Michael Böhnke/ Gerd Neuhaus/ Mirjam Schambeck/ Ludger Schwienhorst-Schönberger/ Eva Stögbauer/ Thomas Söding
Leid erfahren - Sinn suchen
Das Problem der Theodizee
(Theologische Module 1)
Freiburg: Herder 2007
208 Seiten
ISBN 978-3-451-29376-4
Dieser erste Band der von Michael Böhnke und Thomas Söding herausgegebenen Studienbuch- Reihe „Theologische Module bei Herder – studiengerecht, praxisnah, kompakt“ ist dem Theodizeeproblem gewidmet. Ohne Vorwort beginnt der Band mit dem lesenswerten Beitrag des Passauer Alttestamentlers Ludger Schwienhorst-Schönberger „Ein Weg durch das Leid. Die Theodizeefrage im AT“. Er zeigt zunächst, dass die Bibel einen Gott bezeugt, der uns durch Leid und Tod hindurchführt, nicht einen Wunsch- Gott, der uns davor bewahrt ...
Michael Böhnke/ Gerd Neuhaus/ Mirjam Schambeck/ Ludger Schwienhorst-Schönberger/ Eva Stögbauer/ Thomas Söding
Leid erfahren - Sinn suchen
Das Problem der Theodizee
(Theologische Module 1)
Freiburg: Herder 2007
208 Seiten
ISBN 978-3-451-29376-4
Dieser erste Band der von Michael Böhnke und Thomas Söding herausgegebenen Studienbuch- Reihe „Theologische Module bei Herder – studiengerecht, praxisnah, kompakt“ ist dem Theodizeeproblem gewidmet. Ohne Vorwort beginnt der Band mit dem lesenswerten Beitrag des Passauer Alttestamentlers Ludger Schwienhorst-Schönberger „Ein Weg durch das Leid. Die Theodizeefrage im AT“. Er zeigt zunächst, dass die Bibel einen Gott bezeugt, der uns durch Leid und Tod hindurchführt, nicht einen Wunsch- Gott, der uns davor bewahrt. Das wird dann eindringlich am Buch Ijob erläutert, das nicht nur die Erfahrung tiefster Not, Verzweiflung, Sinnlosigkeit zur Sprache bringt und geläufige Antworten entlarvt, sondern auch einen langen, aber erlösenden Weg des Ringens mit Gott, der Reifung und Reinigung des Bewusstseins weist, so dass der Mensch von Gott nicht bloß vom Hörensagen weiß, sondern aus innerer Erfahrung, und daher, selbst wenn sich äußerlich noch nichts an seinem Leid geändert hat, innerlich ein anderer wird und ein anderes Verhältnis zu seiner Mitwelt findet. Der folgende Beitrag des Wuppertaler Neutestamentlers Thomas Söding „‘Ist Gott etwa ungerecht?‘ (Röm 3,5). Die Theodizeefrage im NT“ fällt demgegenüber etwas ab. Er spricht wichtige Aspekte an (wie die Kritik populärer Theodizee, Vertrauen auf Gott mitten im Leid, Jesu Klage am Kreuz, Absage an billige Gnade und einen Willkür-Gott, Erlösung vom Bösen), verbleibt aber weithin in eher konventionellen, abgenutzten Gedanken. Einen guten Durchblick gibt der Beitrag des Wuppertaler Systematikers Michael Böhnke „Von scheinbaren Lösungen zu existentiellen Fragen. Zur verantworteten Rede von Gott angesichts des Leids“. Er setzt ein mit Klärungen der Begriffe Übel und Theodizee sowie des Theodizeeproblems. Im Bild einer Verhandlung vor dem Gerichtshof der menschlichen Vernunft (Plädoyers, kritische Gutachten usw.) erörtert er dann die Antwortstrategien der Depotenzierung von Übel und Leiden, der Infragestellung der Güte und der Allmacht Gottes, der Verlagerung des Leidens in Gott sowie der Behauptung der Nichtexistenz Gottes, um mit Kant das Scheitern aller rationalen Theodizeeversuche aufzuzeigen: die philosophische Theodizee ist am Ende, nicht jedoch die Theodizeefrage. Für Metz ist die Ausformulierung dieser Frage die einzig angemessene (letztlich rein negative) Weise der Gottesrede nach Auschwitz, sie impliziert die Hoffnung, dass Gott seine Göttlichkeit erweisen und dem Leiden ein Ende bereiten möge. Unter Hinweis auf Iwan Karamasows Argument, dass jedes rettende Handeln gegenüber dem geschehenen ungerechten Leid zu spät komme, fragt Böhnke sodann mit Striet, was eher moralisch und human genannt werden dürfe: Iwans Festschreiben der Unverzeihlichkeit von Schuld (womit sittliches Bewusstsein in eine Aporie gerate) oder die Hoffnung auf universale Gerechtigkeit und Versöhnung, die undenkbar ist, wenn sich auch nur ein Opfer ihr verweigert. Böhnke (97): „Vielleicht darf man