Josef Pichler/ Christoph Heil (Hg.)
Heilungen und Wunder
Theologische, historische und medizinische Zugänge
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007
302 Seiten
ISBN 9-3-534-20074-0
Der zu besprechende Band will sich den Wundererzählungen Jesu in „multiperspektivischen Ansätzen“ (13) nähern. Das bedeutet, dass Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu Wort kommen: Philosophie, Naturwissenschaften, Judaistik, altund neutestamentliche Exegese, systematische Theologie, Islamwissenschaft, Medizin. Gemeinsam scheint allen eine gewisse Sympathie für die Erzählungen des Neuen Testaments, ansonsten differieren ihre Perspektiven natürlich stark.
Das gerade macht den Reiz dieser Sammlung aus, die dem emeritierten Grazer Neutestamentler Peter Trummer gewidmet ist. Altbekannte Texte erscheinen plötzlich in völlig ungewohnter Beleuchtung. Drei Aufsätze, die ich besonders interessant finde, greife ich im Folgenden heraus (ohne die übrigen herabsetzen zu wollen). Zunächst zum Beitrag des bekannten Judaisten Johann Maier, „Ich, JHWH, bin dein Arzt!“. Maier weist auf die Spannung hin, dass einerseits die Medizin in der jüdischen Kulturgeschichte von jeher wichtig war, dass aber andererseits immer wieder Vorbehalte gegen die Kunst der Ärzte geäußert wurden, die auf der Überzeugung beruhten, dass Heilung allein von Gott zu erwarten sei. Wenn etwa in 2Kön 20 König Hiskija von einem lebensgefährlichen Geschwür geheilt wird, dann ist es nach 20,5 JHWH, der ihn heilt. Allerdings ist in 20,7 davon die Rede, dass auf Geheiß des Propheten Jesaja Feigenbrei auf das Geschwür gestrichen wird. In der Auslegungsgeschichte ist nun die Tendenz zu beobachten, das Feigenpflaster als medizinisches Heilmittel gegenüber einem direkten Eingreifen JHWHs abzuwerten: „Salomo b. Isaak von Troyes ([…] gest. 1105) stellte dazu fest, dass der hebräische Text frische Feigen voraussetzt, die als Pflaster schädlich seien, so dass die Heilung ein Wunder im Wunder darstellt“ (64f). Ex 15,26 („Ich, JHWH, bin dein Heilender / dein Arzt“) wurde manchmal so verstanden, wahres Gottvertrauen zeige sich darin, keinen Arzt zu konsultieren. Üblicher war allerdings die gemäßigtere Deutung: In Wahrheit ist es Gott, der die Heilung bewirkt, selbst wenn ein Arzt beigezogen wird (67).
R. von Bendemann widmet sich dem „erzählerische(n) Bild Jesu als Heiltäter im Markusevangelium“ (106). Gerade Mk bietet – im Verhältnis zum Umfang dieses kürzesten Evangeliums – außergewöhnlich viele Heilungserzählungen. Häufig geht es dabei um Krankheiten, die von antiken Ärzten als unheilbar eingeschätzt wurden. In direkte Konkurrenz zur ärztlichen Kunst gerät Jesus bei der Heilung der Frau, die an Blutungen leidet und erfolglos ihr ganzes Vermögen für Ärzte ausgegeben hat (Mk 5,25-34). Wo die Ärzte versagen, hat Jesus Erfolg, und dies, ohne es zunächst überhaupt zu bemerken. Im Kontext gelesen, wird hier die Regel von Mk 2,17 („Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“) erzählerisch bestätigt. Damit ist auch angedeutet, dass Mk Heilungen oft metaphorische Bedeutung zuschreibt. Z.B. werden die Blindenheilungen 8,22-26; 10,46-52 transparent für den Erkenntnisfortschritt der Jünger, die zunächst den Sinn des bevorstehenden Leidens und Sterbens Jesu nicht verstehen. Manche Krankheiten gehen nach Mk auf Dämonen zurück. Hier endet deshalb die ärztliche Kunst (9,28f). In der Auslegungsgeschichte wurde daraus z.B. die religiöse Diskriminierung von Epileptikern. „Insgesamt muss man die verbreitete Vorstellung in Frage ziehen, nach der die institutionelle Übernahme pflegerischer und heiltätiger Aufgaben in der Alten Kirche ein geradliniger, selbstverständlicher und unumstrittener Vorgang gewesen sei“ (125).
Eine ganz andere Perspektive vertritt der Hompöopath K. Usar. Er fragt, wie Christus medicus, also Jesus Christus als Arzt, „Ideenspender sein könnte für überfällige Korrekturen im Selbstverständnis der Medizin von heute“, und ob nicht vielleicht die Homöopathie „kraft ihrer besonderen Herangehensweise an das Phänomen Krank-Sein und Unheil-Sein eher ‚anschlussfähig’ ist an jenes Heilen, das Jesus, dem Christus notwendig vorbehalten ist“ (beide Zitate 283). Usar macht darauf aufmerksam, wie sehr Jesus Mitleidender gewesen ist und nicht von oben, sondern in engem Kontakt mit den Kranken geheilt hat. Wahrscheinlich bestand „ein besonderes Charisma von Jesus von Nazareth darin (…), ohne jede Anamnesetechnik, besser als jeder andere zu spüren, wo jeweils die tiefe Verwundung, die tiefe Sehnsucht seines Gegenübers lag. Der massive Einfluss, den die Ausstrahlung (im weitesten Sinn) des Therapeuten auf den Heilungserfolg hat, (…) ist ein überaus faszinierendes Gebiet der Forschung“ (292). Durch ihre Methode ausführlicher Patientenbefragungen, so Usar, bemüht sich heute auch die Homöopathie darum, einzelne Krankheitserscheinungen in den ge-samten Kontext der „ewige(n) Not des Menschen“ (294) einzuordnen. Diese Beispiele mögen genügen, um ein überaus facettenreiches und immer wieder überraschendes Werk der Lektüre zu empfehlen.
Thomas Schmeller
Quelle: Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung 1 (2008), Heft 2, S. 74f.