Studie zum Matthäusevangelium

Buchvorstellung - 21.11.2009

Rupert Feneberg
Die Erwählung Israels und die Gemeinde Jesu Christi
Biographie und Theologie Jesu im Matthäusevangelium

Freiburg: Herder Verlag 2009
398 Seiten
ISBN 978-3-451-30168-1

Das Werk analysiert zuerst die religionssoziologische und theologische Ausgangslage, in der das Matthäusevangelium entstand (11-95). Die entscheidende Fragestellung lautet: „In welchem Verhältnis stehen Matthäus und seine christliche Gemeinde zum jüdischen Synagogenverband?“ (41). Der Verfasser zeigt den hermeneutischen Zugang zum Evangelium im Kontext der Entstehung der heidenchristlichen Gemeinden auf. Er resümiert zunächst das Ergebnis des nach der Shoa begonnenen christlich-jüdischen Gesprächs:

Jesus ist nicht nur als Jude geboren, sondern auch theologisch immer Jude geblieben. Die überkommene Vorstellung, der „Neue Bund“ habe den „Alten Bund“ ersetzt, ist falsch. Jesus hat die Tora nicht abgeschafft oder korrigiert; sie war ihm vielmehr Gottes gegenwärtiges Wort, christlich gesprochen: sein „Evangelium“ (23). „Der Gott Jesu ist kein anderer als der Gott vom Sinai (…). Er ist schon immer ein Gott der Gnade, nicht einer Leistungs- oder Gesetzesreligion“ (24). Dass nach Ostern eine heidenchristliche Kirche entstand, gründet in Jesu „Botschaft von der außerordentlichen Liebe Gottes zu den Fremden“: zu den Sündern und Zöllnern, schließlich zu den Heiden (36). Diese ist durchaus in der Tora verankert (vgl. Lev 19, 18.33f.), wurde aber von Jesus in den Augen seiner jüdischen Gegner übertrieben und deshalb zu einer Gefahr für die jüdische Identität. Am Anfang der christlichen Kirche steht also ein innerjüdischer Konflikt „zwischen Jesus mit seinem messianischen Anspruch und den jüdischen Schriftgelehrten und theologischen Autoritäten“ (37). Zwar haben auch diese Israels Erwählung immer als Sendung für die ganze Welt verstanden, aber doch stärker an der Trennung zwischen Juden und Heiden festhalten wollen. Auf diesen Konflikt will, so Feneberg, das Evangelium des Matthäus antworten. Die neutestamentliche Forschung geht heute davon aus, dass diese Schrift von einem jüdischen Jesusanhänger mit griechischer Muttersprache um das Jahr 85 n. Chr. in Syrien verfasst wurde. Matthäus, der also der zweiten Generation der Jünger Jesu angehörte, war jüdischer Schriftgelehrter. Dass er Jesus für den Messias hielt, hat ihn nicht aus dem Judentum hinausgeführt. Allerdings bekam er zunehmend Probleme mit den Synagogengemeinden seiner Umgebung, nachdem die Mehrheit der Juden Jesus als Messias ablehnte, auch dessen Fremdenliebe, die seine Jünger zur Tischgemeinschaft mit den Heiden führte. Stärker als Markus, der als erster eine Erzählung des Lebens Jesu aus der Perspektive der Heidenfrage schrieb, versucht Matthäus, die Sendung Jesu aus der Mitte der Tora heraus abzuleiten und so die inzwischen eigenständige heidenchristliche Gemeinde an der Seite der Synagoge als „eine Zweite Erwählung“, „eine Ergänzung zum Bund Gottes mit Israel“ (84) zu deuten. Der folgende Kommentar zum Matthäusevangelium (96- 388) geht nicht Vers für Vers vor, sondern bespricht die zwei Hauptteile des Evangeliums, gegliedert in je drei Abschnitte. Hier wird die hermeneutische Grundlegung sorgfältig und sensibel konkretisiert: die Herkunft Jesu, seine Botschaft vom Königtum der Himmel, sein Konflikt mit den Pharisäern, sein Tod am Kreuz, schließlich die Sendung der Jünger zu den Heiden. Feneberg hat im Jahr 2000 in der Reihe „Herders Biblische Studien“ ein Werk zum Markusevangelium veröffentlicht, das vom selben hermeneutischen Ansatz ausgeht. Seine langjährige Erfahrung als Neutestamentler in der Lehrerbildung befähigt ihn, die theologisch grundlegenden Zusammenhänge so darzustellen, dass sein Buch für die Arbeit im Religionsunterricht exzellente Hilfen bietet.

Bruno Schmid

Quelle: Religionsunterricht heute. Informationen des Dezernates Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz 38 (2009), Heft 3, S. 40.