Das Böse in der Welt

Buchvorstellung - 23.02.2010

Bernd J. Claret (Hg.)
Theodizee
Das Böse in der Welt

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007
184 Seiten
ISBN 978-3-534-19049-2

Unter den zahlreichen Auseinandersetzungen, die derzeit um das Problem des Bösen, um Gottes und des Menschen Verantwortung für Übel, Leid und Schuld geführt und der Öffentlichkeit in Form von Aufsatzsammlungen zugänglich werden, ragt dieses Werk hervor, das unter der Ägide von Bernd J. Claret entstanden ist. Es handelt sich um ein dezidiert theologisches Buch, das den Beitrag ausleuchtet, den der christliche Blick auf Gott und die Welt zur „Lösung“ dieser Fragen anzubieten hat.
 

Seine Autoren (G. Greshake, K.-H. Menke, B. J. Claret, W. Breuning, L. Wenzler) – sämtlich aus dem Umfeld der katholisch- theologischen Fakultäten Freiburg i. Br. und Bonn – sind ausgewiesene Kenner der Materie, die sich in der Bearbeitung der einschlägigen Fragestellungen einen Namen gemacht haben. Die einzelnen Beiträge sind anspruchsvoll, durchweg konzentriert, dennoch gut lesbar und inhaltlich originell. Wer bereit ist, sich auf solche Texte im Umfang zwischen 15 und 40 Seiten einzulassen, wird großen Gewinn aus der Lektüre ziehen. Die 5 Aufsätze präsentieren einen umfassenden Blick auf das jeweils anvisierte Problem, das in seinen Dimensionen ausgelotet und einer sorgfältig begründeten Position zugeführt wird. Klassische theologische Antwortversuche auf die Frage nach Ursprung und Notwendigkeit des Bösen, nach der Rolle, die Gott und Mensch angesichts des überwältigenden Leids in der Welt einnehmen (Sünde, Erbsünde, Tod und Teufel), werden auf ihre Bedeutung für heutige theologische Rede hin erschlossen. Theologiegeschichtlich zentrale Positionen und Stationen kommen ebenso zur Sprache wie philosophische Reflexionen und Problemschärfungen der Neuzeit. Die thematischen Linien sind von Schöpfungstheologie und Gnadentheologie geprägt; eine detaillierte Auseinandersetzung etwa mit naturwissenschaftlichen Zugängen zur Anthropologie ist nicht intendiert. Was alle Beiträge vereint, ist ihr theologischer Impetus, der es vermeidet, Gericht über Gott zu halten, ihn auf die Anklagebank der menschlichen Vernunft und Geschichte zu verbannen. Ohne die Ebene der denkerischen Anstrengung zu verlassen, beziehen alle Autoren christlich Position. Denn „sachgerecht lässt sich das Problem des Bösen nur angehen, wenn man zugleich auf die frohe Botschaft der Befreiung vom Bösen blickt. Andernfalls ist man von vornherein in der Aussichtslosigkeit einer unlösbaren Frage verfangen. Deswegen darf und muss man, ohne etwas vom empörenden Skandal des Bösen zu verdecken oder zu beschwichtigen, darauf bestehen: Gott will das Glück des Menschen. Dies ist der eigentliche Kontext, in dem die Frage nach dem Bösen und nach dem Leiden des Unschuldigen anzugehen ist“ (Wenzler, 155). Greshake entwirft in Gestalt eines „Plakats“ die zu bearbeitenden Fragen und zeigt Linien auf: Angesichts des Bösen theologisch vom Menschen zu reden, heißt, ihn als Geschöpf und geschichtliches Wesen wahrzunehmen, sich Größe und Abgrund seiner Freiheit vor Augen zu führen, die zur Gemeinschaft mit Gott berufen ist. Menke verdeutlicht in einer dichten Auseinandersetzung mit philosophischen Optionen der Moderne die Herausforderung, die die Naturalisierung des Subjekts durch seine Einschreibung in die Zusammenhänge der Wirklichkeit für die Frage nach dem Bösen darstellt. Ohne eine ethische Weltanschauung, die das moralisch Böse an die Freiheit des Menschen auch gegenüber seinem empirischen Gewordensein bindet, ist das Böse weder als Böses zu qualifizieren noch zu bekämpfen. Ohne Annahme des autonomen Subjekts sei zudem die Überzeugung, dass in Christus der Unheilszusammenhang real durchbrochen ist, ein fideistischer (vor der Vernunft nicht verantworteter) Sprung in den Glauben. Seine Alternative: Nietzsche oder Fichte. Claret problematisiert in Anlehnung an P. Ricoeur und J. Bernhart das alte Problem der Zulassung des Bösen durch Gott und der Versuchung. Gott will das Böse nicht, doch geschieht es nicht voraussetzungslos. Das tragische Gesetz der Liebe – auch der Liebe Gottes – sei ihre provozierende Parteilichkeit: die Zuwendung z.B. Gottes zu Abel, die Kains Eifersucht grundlos, aber doch nachvollziehbar hervorrufe. Er spricht von schöpfungsgemäßen Strukturen unserer Lebenswelt, die irritieren und geradezu zum Bösen reizten, und vom Spotlight, das Gott, den Menschen zum Schutz und zur Warnung, sogar auf die Möglichkeit des Bösen werfen müsse. Breunings Artikel zählt zu den besten Beiträgen, die zum Problemkreis Ur-/Erbsünde publiziert wurden. Er bietet grundlegende Informationen über Genese und Sachgehalt der Rede von der „Erbsünde“ und fokussiert den Blick auf deren Zentrum: „Erbsünde“ ist strikt „als Erlösungsbedürftigkeit zu verstehen“ (121). Es geht nicht um eine Anthropologie der sittlichen Verfehlung, sondern um die Einzigkeit des Heilsweges, der im Kreuzestod Christi eröffnet wurde. „Deshalb ist der Sprung ins Universalgeschichtliche ‚Alle haben gesündigt’ auch keine abstrakte Dogmatik, sondern diese Universalaussage fasst in einem Brennpunkt die negative Seite davon zusammen, dass Gott selbst das konkrete, alles entscheidende Thema der Geschichte ist“ (135). Wenzler schließlich bündelt Themen und Anliegen des Bandes, indem er die Spannung verdeutlicht, in der sich menschliches Dasein in christlicher Perspektive abspielt: in der Einheit der Menschheit vor Gott, in der Heil und Unheil Realitäten sind, die geschichtlich-sozial vermittelt sind und personal angeeignet werden müssen. Im Dienst begrifflicher Präzision optiert er dafür, den Begriff „Erbsünde“ durch den der „Erbverwundung“ zu ersetzen und v.a. um sein sachliches Pendant, das unbedingte Heilsangebot Gottes („Erbgnade“) zu ergänzen.

Julia Knop

Quelle: Eulenfisch Literatur 1 (2008), Heft 1, S. 54. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]