Frauen in der Bibel

Buchvorstellung - 08.03.2010

Eva Ebel
Lydia und Berenike
Zwei selbständige Frauen bei Lukas
(Biblische Gestalten, 20)

Leipzig : Evangelische Verlagsanstalt 2009
208 Seiten€ 16,80
ISBN 978-3-374-02681-4

Eva Ebel hat die Reihe „Biblische Gestalten“ um einen gehaltvollen Band mit einer originellen Idee bereichert: Mit Lydia, der gottesfürchtigen Heidin, die sich nach Apg 16 von Paulus in Philippi taufen lässt und so zur ersten Christin Europas wird, sowie Berenike, der jüdischen Angehörigen der herodianischen Herrscherdynastie und Mitadressatin der letzten Rede des Paulus in Caesarea Maritima (Apg 25,13-26,32), portraitiert sie zwei ganz unterschiedliche Frauen aus der Apostelgeschichte.

Dabei skizziert sie auf Grundlage einer aufmerksamen Textlektüre sowie unter Beizug sozialgeschichtlicher, archäologischer und schriftlicher Quellen – soweit möglich – die Lebenswege der beiden Frauen und diskutiert an ihrem Beispiel, für welche antiken Frauen das frühe Christentum attraktiv sein konnte und für welche eher nicht.
Lydia wird in Apg relativ ausführlich erwähnt, begegnet sonst aber in keiner anderen frühchristlichen oder sonstigen antiken Quelle, nicht einmal in den Paulusbriefen. Wegen ihrer exemplarischen Bedeutung für die herausragende Rolle von Frauen im frühen Christentum wurden die Lydia-Traditionen der Apg in den letzten Jahrzehnten ausführlich untersucht und auch populärwissenschaftlich sowie bibelpastoral aufbereitet. Im ersten Teil ihres Buches skizziert Ebel zunächst die gängigen Forschungspositionen zu ihrem Namen („die Lydierin“, 25-29) und zur ungeklärten Frage, ob Lydia ev. eine freigelassene Sklavin ist, sowie sozialgeschichtliche Hintergründe zum Purpurgewerbe (29-33). In der ebenfalls unsicheren Frage bzgl. Lydias aktueller sozialer Stellung als Purpurhändlerin vertritt Ebel eine vermittelnde Position: „Während die Angehörigen der lokalen römisch geprägten Oberschicht in Philippi Lydia wohl kaum für eine ihnen adäquate Gesellschaft halten mögen, werden andere Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt dieser Frau vermutlich mit Respekt begegnen“ (32f). Ausführungen zur römischen Kolonie Philippi (33-42) bilden dann den Hintergrund, vor dem Ebel sorgfältig und unter Beizug historisch-archäologischer Zusatzinformationen die Begegnung der Gottesfürchtigen Lydia mit Paulus an der Gebetsstätte am Fluss bis hin zu ihrer Taufe und der Taufe ihres Hauses nach Apg 16 nachzeichnet (42-62). Ebel betont, dass Lukas Lydia nicht als Verkünderin des Evangeliums, sondern als Gastgeberin der Missionare Paulus und Silas und der entstehenden Hausgemeinde darstellt, weist aber ihrerseits darauf hin, dass Lydia „aufgrund ihrer zweifachen herausragenden Stellung als Erstbekehrte und Gastgeberin zweifellos zunächst die führende Position innerhalb der neu entstehenden Gemeinschaft“ innegehabt habe (61). Im abschliessenden Kapitel (62-76) bezieht Ebel den paulinischen Phil und den Brief des Polykarp an die Gemeinde in Philippi (1. Hälfte des 2. Jh.s) in ihre Untersuchung ein. Dabei sieht sie in der Tatsache, dass Paulus in Phil 4,2f Evodia und Syntyche ausdrücklich als Mitarbeiterinnen in der Evangeliumsverkündigung würdigt, ein Indiz dafür, dass die Nichterwähnung Lydias im Phil jedenfalls nichts mit ihrem Geschlecht zu tun hat – sie könnte z.B. in der Zwischenzeit auch wieder