Volker Ladenthin/ Jürgen Rekus (Hg.)
Werterziehung als Qualitätsdimension von Schule und Unterricht
(Münstersche Gespräche für Pädagogik 24)
Münster: Aschendorff Verlag 2008
207 Seiten
ISBN 978-3-402-14340-7
Der im Rahmen der Münsterer Gespräche von Volker Ladenthin und Jürgen Rekus herausgegebene Sammelband zum Thema Werteerziehung als Qualitätsdimension von Schule und Unterricht ist in zwei große Teile unterteilt. Im ersten widmen sich die Herausgeber den Grundlagen schulischer Werteerziehung, im zweiten Teil berichten Lehrerinnen und Lehrer von gelingenden Möglichkeiten der Werteerziehung im Fachunterricht. Dabei wurde darauf geachtet, dass Unterrichtsbeispiele aus allen Fachbereichen vorgestellt werden, um eine Verengung des Themas als genuine Aufgabe religiös-ethischer Fächer a priori zu vermeiden.
Schließlich hat die Schule – und damit jedes Fach eine erzieherische und Bildungsaufgabe in dessen Kontext Werteerziehung zentral steht. Die beiden Herausgeber machen dies in ihren einleitenden sieben Thesen deutlich. Wenn sie die heutigen gesellschaftlichen Anforderungen an Schule beschreiben und auf die sich verändernde Aufgabenzuweisung zwischen Schule und Elternhaus im Erziehungsprozess hinweisen, machen sie deutlich, dass Schule kompensatorische Funktionen übernehmen muss. Gleichzeitig fallen ihr in einer sich postmodern individualisierenden Gesellschaft neue Aufgaben zu. Schule muss die Jugendlichen dazu befähigen, sich in der multidimensionalen Angebotspalette von Lebensentwürfen und Möglichkeiten zurecht zu finden, diese zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Die pädagogische Qualität von Schule wird sich zunehmend darin deutlich machen, wie sie die Jugendlichen auf diesen Entscheidungsprozess vorbereiten kann. Gleichzeitig bleibt die Aufgabe der Schule, fachliche Kompetenzen zu vermitteln, bestehen, auch daran wird ihre Qualität zu messen sein.
Dem vordergründigen Dilemma zwischen fachlicher Qualifikation und Erziehungsauftrag begegnen die Herausgeber mit der Zielsetzung, den Leserinnen und Lesern (unterrichtsspezifische) Hilfen an die Hand zu geben, wie Werteerziehung im Fachunterricht praktisch stattfinden kann.
Die Integration der Erziehungsaufgabe in die fachspezifischen Aufgabenstellungen, d.h. „Erziehung durch Unterricht“, ist in ihrem Titel letztlich keine besonders innovative Lösung, ihr Potenzial muss sich in der Konkretion zeigen.
Vor den unterrichtspraktischen Beispielen bietet der Sammelband Begründungszusammenhänge für Werterziehung und zeigt grundsätzliche Schwierigkeiten in der Konkretion auf. Hier leistet der Band m.E. wichtige Vorbemerkungen. Jürgen Rekus fragt berechtigt nach dem WOZU? von Werten und beschreibt den Wertepluralismus und die Wertekonkurrenz, die einen inhaltlichen Konsens für einen zu vermittelnden Wertekanon erschwert, ja ihn verneinen muss. Jugendliche brauchen stattdessen „Hilfen zum begründeten eigenständigen Werten- und Entscheidenlernen“. Das Erziehungsziel von Schule „ist also nicht die Vermittlung von moralisch guten Handlungen, sondern Aufklärung und Reflexion der eigenen normativen Handlungsmotive“. Dies muss Schule im klassischen pädagogischen Dreischritt Sehen, d.h. fachlich fundiertes Wissen vermitteln, Urteilen, d.h. Werturteile ausdifferenzieren lernen, Handeln, d.h. ethisch verantwortbare Handlungsentscheidungen fördern, leisten. Eine gelingende Vermittlung der „wahren“ und „richtigen“ Werte und Tugenden entlarvt der Autor als irrige Hoffnung der Pädagogik. Gleichzeitig glaubt er an das kantsche Menschenbild und sieht die Erziehungsaufgabe darin diese „anzurühren“, damit sie zur „Triebfeder werden kann“. Eine schöne Hoffnung, die hier nicht näher begründet wird.
