Kindheit im katholischen Köln

Buchvorstellung - 28.09.2010

Hanns-Josef Ortheil
Die Erfindung des Lebens

München: Luchterhand-Verlag 2009
592 Seiten
ISBN 978-3-630-87296-4

Vielleicht ist der Beginn der Literatur ja der, dass jemand seine und eben nicht nur eine Geschichte erzählt. Hanns-Josef Ortheil, „altgedienter“ Schriftsteller und Professor für kreatives Schreiben legt mit seinem jüngsten Roman „Die Erfindung des Lebens“ eine autobiographisch gefärbte Erzählung vor, in deren Mittelpunkt Johannes Klatt steht, der fünfte Sohn eines Ehepaars, das vier Kinder in der Kriegs- und Nachkriegszeit verloren hat.
 

Im Köln der fünfziger Jahre wächst der stumme Johannes als Sohn einer stummen Mutter auf, die – wie sich im Verlauf des Romans herausstellt – über den Tod ihrer vier Söhne verstummt ist. Es bedarf des Vaters und eines schulischen Zwischenfalls, damit Johannes zu seinem ersten Wort, zu seinem ersten Satz findet.

Erzählt wird die Geschichte des Johannes Klatt aus der Perspektive des älteren, inzwischen zeitweise in Rom lebenden Schriftstellers, der eigentlich Pianist werden wollte (auch hier sind autobiographische Übereinstimmungen zum Leben Ortheils anzutreffen). Das hat Vorteile, weil damit ein Vergleichen und Systematisieren von Szenen möglich wird, ein Suchen nach Lebensstrukturen; das hat aber auch Nachteile, weil dadurch das Erzählte hin und wieder sehr museal und leblos wirkt. Unter theologischem Aspekt ist Ortheils Buch insofern von hohem Interesse, weil es der Blick auf eine Kindheit im katholischen Köln ist, der nicht selten auch Anstoß zu religionspädagogischen Fragestellungen gibt.

So erzählt Ortheil beispielsweise, wie Johannes Klatt die sonntäglichen Gottesdienste im Kölner Dom erlebt und was es für dieses damals stumme und eher zurückgezogen lebende Kind bedeutet hat, zu einer solchen Gemeinschaft zu gehören. Oder es gibt eine wunderbare Stelle über das Beten vor einem Marienbild: „Wenn wir uns zum Gebet vor dieses Bild knieten, ereignete sich jedes Mal etwas Merkwürdiges. Schaute ich nämlich konzentriert auf das Bild, wurde die Kirchenstille ringsum um einige Grade stiller, nur noch die feinsten Geräusche waren zu hören, das leise Knistern der brennenden Kerzen oder ein Holzknarren. Irgendjemand hatte den Finger auf den Mund gelegt und allem Lebendigen befohlen, stiller und immer stiller zu werden.“ (54) . Dass Hanns-Josef Ortheil erzählen kann, das hat er schon häufiger unter Beweis gestellt. Hier bekommt sein Erzählen beinah etwas Altersweises, Lebenskluges und – ja, auch das – etwas Religiöses.

Thomas Meurer (+)
Buchtipp des Monats Januar 2010 bei http://www.theologie-und-literatur.de