aus Philippi fortgezogen sein. So gewichtige Rollen, wie sie Lydia nach Apg 16 in der Phase der Gemeindegründung innehatte, sieht Polykarp, der Bischof des kleinasiatischen Smyrna, für Frauen dagegen nicht mehr vor. Für Ebel trägt Polykarp mit seinem Brief „von aussen ein konservatives Frauenbild an die Gemeinde heran, von dem nicht bekannt ist, in welchem Umfang es der Realität in Philippi entspricht und welche Reaktionen es bei seinen Adressatinnen und Adressaten auslöst“ (72). Unter Hinweis auf die Blütezeit des Dianakultes in Philippi gerade bei Frauen im 2. Jh. stellt Ebel abschliessend die Frage, ob die christliche Gemeinde für Frauen durch eine mögliche Rückkehr zu konservativen Rollenbildern „gegenüber den Zeiten von Lydia, Syntyche und Euodia deutlich an Attraktivität verloren hat“ (76).
Im zweiten Teil ihres Buches wendet sich Ebel Berenike zu. Berenike ist Jüdin, Angehörige der schwerreichen herodianischen Herrscherdynastie, war dreimal mit sehr einflussreichen Männern aus der Provinzialaristokratie verheiratet (zweimal verwitwet, einmal geschieden) und lebte dann mit ihrem Bruder, König Agrippa II., zusammen (was zu Gerüchten über ein inzestuöses Verhältnis führte). Nach Apg 25f ist sie um 58/59 n. Chr. Mitadressatin der letzten Rede des Häftlings Paulus in Caesarea Maritima. Später (ab etwa 67/68 n. Chr.) war sie Partnerin des Titus, des Eroberers Jerusalems und römischen Thronfolgers. Ab 75 n. Chr. war sie in Rom Titus’ Lebensgefährtin, bis dieser die Beziehung – anscheinend aus Gründen der Staatraison und „gegen seinen und gegen ihren Willen“ (Sueton) – nach seinem Herrschaftsantritt 79 n. Chr. beendete. Die Aufsehen erregende Liebesbeziehung zwischen dem römischen Thronfolger und der jüdischen Prinzessin/Königin war Gesprächsstoff im ganzen Römischen Reich, und auch vielen LeserInnen der Apg ca. 85-90 n. Chr. wird Berenike noch in Erinnerung gewesen sein. In Apg 25,13-26,32 bleibt Berenike – anders als Lydia in Apg 16 – nahezu stumm, wird aber u.a. bei Flavius Josephus, Sueton, Tacitus und Cassius Dio erwähnt und begegnet auch in Inschriften und sonstigen archäologischen Quellen. In der biblischen und historischen Forschung führt sie eher eine Randexistenz. Ebel verortet Berenike zunächst in der herodianischen Dynastie, indem sie die anderen Mitglieder der Dynastie, die im lk Doppelwerk erwähnt sind, portraitiert (87-109), und skizziert dann, weitgehend anhand der Informationen bei Flavius Josephus, Berenikes wechselvollen Lebenslauf und ihre eigenständige, durchsetzungsfähige Persönlichkeit (109-147). Dabei geht sie auch auf die Gründe für die unterschiedlichen Berenike-Bilder in Josephus’ Hauptwerken Jüdischer Krieg und Jüdische Altertümer ein (148-153). Für die Darstellung der Berenike in der Apg vermutet Ebel, dass Lukas durch verschiedene Leerstellen im Text bewusst auf die Gerüchte über eine inzestuöse Beziehung zwischen Berenike und ihrem Bruder Agrippa II. anspielt und Berenike geradezu „degradiert“: „Berenikes Charakterisierung durch Lukas ist weit davon entfernt, ein Abbild der Charaktereigenschaften zu sein, die andere antike Schriftsteller Berenike zuschreiben. Stattdessen reiht der Verfasser der Apostelgeschichte Berenike unter die schweigenden Frauen ein, die den Worten der Männer lauschen und nicht selbst die Initiative ergreifen“ (153-161, Zitat: 161). Damit passt