Thorsten Bohl/ Katja Kansteiner-Schänzlin/ Marc Kleinknecht/ Britta Kohler/ Anja Nold (Hg.)
Selbstbestimmung und Classroom-Management
Empirische Befunde und Entwicklungsstrategien zum guten Unterricht
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2010
264 Seiten
ISBN 978-3-7815-1724-0
Die vorliegende Publikation dokumentiert und ergänzt die Ergebnisse einer Tübinger Tagung zum Thema „Forschung für den Unterricht - Zwischen Selbstbestimmung und Classroom-Management“. Die Autoren und Autorinnen kommen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen aus denen sie ihren je spezifischen Blick auf die zunächst gegensätzlich erscheinenden Begriffe werfen. Konnotiert man den Begriff Selbstbestimmung vorwiegend mit reformpädagogischen und gesellschaftskritischen Ansätzen, löst Classroom-Managment eher Assoziationen aus, die eine begriffliche Nähe zu Regelungen und Handlungsanweisungen für die Unterrichtsgestaltung haben, vor allem auch im Sinne eines störungspräventiven und lerneffizienten Arrangements.
Die Verlagsankündigung lobt, dass diese aus unterschiedlichen pädagogischen und wissenschaftlichen Traditionen entlehnten Begriffe erstmals explizit aufeinander bezogen werden.
Die Herausgeber selbst machen das schon im Titel deutlich, der das Tagungsthema auf die Konjunktion „und“ fokussiert. Damit soll herausgestellt werden, dass die Forschungsgruppe um Prof. Bohl als ihren zentralen Untersuchungsgegenstand sieht „reformpädagogische Gedanken und Konzepte mit Befunden der empirischen Unterrichts-, Schul- und Bildungsforschung in Beziehung zu setzen – sowohl in Forschungsprojekten als auch in Beratungsaktivitäten, etwa im Bereich der Unterrichtsentwicklung.“
Als logische Konsequenz eines solchen Ansatzes steht die Kommunikation mit Praktikern und Multiplikatoren und mündet z.B. in Arbeitszusammenhänge wie die hier zugrunde liegende Tagung und deren Dokumentation.
Die Publikation präsentiert fünf Teile, die von einer Einleitung und einem Fazit umrahmt sind. Im ersten Teil schafft Thorsten Bohl begriffliche Klarheit. Er nähert sich zunächst den Begriffen einzeln und gibt die Forschungslage in groben Zügen wieder, eher er die Zusammenführung wagt und an vier Beispielen entfaltet. Dabei weitet er die Begriffsverständnisse und sieht in der Verbindung dann Synergien, wenn eine Zusammenführung über Begriffe wie „Allgegenwärtigkeit“ oder „inhaltliche Strukturierung“ gewagt wird. Hier verändere sich, so Thorsten Bohl, der Blick auf Unterricht.
Ein Blick auf Finnland und Kanada ergänzt den ersten Teil.
In den anderen Teilen geht es um Didaktische Konzepte (2.), Öffnung von Unterricht (3.), Sozial- und Aktionsformen (4.) und Aufgaben (5.). Die je konkreten Sichtweisen, unter denen das Spannungsfeld Selbstbestimmung – Classroom-Management beleuchtet wird, reichen von dialogischem Unterricht, Portfolioarbeit, Wochenplanarbeit, Gesprächsführungsmethoden, Gruppenunterricht bis hin zu unterschiedlichen Aufgabenformaten – um nur einige zu nennen. Allen Autoren/innen gelingt es, sowohl didaktische als auch methodische Entscheide zur Organisation von Lernprozessen unter dieser Perspektive zu beschreiben und zu bewerten. Dabei wird deutlich, von welchem der beiden Begriffe aus sie sich dem je anderen nähern – auch wenn die ursprünglichen Begriffe mitunter gar nicht explizit genannt sind - und zu welchem Resultat sie für ihre konkreten Arbeitszusammenhänge kommen.
Das besondere Verdienst der Herausgeber ist es, im abschließenden Fazit noch einmal die Einzelbeiträge zu kommentieren und zu strukturieren. Dabei zeigen sie auf, dass in der Bewertungsebene darauf zu achten ist, welches Verständnis der polaren Begriffe zu Grunde liegt und aus welcher Provenienz heraus die Autoren/innen ihren Blick werfen. In einem zweiten Kapitel machen die Herausgeber zusätzlich deutlich, dass aus empirischer (Forschungs-)Sicht zwischen Makro- und Mikroebene zu unterscheiden ist. Sie bieten ein vereinfachtes Schema für die didaktische Reflexion an und belegen, inwieweit „Mikroprozesse auf einer Tiefenstrukturebene entscheidenden Einfluss auf ein erfolgreiches Lernen haben.“
Ihren abschließenden Blick auf Lern-Lernprozesse, in dem sie den Untertitel der Publikation noch einmal gesondert betrachten „Empirische Befunde und Entwicklungsstrategien zum guten Unterricht“, widmen sie dem Verhältnis von Lehren und Lernen und warnen vor einem Lehr-Lern-Kurzschluss. Egal aus welcher Perspektive, der des Lernangebotes und der der Lerneraktivität, ist von einer kausal-mechanistischen Schlussfolgerung abzuraten. Ihrer Auffassung nach ist „von verschiedenen wichtigen und unterschiedlich komplexen Qualitätsdimensionen (z.B. Klassenführung) auszugehen, die je nach Lernziel und Klassensituation kombiniert werden können und Angebot und Nutzung (möglichst) in Einklang bringen. Dabei gibt es verschiedene Wege zum guten Unterricht, jedoch keine beliebigen.“
Frank Wenzel