Die Idee des Fegefeuers

Buchvorstellung - 08.07.2009

Andreas Merkt
Das Fegefeuer
Entstehung und Funktion einer Idee

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005
131 Seiten
ISBN 3-534-16318-4

Gegen die landläufige Vorstellung, das Fegefeuer sei ein Kind des Mittelalters, arbeitet Merkt in seiner kurzen Forschungsschrift altkirchliche Fundamente des Vorstellungsmodells Purgatorium heraus, wobei er gut begründet den Fokus auf die nordafrikanische Theologie des 2. und 3. Jhs. legt.

Als hermeneutische Grundlage dient seine Skepsis gegenüber einer Vorgehensweise, die aus mittelalterlicher Eschatologie heraus definiert, was Fegefeuer sei, um dann auszuschließen, dass eine solche Vorstellung bereits vorher existiert haben könnte (9-13). Statt dessen legt er (10) einen offeneren Begriffsgehalt zugrunde und geht von hier aus auf Spurensuche in der Antike: „Das Purgatorium ist demnach für die Seelen derjenigen Menschen bestimmt, die letztendlich gerettet werden, aber keine vollkommene Genugtuung für ihre Sünden und Sündenstrafen geleistet haben. Sie werden zwischen dem Tod und der Schau Gottes einer Läuterung unterzogen, die mit dem Bild des Feuers beschrieben wird. In diesem ‚Fegefeuer’ sind die Seelen, da sie selbst nichts für sich tun können, auf den Beistand der Gläubigen im Diesseits angewiesen.“

Detailliert untersucht der Patrologe die Dinokratesvision der Märtyrerin Perpetua sowie ausgewählte Texte von Cyprian und Tertullian; kritisch analysiert er vorliegende Argumentationslinien der kirchenhistorischen und religionsgeschichtlichen Forschung. Gegen interessegeleitete Spekulationen, die eher ein erwünschtes Ergebnis in die Texte hinein- statt ein offenes Ergebnis aus ihnen herauslesen, kommt er nüchtern abwägend zu dem Ergebnis: Bereits im 3. Jh. finden sich Vorstellungen eines jenseitigen Leidens der Verstorbenen (I. Teil: 15-51), das nicht Ewigkeitscharakter hat, sondern einen Zwischen- bzw. Reinigungszustand beschreibt, der wenigstens teilweise als Sold der Sünde verstanden wird und auf den das Fürbittgebet der Lebenden bzw. allgemein ihre Sorge Einfluss nehmen will (II. Teil: 53-64). Es folgt als dritter Teil (65-90) eine systematische Zusammenschau unter den Aspekten Fegefeuer und Kirche, Fegefeuer und Christus, Fegefeuer und Geschichte, in der Merkt den erhobenen Befund in das zeit- und ideengeschichtliche Spektrum der Antike einbettet. Hier wird deutlich: Die Purgatoriumsvorstellung, die einerseits an bekannte Vorstellungsmuster des jüdischen und griechisch-römischen Umfeldes anknüpfen kann, andererseits aber in ihrer spezifisch-christlichen Gestalt weltbildprägend wirksam wurde (89f), kann als konsequente Fortsetzung von Bußtheologie und Ekklesiologie ins Eschaton hinein verstanden werden. Zugleich ist sie Indiz einer Egalisierung der Menschheit: Alle, ob König oder Bettler, werden unter Gottes reinigendes Feuer der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gestellt. Die Eschatologisierung des menschlichen Geschicks macht Geschichte zur heils- und ewigkeitsrelevanten Spanne; sie schafft einen Individualisierungsschub der Weltwahrnehmung, insofern „Heil und Unheil [...] eine Sache der individuellen postmortalen Zukunft geworden“ (84) sind; sie ermöglicht neben der synchronen auch die diachrone Ökumene; sie eröffnet schließlich eine Rechtfertigung Gottes, dessen Gerechtigkeit im Diesseits so oft in Frage gestellt scheint.

Das Büchlein richtet den Blick in die Frühgeschichte der christlichen Fegefeueridee und ermöglicht Zugänge zur theologischen Funktion dieser Idee, die oft allzu leichtfertig und zu Unrecht als überholtes Gut des ach so finsteren Mittelalters abgetan wird. Die Zuordnung von Zeit und Ewigkeit, Individual- und Universaleschatologie, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, Geschichte, individueller Freiheit und Allerlösung werden hier aus der Perspektive des Historikers beleuchtet, der damit zugleich systematische, pädagogische und pastorale Fragen anstößt. Die Studie selbst bleibt jedoch eindeutig historisch orientiert und interessiert. Merkt schreibt klar und nüchtern, übertriebene Spekulationen sind ihm fremd, immer wieder holt er solche Spekulationen anderer Forscher auf den Boden der erhebbaren historischen und textlichen Befunde zurück. Dem Nichtfachmann erschweren nichtübersetzte lateinische Zitate und der breite Einbezug der einschlägigen Forschungsliteratur in den Fließtext die Lektüre; allerdings gleicht der Autor diese Leseschwierigkeit durch gut verständliche zusammenfassende Passagen am Ende jedes Abschnitts aus.

Julia Knop

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 3, S. 133.