das Berenike-Bild der Apg wie auch das Lydia-Bild recht gut zu den „gebrochenen Konzepten“, die Sabine Bieberstein für die lukanische Darstellung von Frauen in der Jesusnachfolge herausgearbeitet hat (auch wenn Berenike nicht unter die Nachfolgerinnen einzureihen ist). Die Historizität der Szene, in der Lukas Paulus etwa im Jahr 58/59 n. Chr. vor Berenike, Agrippa II., dem römischen Statthalter Festus sowie den „Chiliarchen und den vornehmensten Männern der Stadt“ in Caesarea Maritima auftreten lässt, lässt Ebel mit guten Gründen offen (167) – wie ja auch sonst viele Traditionen der Apg aus historischer Perspektive schwer zu bewerten sind. Umso spannender wäre es gewesen, gerade diese Szene (noch) stärker aus dem literarischen Programm und dem Abfassungskontext der Apg heraus zu interpretieren: Lässt Lukas den Häftling Paulus hier vielleicht gerade deshalb (auch) vor Berenike – und damit, aus der Abfassungszeit der Apg heraus gelesen, vor der Lebensgefährtin des späteren römischen Kaisers Titus – auftreten, weil er von einem (möglichen) Auftritt bzw. Prozess des Paulus vor Kaiser Nero in Rom nichts Gutes mehr zu erzählen weiss?
Im dritten Teil ihres Buches diskutiert Ebel, inwieweit Lydia und Berenike als Repräsentantinnen für die Annahme oder Ablehnung der frühchristlichen Mission durch Frauen gelten können. Dazu zieht sie u.a. Gal 3,26-28 heran und kommt – in Übereinstimmung mit anderen Forschungen zur Frühgeschichte des Christentums – zu dem Schluss: „Für Frauen aus unteren und mittleren Gesellschaftsschichten ist die neue Religion aus sozialen Gründen attraktiver als für Frauen der Oberschicht, da sich für Frauen wie Lydia in den christlichen Gemeinden ungewohnte Möglichkeiten eröffnen, Achtung zu erfahren und gestaltend mitzuwirken. (…) Je stärker eine Frau oder ein Mann in lokale Führungsschichten oder gar leitende Kreise des Römischen Reiches eingebunden ist, desto mehr Gründe sprechen gegen eine Hinwendung zum Christentum.“ (168-179; Zitat: 176.179). Ausführungen zur Wirkungsgeschichte der beiden Frauen runden den Band ab (180-194). Indem Eva Ebel ausgerechnet Lydia und Berenike einander gegenüberstellt, die in der Apg und in anderen antiken Quellen so unterschiedlichen Niederschlag gefunden haben, hat sie eine anregende Ausgangslage für die Frage nach der Vielfalt antiker Frauenbiografien, Frauenrollen und nach der Reaktion von Frauen auf die frühchristliche Mission geschaffen. Die Sichtbarmachung dieser Vielfalt wirkt der immer noch zu oft üblichen Rede von „den“ Frauen in „der“ Antike (bzw. im NT und in den frühchristlichen Gemeinden) konstruktiv entgegen (wobei anzumerken ist, dass Frauen aus der Unterschicht und Sklavinnen, die einen grossen Teil der Frauen in den Gemeinden ausgemacht haben dürften, mit der Beschränkung auf Lydia und Berenike nicht berücksichtigt sind). Dass mit Berenike für ein breiteres Lesepublikum eine Frau wiederentdeckt wird, die sich nicht auf eine Rolle als „Glaubensschwester“ zur Begründung heutiger christlicher Identitäten reduzieren lässt, macht das Buch besonders reizvoll. Der sorgfältige Umgang mit den neutestamentlichen, althistorischen und archäologischen Quellen sowie die gut verständliche Darstellung machen den Band auch für LeserInnen ohne exegetische Vorkenntnisse fruchtbar.

Detlef Hecking

Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 1/2010