Im zweiten grundlegenden Beitrag zeigt Volker Ladenthin auf, dass Unterricht grundsätzlich „selbst Ausdruck, Manifestation von Werten ist, (und, F.W.) dass diese Manifestation gestaltbar ist“. Er verweist damit auf didaktische Fragen und das Arrangement von Unterricht. Darüber hinaus kommt über die Frage des Wertenden die Person der Lehrkraft ins Spiel. Unterricht ist ein Beziehungsgefüge, „Schüler vertrauen darauf, dass es Sinn macht, das zu lernen, was Lehrer sie lehren. (…) Lehrer bezeugen mit ihrem Unterricht Lebenssinn. (…) Schüler vertrauen hierin ihren Lehrenden absolut“.
Auch wenn dies m.E. etwas zu euphorisch den Schulalltag beschreibt und keineswegs als repräsentativ verstanden werden darf, so bleibt im Kern die Erwartung der Schülerinnen und Schüler an die Lehrkraft, dass der Unterricht Lebensrelevanz hat – sed vitae discimus – oder wie es Ladenthin nennt „Ausdruck von Lebenssinn“ ist.
Volker Ladenthin formuliert hier (s)ein pädagogisches Credo für die Schule und den Lehrerberuf, das es trotz allen Scheiterns immer wieder zu bekennen gilt.
Diese Erwartung ernst zu nehmen, sehe ich als zentrale Aufgabe der Unterrichtsvorbereitung. Dass die derzeitigen Rahmenbedingungen von Schule dieser Aufgabe nicht immer förderlich sind, muss beklagt werden. Die Klage entbindet aber nicht davon, sich der Aufgabe immer wieder zu stellen.
William Middendorf widmet sich der Frage, wie die Qualität schulischer Werteerziehung analysiert und weiterentwickelt werden kann. Mit Recht vorsichtig benennt er mögliche Kriterien für den Einsatz qualitativer Methoden in den Bereichen des didaktischen Arrangements, der Person und des Handelns der Lehrkraft und im schulischen Erziehungskonsens. Dabei erkennt er die Grenzen der Aussagekraft dieser Kriterien und verweist auf notwendige Weiterentwicklungen von Erhebungsmethoden. Dennoch plädiert er klar für die Notwendigkeit, sich der Erfassung der Qualitätsverbesserung – auch im Feld der Werteerziehung – zu stellen und sich ihrer zu vergewissern.
Der Vorschlag der beiden Herausgeber Wie man an Schulen Werteerziehung implementieren kann, schließt den Grundsatzteil ab. Er liest sich wie eine Sammlung von Möglichkeiten, die m.E. rein additiv, nicht konzeptionell und strukturell aufgelistet sind. Die Funktion als Hilfestellung für die Schulpraxis sehe ich sehr skeptisch. In meiner Wahrnehmung gibt diese Liste den Diskussionsstand in den Schulen kaum wieder.
Im umfangreichen zweiten Teil stellen Lehrerinnen und Lehrer ihre fachspezifischen Unterrichtsüberlegungen zum Thema vor und berichten, wie Werteerziehung in „ihrem“ Fachunterricht implementiert wurde. Die Autorinnen und Autoren geben sich fast alle als in der Aus- und Fortbildung tätige Lehrkräfte zu erkennen, was sicherlich der Verschriftlichung und Begründung des Arrangements förderlich war und dem Buch einen besonderen Adressatenkreis zusätzlich erschießt. Die vorgestellten Unterrichtsszenarien sind detailreich dargestellt. Tabellarische Verlaufsbeschreibungen und die beigefügten Materialien erleichtern das Nachvollziehen der Vorhaben und geben gewinnbringende Anregungen für die eigene Praxis. Alle Entwürfe bieten ein ambitioniertes Programm, das sicherlich nicht ohne Verwerfungen überall in den Schulalltag übertragen werden kann. Hier schließt sich auch der Kreis meiner Einwände an das Buch selbst. Es wird eine Schulpraxis vorgestellt, die nicht repräsentativ für Schule ist, sich aber nahtlos an das im Grundlagenteil entwickelte Credo von Schule anschließt. Das hätte man sicherlich irgendwie benennen können. Des Weiteren nehmen manche der vorgestellten Unterrichtsbeispiele Werteerziehung als Betitelung ihres Unterrichtsvorhabens nach meinem Dafürhalten etwas vollmundig in den Mund. Etwas mehr Bescheidenheit hätte den Unterrichtsentwürfen gut getan.
Trotzdem lohnen die Beispiele und die Grundlagenartikel als Anregung, im eigenen Unterricht dem Thema Werteerziehung mehr Bedeutung beizumessen.
Frank Wenzel