Roman über christliche Hausgemeinden in Europa

Buchvorstellung - 14.12.2009

Josef F. Spiegel
Lydia. Purpurhändlerin in Philippi
Ein faszinierender Roman über die erste Christin Europas

Leipzig: Benno-Verlag 2007
279 Seiten, € 6,50
ISBN 978-3-7462-2032-1

Josef F. Spiegel (1927-2007) war von 1971-1986 als Professor des Faches Religionspädagogik im Dienst der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn, Fachbereich Theologie tätig. Die Purpurhändlerin von Philippi hat den Religionspädagogen Spiegel so fasziniert, dass aus dieser Faszination ein Roman geworden ist. Sein biblischer Roman versteht sich als Beitrag zu einer narrativen Theologie
 

(Nachwort, 276). Die Purpurhändlerin Lydia findet in Apg 16,14.40 Erwähnung. Lydia ist kein Name im eigentlichen Sinn, sondern ein Ethnikon, d.h. sie ist die „lydische“ (Frau) oder die „Lyderin“; ihr eigentlicher Name ist nicht bekannt. Da Lydia im Philipperbrief nicht genannt wird, wird bisweilen ihre Historizität bezweifelt. Man kann hier jedoch mit Jürgen Becker konstatieren, dass „Lydia aus Thyatira wohl kaum eine bloße Erfindung der Apg [ist]. An Erstbekehrten hatte man biographisches Interesse.“ (Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 323). Spiegel nennt diese Frau in seinem Roman „Evodia“ (Wohlgeruch) nach Phil 4,2. Die Rivalität mit Syntyche, Evodias Mitstreiterin, soll für „die nötige literarische Spannung“ sorgen (Nachwort 275).

Spiegel erzählt von Evodias Suche nach Identität. Es ist die Suche einer Frau, die in einer von griechischen, römischen, thrakischen und östlichen Kulten geprägten Kultur lebt und mit Hilfe der griechischen Philosophie sowie mit Unterstützung eines Therapeuten im Asklepeion von Pergamon immer mehr zu sich selbst findet. „Die Metapher vom ‚Seidenschrei', einem technischen Terminus für die Echtheitsprüfung von Seide, weist“, so Spiegel in seinem Nachwort (276), „auf den stummen Schrei von Evodias Seele hin.“ Die Purpurhändlerin begegnet auf ihrer Suche zunächst Lukanos, um sich dann später von dem ihr zuvor angekündigten Paulus taufen zu lassen (195f): „Evodia fühlte sich von dem Bad im frischen und kalten Wasser wie neu geboren. Eine Welle des Glücks breitete sich in ihrer Seele aus. Unwillkürlich kam ihr der Traum, den sie während des Heilschlafes gehabt hatte, in die Erinnerung: Jesus Christos war nun ihr ständiger Begleiter. Er war der Eros, die ewige Schönheit, die Diotima in Platons ‚Gastmahl' besungen hatte. Evodia hatte gefunden, was sie suchte. Ein tiefer Friede und eine unbeschreibliche, stille Freude nahm von ihr Besitz.“ Spiegel gelingt ein unterhaltsamer Roman, der Einblicke in die antike Lebenswelt erlaubt und nicht nur über die Herstellung von Purpur und Seidenstoff informiert. Er entwirft ein ansprechendes Bild über die Anfänge christlicher Hausgemeinden in Europa und einer Frau, die ihrer Hausgemeinschaft vorsteht. Befremdlich mutet es allerdings an, dass der Autor den Arzt Lukanos von der Unmöglichkeit sprechen lässt, die Last der vielen Vorschriften zu tragen, die den Alltag eines Juden begleiteten, um daran dann denselben Eindruck -Evodias widerzuspiegeln (169f) – hier scheinen bedauerlicherweise die nur allzu bekannten antijüdischen Stereotype durch.

Die Stärke des Romans liegt sicherlich in der überaus sympathischen Skizzierung seiner Hauptfigur. Bevor ihr Sohn Telemachos die Rhetorenschule besucht, wird er von seiner Mutter Evodia belehrt, dass er zwar kein Lateiner sei, aber als Freier und Sohn einer philosophisch gebildeten Purpurhändlerin keinen Grund habe, sich zurückgesetzt zu fühlen. „Dein Vater war ein vermögender Purpurhändler in Thyatira, dazu noch ein anerkannter Philosoph. Deine Mutter ist hier in Philippi eine Purpurhändlerin, die die Gattinnen von hohen römischen Offizieren und Beamten zu ihren Kundinnen zählt! Von meiner philosophischen Bildung sagst du erst einmal nichts. Ich weiß nicht, wie das auf italienische Gemüter wirkt. Die sehen hier die Frauen am liebsten im Hause am Webstuhl. Das sei eine alte römische Tugend, wie sie sagen.“ (139)

Matthias Blum

Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 9/2009