Melancholie nach dem Prager Frühling
Buchvorstellung - 30.10.2010
Alain Claude Sulzer
Privatstunden
Frankfurt am Main: Suhrkamp-Verlag 2009
237 Seiten
ISBN 978-3-518-46111-2
Ende der 60er Jahre, vermutlich nach dem Prager Frühling, kommt ein junger Osteuropäer namens Leo nach Deutschland. Er spürt die Fremdheit und Kälte seines Zufluchtslandes nicht zuletzt auch in der Sprache, die ihm nicht recht von den Lippen kommen will. Durch eine schicksalshafte Vermittlung nimmt er Privatstunden in deutscher Sprache bei der 37jährigen Martha.
Beide kommen sich nach und nach näher, verlieben sich und führen - bis Leo ohne großen Abschied nach Amerika geht - ein Verhältnis außerhalb der Ehe Marthas, von der nur ihr sechzehnjähriger Sohn etwas ahnt. Was Leo bei seinem Weggang nicht weiß, ist, dass Martha ein Kind von ihm erwartet. Alain Claude Sulzer, 1953 geboren und in Basel (also nicht weit von Karlsruhe) lebend, ist ein Meister dieser höchstsensiblen Themen, die er so zu erzählen weiß, dass man unweigerlich mitgerissen wird und mehr erfahren will. Und Sulzer beherrscht das Genre Melancholie wie kein Zweiter. Die Stimmung, die seine Texte erzeugen, haben etwas von einem sonnigen Herbsttag, der aber auch schon Abschied und Kälte spürbar macht. Übrigens: Sulzer ist Träger des Hermann-Hesse-Preises 2009.
Thomas Meurer (+)
PH Karlsruhe, Buchtipp des Monats November 2009