Sigrid Eder
Wie Frauen und Männer Macht ausüben
Eine feministisch-narratologische Analyse von Ri 4 (HBS 54)
Freiburg/Br.: Herder 2008
384 Seiten, € 60,00
ISBN 978-3-451-29784-7
Die Erzählung von Jaël, jener Heldin, die den Hauptmann des feindlichen Heeres mit einem Pflock seines Zeltes umbringt und dadurch das Volk Israel aus feindlicher Bedrängnis errettet, gilt die Aufmerksamkeit der jungen Autorin, die derzeit am Institut für Altes Testament an der Universitär Graz tätig ist. Sie untersucht den Text von Ri 4 einem narratologischen Ansatz folgend und versucht dabei die Frage nach dem Verhältnis von Macht, Machtausübung und Gerechtigkeit hervorzuheben und auf eben diese Frage in der Folge eine Antwort zu finden.
Im 4. Kapitel des Richterbuches treten zwei Frauen und zwei Männer als Protagonisten der Erzählung auf. Die Narration ist nicht nur voller Gewalt, sondern wird auch bewusst durch das Wechselspiel der männlichen bzw. weiblichen Rollen in Bezug auf die Ausübung von Macht inszeniert. Im Hinblick auf die hermeneutische Frage zweckmäßig wählt Eder dabei neben der narratologischen Analyse (Methode) einen feministischen Zugang (Hermeneutik).
Die Analyse des Textes zeigt deutlich, dass die Trennung zwischen mächtigen, gewalttätigen Tätern und ohnmächtigen, unschuldigen Opfern nicht den im Text dargestellten Verhältnissen entspricht, sondern dass es unterschiedliche Arten und Weisen gibt, Macht auszuüben, sei es durch Handlungen oder durch Worte. Macht ist – so auch das Ergebnis der Analyse verschiedener Machtmodelle (die Autorin präsentiert vier davon: Popitz, Arendt, Foucault, Han) – ein Beziehungsgeschehen. Der narratologische Ansatz für die Analyse von biblischen Texten hilft dabei, Machtstrukturen und Machtverhältnisse sichtbar zu machen. So kommt aus der Textanalyse auch sehr deutlich hervor, dass es unmöglich ist, Macht durch Geschlechtlichkeit zu differenzieren: Es gibt keine spezifisch männliche oder weibliche Machtausübung. Die Erzählung zeigt allerdings auch auf, dass Gewalt eine für alle Beteiligten verletzende und zerstörende Kraft ist, die dem von Gott gewollten Leben entgegentritt bzw. entgegengesetzt ist.
Es ist dabei von fundamentaler Bedeutung zu beobachten, wie Macht gelebt wird. Wenn diese als Kommunikationsmedium eingesetzt wird, kann sie die positive Folge bewirken, dass sich zwischenmenschliche Verhältnisse ändern bzw. etwas auch zu Positivem gewendet werden kann. Wenn sie sich hingegen in Gewalt verwandelt, steht eher ihre negativ besetzte, Leben zerstörende Kraft im Mittelpunkt.
Die Botschaft des biblischen Textes spricht sich gegen eine derartige Gewaltausübung aus, unabhängig davon, von welcher Seite sie auch kommen mag, und optiert ganz klar für die Opfer, für die von Gewalt Bedrängten. Nichtsdestotrotz eröffnet sich aber auch die Möglichkeit für einen konstruktiven Umgang mit Macht und für eine gewaltfreie Lösung von Konflikten.
Die Arbeit von Eder bietet vor allem in der ausführlichen und sehr präzisen narratologischen Vers-für-Vers-Analyse von Ri 4 – wofür sie den bis Dato einzigen Versuch darstellt – vieles, was noch nicht gesehen wurde. Sie bezeugt eine große Aufmerksamkeit für das Wort und ein tiefes Textgefühl. Die Methodik wird nicht nur – in einer auch für Laien verständlichen Art und Weise – erklärt, sondern auch hervorragend angewendet. Die zahlreichen Resümees und Zusammenfassungen bieten dem Leser/der Leserin außerdem immer wieder die Möglichkeit, sich mit den Teilergebnissen auseinander zusetzen und diese gezielt wahrzunehmen. Sehr leserInnen freundlich sind auch die vielen Schaubilder und zusammenfassenden Tabellen, die bildlich sowohl die einzelnen Schritte der Analyse als auch z.T. ihre Ergebnisse darstellen.
Simone Paganini
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 7 (2009)