Päpstliche Macht

Buchvorstellung - 30.06.2009

Rudolf Lill
Die Macht der Päpste
(Topos plus Taschenbuch 603)

Kevelaer: Verlagsgemeinschaft Topos plus 2006
237 Seiten
ISBN 978-3-7867-8603-0

Es ist ein zorniges Buch geworden, das Rudolf Lill als Resultat jahrzehntelanger Beschäftigung mit italienischer und vatikanischer Geschichte vorlegt. Die Grundthese lautet: Zur Kirchlichkeit als Grundlage europäischer Kultur gehören „Pluralismus und konziliare Prozesse“ und „ortskirchliche Mitsprache“ (S. 9), nicht hingegen der Zentralismus und die Entscheidungskompetenz der Päpste in allen moralischen Fragen.

Diese habe sich erst im 19. und 20. Jahrhundert durch die zunehmende Macht der Päpste ergeben. Lill sieht einen Kulminationspunkt päpstlichen Machtanspruchs im Pontifikat Pius’ XII. Das Zweite Vatikanische Konzil habe einen Rückweg zu mehr synodalen Strukturen einschlagen wollen, doch habe sich bald wieder ein absolutistischer Führungsstil durchgesetzt. Lill ist jedoch weit davon entfernt, die Geschichte der Päpste in den letzten beiden Jahrhunderten lediglich als Schwarz-Weiß-Malerei zu präsentieren. Als erfahrener Historiker weiß er um die „Ambivalenzen“ (S. 17), die in jedem Pontifikat seit dem 19. Jahrhundert zu Spannungen zwischen absolutistischer Geschlossenheit und demokratischer Weltoffenheit geführt haben.

Lill schreibt informativ und fesselnd. Hintergrundinformationen werden in eingefärbten Kästen gegeben, so zu den päpstlichen Titeln, zur Peterskirche, zum Vatikanstaat, zum italienischen Risorgimento und den Debatten um Pius XII. Im geschichtlichen Rückblick beginnt Lill mit dem Aufenthalt der Päpste in Avignon im 14. Jahrhundert. Die Entwicklung der katholischen Kirche in der Frühen Neuzeit sieht er als erste Entfaltung des Zentralismus, was zur Bewahrung und Verstärkung der Kirchlichkeit, aber zum kontinuierlichen Verlust an gesellschaftlicher Akzeptanz führte.

Im Ultramontanismus des 19. Jahrhunderts wurde die Ausrichtung auf den Papst total. Durch den Verlust des Kirchenstaates und die Wende Pius’ IX. wurden die dogmatischen Entscheidungen des Ersten Vatikanums erleichtert und gefördert. Folgerichtig bezeichnet Lill die Päpste seither als „unfehlbare Päpste“, was sich weniger auf dogmatische denn auf administrative und das Lehramt stärkende und durchsetzende Vorgänge bezieht. Die Grenzen der Versöhnung mit der Moderne werden dabei besonders bei Leo XIII. und Pius X. sichtbar. Die Ambivalenz Benedikts XV. sieht Lill in der Spannung zwischen innerkirchlicher Mäßigung und Friedenspolitik auf der einen und der Zentralisierung des Kirchenrechts auf der anderen Seite. Als autoritären Diplomaten zeichnet der Autor Papst Pius XI., der zwar die Totalitarismen klar durchschaute, aber in den Reglementierungen der Sexualität selbst der Versuchung zur totalen Herrschaft erlag. Ein ziemlich negatives Bild entwirft Lill von Pius XII. Der „intransigente Herrscher über seine Kirche“ (S. 162) habe zunehmend reaktionär regiert und seine „den Päpsten seit 150 Jahren zugewachsene Macht durch Übertreibungen missbraucht“ (S. 171). Gut kommt in der Beurteilung Johannes XXIII. weg. Auch der zweite Konzilspapst, Paul VI., in Deutschland sonst eher auf „Humanae Vitae“ und die Folgen reduziert, erfährt eine positiv-gerechte Bewertung, insofern er die päpstliche Macht zwar stabilisiert habe, jedoch „meistens mit einer Mischung aus Maß und Respekt“ (S. 204) gehandelt habe.

In Kontinuität sieht Lill die beiden letzten Päpste. Johannes Paul II., „ein konservativ denkender, modern auftretender Hierarch“ (S. 209), habe eine Restauration in der Kirche herbeigeführt, den päpstlichen Primat in der Neufassung des Kirchenrechts bekräftigt, Zölibat und innerkirchlichen Gehorsam eingeschärft und sich dabei einseitig auf konservative Kreise gestützt. In der Kontinuität seines Vorgängers stehe auch Benedikt XVI.

An manchen Einzelheiten und Linienführungen kann und wird sich der Leser stoßen. Lill dokumentiert seine Ausführungen jedoch sehr genau. Der Kontrapunkt zu der Jubelliteratur, die gegenwärtig als Reaktion auf die „Wir sind Papst“-Euphorie die Medien beherrscht, ist ihm jedenfalls gelungen.

Joachim Schmiedl

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 4, S.211.