Verträglichkeit von Religion mit Vernunft und Wissenschaft

Buchvorstellung - 27.05.2009

Otto Kallscheuer
Die Wissenschaft vom lieben Gott
Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten

Frankfurt: Eichborn AG 2006
488 Seiten
ISBN 3-8218-475-1

Eine der aktuell heftigst diskutierten Schlüsselfragen lautet: Ist Religion mit Vernunft und Wissenschaft verträglich?
Otto Kallscheuers Buch „Die Wissenschaft vom lieben Gott“ gibt darauf eine Antwort – nein so viele Antworten, dass dem Leser nichts anderes übrig bleibt, als selbst seine Vernunft in Betrieb zu nehmen.

Wenn es so etwas gibt, wie eine Evolution in der Religionsgeschichte und folglich als deren Ergebnis einen theoretischen Standard, dann hilft alles nichts – ich muss ihn zur Kenntnis nehmen. Die Freiheit der individuellen Entscheidungen enthält nicht automatisch die Lizenz, jeden Unsinn unreflektiert zu wiederholen, jedenfalls dann nicht, wenn er mit kraftvollen Argumenten eigentlich schon erledigt wurde.

 

Man hält es nicht für möglich, dass es einem einzelnen Buch gelingen könnte, diese Standards eines öffentlichen Diskurses über Religion zu markieren. Und doch liegt dieses Buch hier vor.
Ein Buch über Gott, den „Ganz Anderen“ (Rudolf Otto, Paul Tillich) muss natürlich auch in Enzenbergers „Anderer Bibliothek“ erscheinen und nicht in einem kirchlichen Verlag. Otto Kallscheuer, Politologe und Philosoph, gehört keineswegs der Theologenzunft an, wenngleich er auch Kenntnisse ausbreitet, die auch jedem Theologen zur Ehre gereichen würden.
Kallscheuer spart nicht an Spott über Päpste und Jesuiten, auch nicht an ernster Kritik.
Richtig gut ist aber seine amüsante und treffende Zeitdiagnostik. Die Lifestyle-Spiritualität der Kirchentage kommt am besten aus dem ganz fernen Osten oder aus dem Evangelium nach Carl Gustav Jung. In den Zeiten „religionsfreudiger Gottlosigkeit“ (Metz) sind die kleinen Tröstungen der psychohygienischen Wellness und der Kontingenzbewältigung (Lübbe) auf dem offenen „Markt der Möglichkeiten“ erfolgreich. Ein Globalisierungsphänomen, das nicht ausschließt, dass auch im alten Europa die traditionellen Formen der Kontemplation zurückkehren, Stundengebete, Wallfahrten. Auf dem Weg nach Santiago sucht inzwischen ja auch Hape Kerkeling sich selbst und findet etwas Anderes, am Ende den ganz Anderen.
Otto Kallscheuer zieht es vor, den Lessing zu geben. Er macht die Wahrheitsfrage stark, ohne sie zu beantworten. Dem Islam, dem es intellektuell zur Zeit ja eher schlecht geht, gibt er mit Bezug auf Ibn Arabi (12. Jh.) Fingerzeige, wie auch der Koran modernitätskompatibel gemacht werden könnte. Wenn das so einfach wäre! Gegen die Fundamentalismen hilft nur eines, die Vernunft oder die Wissenschaft vom Lieben Gott.

Eckhard Nordhofen

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 4, S. 205.