaren Roman auch ein Psychogramm unserer von wirtschaftlichen Interessen getragenen Gesellschaft vorgelegt, in der Liebe und Partnerschaft immer mehr zu – im doppelten Sinne des Wortes – „unberechenbaren“ Größen werden.

Thomas Meurer (+)
Buchtipp des Monats September 2009 bei http://www.theologie-und-literatur.de