Dieter Harmening
Wörterbuch des Aberglaubens
Stuttgart: Verlag Ph. Reclam jun. 2005
520 Seiten
ISBN 3-16-010553-6
Mag der Glaube auch verdunsten – der Aberglaube ist nicht totzukriegen. Neigte man früher dazu, abergläubische Vorstellungen mit „alt“ und „rückständig“ zu assoziieren, so belegt nicht zuletzt dieses Wörterbuch das Gegenteil. Aberglaube, hier verstanden als „ein Reservoir von Vorstellungen über die Welt, die nach Regeln der Symbolik, Ähnlichkeit, Sympathie und Antipathie organisiert sind, und nicht nach denen der Kausalität und Naturwissenschaft“.
In diesem Sinne ist „Aberglaube“ ein alternatives Wissenssystem, das in alter und neuer Esoterik ebenso seinen Ausdruck findet wie in Bräuchen und Anschauungen alter Volksgläubigkeit. Kurz gefasst umgreift er „Bereiche des Wahrsagens und der Zeichendeutung sowie des magischen Wissens und der zauberischen Praxis.“
Alle diese Bereiche werden in den einzelnen Artikeln des Wörterbuches sachkundig ausgeleuchtet. Es finden sich Sachartikel, biographische Artikel sowie systematische und Theorieartikel. Auf den ersten Blick überraschen Stichworte wie „Auge“ oder „Ehe“, aber die werden natürlich nicht selbst als abergläubische Phänomene behandelt; wohl aber geht es um abergläubische Vorstellungen und Praktiken in ihrem Umfeld.
So ist beim Auge der „böse Blick“ nicht fern oder bei der Ehe diverse Orakel, die eine baldige Hochzeit verheißen. Umfangreicher sind die Grundsatzartikel wie „Astrologie“ oder „Magie“, in denen häufige Querverweise wiederum zu einzelnen Praktiken oder Protagonisten führen. Das dichte Netz von Querverweisen ist ebenso vorbildlich wie die ausführlichen Quellenhinweise, die immer wieder die historischen und literarischen Belege für die inhaltliche Einordnung liefern – oft mit Rückgriff bis auf die Antike.
Die Beschreibungen sind wissenschaftlich solide, wenn auch manchmal recht knapp. So fehlt beim Stichwort „Illuminaten“ der Hinweis auf die Renaissance dieser vermeintlichen Verschwörer in der modernen Trivialliteratur oder beim „Pentagramm“ der Hinweis auf den modernen Satanismus. Die längeren Artikel (z. B. „Astrologie“ oder „Hexe“) sind durchweg auf hohem sachlichen Niveau und bieten dichte Information. Manchmal scheint der historische Hintergrund genauer dargestellt als die Tagesaktualität; so werden die „Neuen Hexen“ in dem sonst außerordentlich informativen Artikel nur sehr knapp erwähnt, Hexenwahn und Hexenverfolgung in Mittelalter und Neuzeit hingegen sehr ausführlich.
Die dichte, wissenschaftlich Lexikonsprache macht das Buch des Würzburger Volkskunde-Professors eher zu einem Nachschlagewerk für Lehrende als zum Quellentext für Schülerinnen und Schüler. So genutzt, bietet es aber viel gute und kluge Information auf knappem Raum. Man kann es durchaus zur privaten Anschaffung empfehlen; für Bibliotheken erscheint es mir unverzichtbar.
Lutz Lemhöfer
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 2, S. 84.