Anne Foerst
Von Robotern, Mensch und Gott
Künstliche Intelligenz und die existentielle Dimension des Lebens
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008
206 Seiten
ISBN 978-3-525-56965-8
Anne Foerst hat einen einen ungewöhnlichen Lebensgang. Nach ihrem Theologiestudium in Wuppertal, Bonn und Bochum, das sie 1996 mit einer Dissertation über „Künstliche Intelligenz und Theologie; ein Diskurs und seine Perspektiven auf der Grundlage der Theologie Paul Tillich“s (1996) schloss, wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Massachusetts Institut of Technology (MIT). Dort beschäftigte sie sich mit künstlicher Intelligenz, insbesondere der Konstruktion von humanoiden, also menschenähnlichen Robotern. Zugleich betrieb sie theologische Studien am St. Bonaventure Institut, an welchem sie heute eine Professur innehat. Von den Erfahrungen und Einsichten, die sie auf ihrer Wanderung zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Welten gewonnen hat, berichtet sie in ihrem Buch „Von Robotern Mensch und Gott“, das in englischer Sprache 2002 erschienen ist und nun 2008 in deutscher Übersetzung.
Was Anne Foerst antreibt, drückt vielleicht das folgende Zitat am besten aus: „Theologie und künstliche Intelligenz treffen sich, wenn wir versuchen, uns selbst zu verstehen, zu verstehen, wer wir sind und was unsere Rolle in dieser Welt ist. Ingenieure und Computerwissenschaftler, die in die Forschungen über künstliche Intelligenz involviert sind, sind ebenso kreativ wie die Theologen, die Erzählungen über Bedeutung rekonstruieren“. [49] Der Mensch, der sich selbst verstehen will, kann bei verschiedenen Ausgangspunkten ansetzen: Der aufrechte Gang, das Spiel, technische Erfindungsgabe. Anne Foerst geht von etwas anderem aus: „Geschichten erzählen ist das, was wir am besten können“ [29]. Daher werden ihr die „Einsichten von Naturwissenschaft, Technologie und Theologie zu Geschichten, die sich aufeinander beziehen und miteinander interagieren, aber nicht notwendig kohärent sind.“ [58]
Die Zeiten sind vorbei, in denen das Kriterium der künstlichen Intelligenz darin bestand, dass Computer einen Menschen in Schach besiegen können. Viel schwieriger als Schach spielen ist für ein künstliches System das Fußballspielen. Die Forscher, mit denen Anne Foerst am MIT zusammenarbeitete, konzentrierten sich auf „motorische Kontrolle und soziale Interaktion“, [78] Fähigkeiten, in denen Menschen nach wie vor Computer in den Schatten stellen: „Wir entwarfen Kismet so, dass sie viele unserer sozialen Reaktionen auslöst; auf diese Weise reagieren Leute, die mit Kismet Umgang haben, sogar dann emotional, wenn sie es nicht wollen.“ [151] Gerade diese emotionalen Reaktionen wurden von Anne Foerst untersucht. Doch die Menschen fühlten sich ertappt, wenn die Forscherin sie mit ihren eigenen, durch Audio- oder gar Videoaufnahmen dokumentierten Reaktionen auf den Roboter konfrontierte. [155-156] Sie kommentiert: „Ich persönlich denke, dass es eine spirituelle Dimension hat, wenn wir mit Kismet interagieren und emotional reagieren. Es ist ein Augenblick, indem wir unsere Fähigkeit, uns zu binden, feiern.“ [156]
Anne Foerst hält es für notwendig, Menschsein und Personsein grundlegend zu unterscheiden. [165] Wer Grausamkeit gegenüber Menschen übt, verweigert ihnen diejenige Behandlung, die einer Person angemessen ist. Die biologische Tatsache des Menschseins kann er seinem Opfer damit nicht nehmen. Umgekehrt können Menschen auf Tiere, Puppen oder eben humanoide Computer reagieren, als ob es Personen seien, obwohl sie doch wissen, dass es sich nicht um Mitmenschen handelt. „Darin zeigt sich, dass wir dazu geschaffen sind, mit allen Kreaturen Bindungen einzugehen, die mit uns in einer bedeutungsvollen Weise interagieren.“ [166] Diese unsere Bindungsfähigkeit, so sieht es die Theologie, ist seit den Anfängen gestört und muss durch Rechtfertigung wiederhergestellt werden: denn „wenn wir die Gabe der Rechtfertigung annehmen, müssen wir einräumen, dass alle menschlichen Wesen gleichwertig sind und es verdienen, als Person behandelt zu werden.“ [194] diese Erzählung wird uns nicht von den Robotern erzählt, aber „unsere Erzählungen schließen inzwischen notwendig einige nicht menschliche Wesen ein, humanoide Roboter wie Kismet werden daher ein bestimmter Teil der Gemeinschaft von Personen werden.“ [194] Es sind neuartige Spiegel, die das menschliche Selbstverständnis um bislang nicht gesehene Aspekte ergänzen.
Als ich das Buch las, notierte ich mir häufig Fragen, die ich noch nachrecherchieren will. Das Buch ist also sehr anregend und knüpft Zusammenhänge, auf die man sonst nicht gestoßen wird. Trotzdem kann ich am Ende der Lektüre das Gefühl nicht loswerden, dass das Thema teilweise verschenkt worden ist: Man hätte den Lesern getrost mehr von den Konzepten und Theorien zumuten können, die hinter der Konstruktion humanoider Roboter stehen. Dafür wären beispielsweise die Erörterungen über „die sexuelle Natur von Jesus“ [115-117] verzichtbar gewesen. Denn wenn Jesu sexuelle Aktivität im Sinne der Historiker nachgewiesen werden sollte, müsste Foerst andere Argumente beiziehen als vage Hinweise aus dem Philliperevangelium. [115] Wenn sie aber stichhaltige historische Argumente nicht hat, dann schwebt sie mit ihren Mutmaßungen in einem methodischen Niemandsland, das dem Leser die Wahl lässt, angenehm oder unangenehm berührt zu sein, anstatt über Erfahrungen unterrichtet zu werden, die ihn interessieren und die er selbst nicht machen kann, was doch der Zweck des Lesens von Fachbüchern ist.
Anne Foerst gibt also einen ersten Einblick in ein sehr spannendes Forschungsfeld, über das man gerne mehr erfahren hätte, und sie entwickelt theologische Interpretationsansätze, die zum Nachdenken anregen, so lange sie bei ihrem Thema bleibt, neuen Aspekten menschlicher Selbsterkenntnis im Spiegel der KI-Forschung.
Dr. Karl Vörckel