Entstehung des biblischen Kanons

Buchvorstellung - 29.04.2010

Bernd Janowski (Hg.)
Kanonhermeneutik
Vom Lesen und Verstehen der christlichen Bibel (Theologie interdisziplinär; 1)
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft 2007
161 Seiten € 24,80
ISBN 978-3-7887-2216-6

Dass biblische Exegese und Theologie ein Feld ist, auf dem sich viel bewegt, seit „Kanon“ zu einem Schlüsselbegriff in der neueren Bibelauslegung geworden ist, zeigt das fast gleichzeitige Erscheinen zweier Sammelbände (Ballhorn/Steins 2007; Janowski 2007), die dieses Phänomen in verschiedene Perspektiven hinein beleuchten. Der hier zu besprechende von dem Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski herausgegebene Band „Kanonhermeneutik. Vom Lesen und Verstehen der christlichen Bibel“ beinhaltet die sechs Vorträge, die im Sommer 2006 auf einem theologisch-interdisziplinären Symposion zum Thema „Kanonhermeneutik“ an der Universität Tübingen gehalten wurden.
 

Gleichzeitig eröffnet dieser Sammelband die neue Reihe THEOLOGIE interdisziplinär. Die Beiträge thematisieren ausgehend von der biblischen Exegese den Stand der kanonhermeneutischen Debatte und die Konsequenzen und Perspektiven, die sich daraus für andere theologische Disziplinen ergeben. Im Anhang des Bandes befindet sich eine umfassende interdisziplinäre Bibliographie zum Themenkomplex „Kanonhermeneutik“.
Einen informativen Überblick über „die Kanonhermeneutische Debatte seit G. v. Rad“ gibt der Reutlinger Alttestamentler Jörg Barthel im ersten Beitrag. Nach einer Darstellung der im Hintergrund der Kanondebatte stehenden Entwicklungen und Fragstellungen und einer Definition, was unter „Kanonhermeneutik“ zu verstehen ist, beschreibt Barthel zunächst den Ansatz von B.S. Childs als dem Inspirator der kanonischen Bibelauslegung. In Beziehung und Abgrenzung dazu präsentiert er den Ansatz von Rolf Rendtorff als dem ersten Protagonisten einer kanonischen Theologie des AT im deutschsprachigen Raum und daran anschließend den Ansatz von Georg Steins als dem führenden deutschsprachigen Vertreter einer (postmodernen) kanonisch-intertextuellen Lektüre im Rahmen einer rezeptionstheoretisch orientierten Kanonhermeneutik. Das Arrangement der Präsentation könnte den Eindruck erwecken, Rendtorff werde hier als der biblische Theologe vorgestellt und Steins im Kontrast dazu in erster Linie als Methodiker. Das würde vor allem Steins nicht gerecht, der für seinen eigenen Ansatz von Childs ausgehend betont, dass canonical approach ein hermeneutisches Basiskonzept ist, das in eine biblische Theologie mündet, und demgegenüber sei die Methodenfrage nachzuordnen. – Alle drei Ansätze werden einer kritischen Würdigung unterzogen: Barthel benennt einerseits Fortschritte, die durch den jeweiligen Ansatz erreicht werden und legt durch engagiertes und kritisches Nachfragen problematische Punkte offen. Auf diese Weise bietet Barthel sowohl eine Bestandsaufnahme als auch Anstöße zum kritischen Weiterdenken. Eine besonders lohneswerte Perspektive zum Weiterdenken eröffnet Barthel durch das Einbeziehen des französischen Philosophen und Hermeneutikers Paul Ricœur in die kanonhermeneutische Debatte. Ricœur kommt nicht von der Theologie und ist auf dem Feld der philosophischen Hermeneutik führend. Dadurch wird eine Möglichkeit des Dialoges mit anderen Kultur- und Geisteswissenschaften eröffnet.

Eva-Martina Kindl

Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 9/2009