Matthias Lutz-Bachmann / Alexander Fidora (Hg.)
Juden, Christen und Muslime
Religionsdialoge im Mittelalter
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004
240 Seiten
ISBN 3-534-17533-6
Man lese Feuchtwanger’s berühmten Roman „Die Jüdin von Toledo“, man wandere durch Cordoba oder die Alhambra – die Erinnerungen an religionsdialogische Kompetenz im Mittelalter sind keineswegs museal, sondern führen mit höchst aktuellen Konsequenzen in Gegenden von beispielhafter Vernunftarbeit und Glaubensbewusstheit.
Was im 12. Jahrhundert Toledos hier beginnt, was in Abaelards großem „Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen“ in Paris nicht nur literarische Gestalt findet, findet in Nikolaus von Kues im Übergang zur Moderne den großen Fürsprecher, Dolmetscher und Vermittler. Seine Religionsschrift ist nicht zufällig zum „missing link“ geworden zwischen Abaelard und Lessing‘s „Nathan der Weise“. Brückenträger in diesem Spannungsbogen sind neben den genannten natürlich Thomas von Aquin mit seiner „rationalen Grundlegung des Religionsdialoges“ in seiner „Summe gegen die Heiden“ und der große interdisziplinäre Ramon Llull. Natürlich spielt das vorausgesetzte Verständnis von Vernunft und Wahrheit eine zentrale Rolle; wo es keinen vermittelnden Bezugspunkt der Argumentation zwischen den Religionen gäbe, wäre ein Dialog nicht möglich. Die Universalität der jeweils behaupteten Vernunft und, nicht minder, der universale Heilswille des jeweiligen Glaubens und seines Erwählungsbewusstseins bedürfen schöpferischer, argumentativer und begründungspflichtiger Vermittlung. Weisheit ist, den genauen Analysen z.B. des Thomas von Aquin zufolge, ein „ganzheitliches“ Geschehen, das Wahrheitssuche und Glaubenseinsicht schöpferisch vermittelt und umgreift. Der Glaube ist nicht unvernünftig – das ist die Pointe mittelalterlicher Religions- und Dialogphilosophie und -theologie.
Dem Frankfurter Institut für Religionsphilosophische Forschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität (Forschungsprojekt „Die Umbrüche in der Wissenskultur des 12. und 13. Jahrhunderts“) gebührt das Verdienst, diese mittelalterliche Dialogkultur in treffenden Detailuntersuchungen und solide übersetzten wie kommentierten Originalausgaben zu fördern. Die heutigen Debatten um Fundamentalismus auch in den Religionen samt den fatalen Folgen solch latenter Totalitarismen nötigt förmlich, schon erarbeitete Argumentationsschätze dieser Art zu heben und für heute fruchtbar zu machen. Der mustergültige Band, dem leider freilich Register fehlen, gehört gewiss eher in den Spezialitäten- und Delikatessenbereich religionstheologischer und religionspädagogischer Büfetts heutzutage. Wer aber in den Gegenwartsfragen nicht hängen bleiben will und sich dem „Diktat“ schneller religionspädagogischer Verwertbarkeit nicht unterwirft, wird in solch gelehrten und informativen Ausflügen ins Mittelalter nicht nur touristisch bereichert werden. Zwar gab es für den rationalen Religionsdiskurs damals noch keine klaren Unterscheidungen zwischen Gesellschaft und Staat, säkularem Recht und Religion. „Gleichwohl enthalten sie weiterführende Lösungsvorschläge, wie der Anspruch der Vernunft auf Verständigung, die Anerkennung des Eigenrechts von Religion und der Pluralismus von gerechtfertigten Überzeugungen miteinander vermittelt werden können“ (8f). Die Dialogschriften eines Abaelard, eines Ramon Llull und Nikolaus von Kues sind auch heute noch lesenswert. Imponierend, wie man sich schon damals christlicherseits um das Verständnis des Islam und die Übersetzung des Koran bemühte. Wären wir nur schon wieder so weit!
Gotthard Fuchs
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 2, S. 85.