Joachim Bauer
Lob der Schule
Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern
Hamburg: Hoffmann und Campe 2007,
141 Seiten
ISBN 978-3-455-50032-5
Der Freiburger Medizinprofessor, Neurobiologe und Psychotherapeut, Leiter des „Instituts für Gesundheit in pädagogischen Berufen“ und Autor des Konzeptes der Lehrercoachinggruppen nach dem Freiburger Modell hat erneut mit seinem Buch „Lob der Schule“ in die bildungs- und schulpolitische Diskussion eingegriffen, aber aus neurobiologischen Interesse, auch um dem „Lob der Disziplin“ von B. Bueb (Schule Salem) ein Gegengewicht gegenüber zu stellen.
Zu sieben Themen entwirft Bauer seine „Perspektiven“. Aus medizinischer Sicht könnte man von auch von „Rezepten“ sprechen. Diese sieben Themen sind gemäß Inhaltsverzeichnis folgende:
1. Schüler verstehen – eine „Neurobiologie der Schule“
2. Schulen – Orte des Grauens oder „Treibhäuser der Zukunft“
3. Lehrer
4. Berufswahl und Lehrerausbildung
5. Eltern
6. Die Politik, die Wissenschaft und das Problem der Qualitätssicherung
7. Junge Menschen, die Schule und das Land, in dem wir leben.
Das Anliegen und der Kernpunkt des Buches, das der Autor an alle an der Schule Beteiligten richtet, ist wie folgt beschrieben: „Dieses Buch soll Schülern, Eltern, Lehrern, aber auch anderen, die junge Menschen und das System Schule fördern wollen, lebensnahe Hinweise geben, wie der Nährboden aussehen muss, auf dem Liebe zum Leben, Motivation und die Lust am Lernen wachsen können“ (S. 8). „Motivation, kooperatives Verhalten und Beziehungsgestaltung sind Faktoren, die neurobiologisch verankert sind. Folglich brauchen wir – und dies ist ein neuer Ansatzpunkt – eine „Neurobiologie der Schule“. Und einschränkend heißt es allerdings: „Die Neurobiologie hat weder Deutungshoheit noch einen Alleinvertretungsanspruch zu erheben“(S. 9). Natürlich kann es sich hier „nur“ um einen Entwurf handeln, welche neurobiologischen Erkenntnisse aus den schulischen Problemen helfen können und welche Perspektiven daraus folgend für eine zukunftsfähige Schule in Frage kommen müssten. „Große Teile des deutschen Schulsystems stecken in einem allseits bekannten und dennoch beharrlich fortbestehenden Desaster. Dieses System entlässt Schulabgänger, die zu einem hohen Anteil weder für eine weiterführende Ausbildung tauglich noch aufs Leben vorbereitet sind. ... Was ist das für ein Lebensraum, in dem, so repräsentative, von Ärzten durchgeführte Studien, – (hier spricht der Mediziner !! Anm. d. Verf.) über fünfzig Prozent aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen chronische gesundheitliche Beschwerden haben, in dem über fünfzehn Prozent aller Schüler von „harten“ psychiatrischen Störungen betroffen sind und die Gewalt zunimmt ...?“ (S. 10). Bauer fragt: „Was aber soll das alles mit Neurobiologie zu tun haben? Die Antwort lautet: Ein Kind ist kein Aktenordner, in den man Blatt für Blatt Wissensinhalte einheften kann, sondern ein Lebewesen, dessen Erleben und Verhalten neurobiologischen Grundregeln unterworfen ist. Dieses Buch soll die Zusammenhänge zwischen Lebenssituationen und zwischenmenschlichen Erfahrungen einerseits und andererseits die durch sie beeinflussten neurobiologischen Abläufe, die der Motivation und Leistungsbereitschaft eines Kindes zugrunde liegen, beleuchten und einige Konsequenzen vor Augen führen, die sich daraus ergeben.“ (S. 14). Und diesen Anliegen widmet sich der Autor mit aller Kraft. Zentraler Punkt des pädagogischen Geschehens ist nach Bauer das „System der Spiegelneurone“: „Kinder und Jugendliche erkennen ihre Potenziale in den Spiegelungen der Erwachsenen“ S. 26). Im diesem „System der Spiegelneurone“ befinden sich die Signale zwischen Erwachsenen und Kindern, aus denen soziale Verhaltensweisen gelernt werden (Lernen am Modell) wie Empathie, positive Beziehungen, Kooperation, Zuwendung, Anerkennung, Motivation und Freude am Lernen. Werden diese Spiegelungen nicht geweckt durch das Vorbild (Eltern, Lehrperson) oder sind sie reduziert, so entwickelt sich Nichtlernen, Arbeitsunlust, Egoismus, Aggression, Gewalt. Zusammengefasst ergibt sich:
• Es ist ein streitbares Buch von einem höchst engagierten und das derzeitige System Schule und die Beteiligten gut kennenden Autor, der nicht als Schulpolitiker, sondern als Mediziner und Psychologe spricht.
• Es ist ein sehr kritisches Buch, das viele problematische Sachverhalte des bürokratisierten Schulsystems benennt, wenn auch mitunter etwas pauschal.
• Es weist sogar kämpferische Züge auf für eine Schule, die die Schüler motivieren kann und die Lust am Lehren und Freude am Lernen macht und auf das Leben vorbereitet.
• Es ist es gelungener Versuch, der darstellt, wie aufgrund von neurobiologischen Forschungsergebnissen das derzeit pathogene System Schule diagnostiziert und auch mit Lösungsansätzen therapiert werden kann.
• Der Autor sagt uns im Kern nichts Neues, aber seiner anderen und neuen neurobiologischen Sicht und Begründung und Botschaft kann man sich nicht entziehen: Motivation und positive Beziehungsgestaltung sind die Kernpunkte der Schule und des Lehrer-Schüler- Verhältnisses.
Ein optimistisches Buch, das allen an der Schule Beteiligten den Blick neu öffnen kann, was zu tun ist, das ferner zum Nachdenken und Handeln anregt – ein Muss für Lehrer/ innen, Lehramtskandidaten/innen, Eltern und natürlich Schulleitungen.
Alois Ewen
Quelle: Religionsunterricht heute. Informationen des Dezernates Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz 37 (2009), Heft 1/2, S. 56f.