Hans Kessler
Den verborgenen Gott suchen
Gottesglaube in einer von Naturwissenschaften und Religionskonflikten geprägten Welt
Paderborn: Verlag F. Schöningh 2006
332 Seiten
ISBN 3-506-75666-4
Der emeritierte Frankfurter Dogmatiker gehört zu den dialogfähigsten katholischen Theologen deutscher Sprache. Sein ganzes (bisheriges) Lebenswerk ist beispielhaft geprägt von dem Gespräch zwischen Exegese und Dogmatik, die in einen schöpferischen Erschließungsprozess gebracht werden.
In dessen Mittelpunkt steht von Anfang an die Frage, was das Christusbekenntnis meine und wie es in seiner erlösenden Dynamik und universalen Geltung argumentativ und lebenspraktisch vermittelt werden könne. Entsprechend bemüht sich Kessler beispielhaft auch um eine konsequent trinitarische Entfaltung christlichen Gottesglaubens und eine dementsprechenden Glaubenspraxis in der Doppelgestalt kirchlicher Realisierung und existentieller Gestaltung. Solche Grundlinien prägen diesen Sammelband, der insgesamt 17 Beiträge meist aus den letzten zehn Jahren präsentiert und komponiert. Dass die Gliederung in sich der trinitarischen Struktur des christlichen Glaubensbekenntnisses folgt, ist keineswegs zufällig: Originell ist vor allem die imponierende Bemühung, den christlichen Schöpfungsglauben mit Perspektiven und Ergebnissen heutiger Naturwissenschaft in ein wechselseitig kritisches, schöpferisches Gespräch zu bringen. Dazu wird auch der sozusagen schon klassische Beitrag Kesslers „Was heißt: Gott handelt?“ aus dem Jahre 1985 überarbeitet abgedruckt. Angesichts immer noch weit verbreiteter Immunisierungs- und Ausgrenzungsstrategien, denen zufolge z.B. naturwissenschaftliche Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube sich widersprechen oder gar ausschließen müssten, zeigt Kessler eindrücklich, wie sehr sich die unterschiedlichen Zugänge zur Wirklichkeitswahrnehmung wechselseitig ergänzen und schöpferisch provozieren können. Man kann (und muss) eben „alle Dinge doppelt sehen: als Fakten und als Geheimnis“ (v. Balthasar), ohne dass dies double-binding oder schizophren wäre.
Imponierend ist, mit welchem Fleiß und welcher Aufmerksamkeit der Theologe sich auch in naturwissenschaftliche Methoden und Zusammenhänge einarbeitet. Da Kessler die einzelnen Etappen bisheriger Theologiegeschichte souverän mit im Blick hat, sind seine systematischen Beiträge stets mit historischer Tiefenschärfung gearbeitet und implizieren jene theologische Selbst- und Kirchenkritik, ohne die ein fruchtbarer Dialog nicht möglich ist. Umgekehrt besteht der Systematiker durchaus selbstbewusst und entsprechend mit offensiver Argumentation auf dem besonderen Profil der Theologie, die sich im Hause der Wissenschaften durchaus sehen lassen kann und will. Diese Kunst begründeter Stellungnahme – auch gegenüber den Gebildeten unter den Verächtern des Christentums – öffnet zudem den Blick auf kirchlich und christlich oft vernachlässigte Themen – etwa den schöpfungstheologischen Status der nichtmenschlichen Kreatur, besonders der Tiere. Das Bekenntnis zum dreieinigen Gott wird als besondere Schöpfungsspiritualität konkret, die sich endlich von einer falschen Anthropozentrik verabschiedet.
Der zweite Block von Beiträgen widmet sich der Christologie, besonders im interreligiösen Kontext. Ist doch in der Tat das christliche Bekenntnis zur Einzigartigkeit Jesu Herausforderung und Anstoß für einen wirklichen Religionsdialog: „Offenheit für die anderen aus Umkehr zur eigenen christlichen Mitte“ (256) – so kann Kesslers Denkfigur beschrieben werden. Weder fundamentalistische Rechthaberei noch pluralisierende Beliebigkeit, nicht eifernde Fixierung der Wahrheitsfrage, aber auch nicht ihre Suspendierung – ganz im Gegenteil: je intensiver und genauer auf die Besonderheit des christlichen Jesus-Zeugnisses in Schrift und Tradition geachtet wird, desto toleranter und aufmerksamer kann das Anderssein der anderen gewürdigt werden. Im dialogischen Zirkel des Verstehens kommt es zu tieferer Einsicht und größerer Dialogizität, wohl wissend um die Macht der nichttheologischen Faktoren wie Angst, Macht und Eigensucht, die die unterschieden gemeinsame Wahrheitssuche (ver-)stören können. Auch in dieser religionstheologisch konzentrierten Reflexion auf das Besondere des Christuszeugnisses zeigt sich beispielhaft Kesslers intensives Bemühen, andere Religionen in ihrem Anderssein wahrzunehmen und als Bereicherung wie Infragestellung gelten zu lassen, ohne auch nur einen Deut das Besondere christlicher Hoffnung zu ermäßigen. Diese im besten Sinne apo-logetische, also antwortende Kunst des Fragens und Sich-Fragen-Lassens gilt nicht nur für das Gespräch mit den Religionen Asiens, hier besonders Hinduismus und Buddhismus, – es gilt auch für das innerabrahamische Gespräch, den Trialog zwischen Juden, Christen und Muslimen. Auch dieser komprimierte Beitrag mit „12 Fragen und Impulsen zu einem besseren Miteinander“ bietet in seiner differenzierten Argumentation und seiner komprimierten Darstellung ein Musterbeispiel dafür, dass und wie systematisch-theologische Arbeit für die Praxis wichtig und hilfreich ist – für die Praxis konkreter Dialoge nicht nur, sondern eben auch für Pastoral und Religionsunterricht. Man spürt allen Beiträgen des Buches an, dass sie die Anstrengung des theologischen Begriffs stets verbinden mit konkreter Verantwortung für Gesellschaft und Kirche, keinen Augenblick bloß spekulativ abgehoben und weltfern, keinen Augenblick auch bloß aktualistisch und modernisierend. Hier ist Theologie bei ihrer Sache, hier ist ein Christenmensch fragend und mitdenkend unterwegs, ohne seine Energie und Begabung in binnenkirchlichen Einzelthemen zu verzetteln oder dem Zeitgeist willfährig hinterher zu hecheln. Gerade in dieser Konzentration auf die christlichen Essentials ist der Sammelband ausgesprochen hilfreich.
Immer schon ist, wie es sich für christliche Theologie gehört, der dritte Glaubensartikel mitpräsent, dem sich die Beiträge des dritten Blocks ausdrücklich widmen: „Gottes Geist, die Kirche und die Religionen heute“. So schließt sich der Bogen zum Anfang – zu dem grundlegenden Beitrag über „religiöse Grunderfahrungen und der Glaube an den dreieinen Gott“, in denen Kessler im Gespräch vor allem mit Raimon Panikkar den christlichen Glaube an „Trinität in interreligiöser Perspektive“ meisterlich entfaltet. Dass der höchst empfehlenswerte Band mit einer Adventspredigt mit dem bezeichnenden Titel „Die ganze Schöpfung in Geburtswehen“ schließt, dokumentiert programmatisch, wie sehr hier theologische Reflexion und verkündigende Vermittlung, sozusagen Theorie und Praxis des Glaubens zusammenklingen. Schade bleibt, dass dem Band Register fehlen
Gotthard Fuchs
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 3, S. 130f.