soweit gehen und hoffen, dass Gott zuerst die Opfer retten wird, die als ‚Schöffen seiner Gnade‘ mit ihm den Kreislauf der Gewalt durchbrechen und in der Unterscheidung von Täter und Tat das gottgewollte Seinsollen jedes einzelnen ermöglichen“. Rückfrage: Müsste Gott nicht auch die Täter zurechtbringen (nicht ohne Wandlungsschmerz für sie), so dass, weil die Täter anders geworden sind, die Opfer ihnen die Hand der Versöhnung reichen können (was redlich ja nur geht, wenn im Täter wirklich eine Wandlung passiert ist)? Gegen Metz´ rein negative Gottesrede betont Böhnke mit seinem Lehrer Pröpper die Glaubensaussage, dass Gott seine Göttlichkeit in Leben, Passion und Auferweckung Jesu Christi bereits erwiesen hat, und zwar als die unbedingt zuvorkommende Liebe; sie ist der Grund der Hoffnung. Dass die Vernunft allein nicht sagen kann, wer und was Gott ist, ist gewiss richtig; nur weiß ich nicht, wie es gehen soll, dass „man mit Methoden der historischen Vernunft aus den Biblischen Schriften zu ergründen versucht, wer und was Gott ist“ (99). Gerd Neuhaus, Studiendirektor in Duisburg und apl. Fundamentaltheologe in Bochum, hat sich schon mehrfach mit subtilen Arbeiten zur Theodizeefrage hervorgetan. Sein Beitrag „Der ‚Fels des Atheismus‘? Die neuzeitliche Radikalisierung der Theodizeefrage im Spiegel der Literatur“ beginnt mit Ausführungen zu eben dieser Radikalisierung, welche von einer zunehmenden Sensibilisierung für die Würde des Einzelmenschen lebt, der nicht für ein fremdes Gut verheizt werden darf. Weil aber jede Theodizee die Leidenden instrumentalisiert, ergibt sich Protest gegen Gott. Nun erweist sich die Theodizeefrage nicht nur als ein Binnenproblem des Glaubens, das man durch Atheismus loswerden könnte. Vielmehr steht das moralische Bewusstsein selbst auf dem Spiel: es ist in jene Leidzusammenhänge, die es Gott zum Vorwurf macht, so eingebunden, dass es in diesem Protest sich selbst zerstört. Das wird dargetan an Georg Büchners Wort vom Leiden als Fels des Atheismus, an Dostojewskis Iwan Karamasow sowie an Albert Camus´ Pestarzt Dr. Rieux. Letzterer ergreift entschlossen die Partei der sterbenden Opfer, deren Leid kein moralisches Handeln ändern kann; er verzichtet auf Glückserfahrung, die nur um den Preis unmoralischer Verdrängung zu haben wäre, sieht schließlich nur noch die Opfer, und so weicht die moralisch- praktische Auflehnung der Resignation und Abstumpfung (teilnahmslos nimmt er den Tod des Freundes und der Frau auf). Nebenbei wendet sich Neuhaus gegen jene Holocaust-Ideologie, welche die Opfer benutzt, um die eigene moralische Sensibilität zur Schau zu stellen, und über der Fixierung auf irreparables Leid das gegenwärtige reparable aus dem Blick verliert. Der Beitrag „Leid und die Frage nach Gott bei Jugendlichen. Eine religionspädagogische Herausforderung“ beginnt mit Ausführungen von Eva Stögbauer, Regensburg, die sich – im Umfeld ihres Dissertationsprojekts – zum Ort der Theodizeefrage in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen äußert und Ergebnisse empirischer Forschung zur Theodizeefrage im Kindes- und Jugendalter vorträgt. Anschließend bringt die Bamberger Religionspädagogin Mirjam Schambeck sf diese Anfragen und Leiddeutungen Jugendlicher ins „Gespräch mit der klassischen Theologie“, was sich auch dahingehend auswirkt, dass diese Überlegungen eher konventionell und brav ausfallen, ohne Versuche neuen Buchstabierens. Sodann zieht sie religionspädagogische Konsequenzen. Bewegend werden ihre Ausführungen erst gegen Ende in dem Exkurs „Religiöse Erziehung und Bildung nach Auschwitz“: Auszüge aus der (auf realen Erfahrungen von Überlebenden beruhenden) Erzählung von Yaffa Eliach „Jude, geh zurück ins Grab“ zeigen das beschämend abweisende Verhalten von Christen gegenüber Juden, die, dem Erschießungsgrab nackt und blutbeschmiert entstiegen, Hilfe suchten, und deuten eine „unheimliche Christologie“ (Angerstorfer) an. Auf diesem Hintergrund werden Anregungen zur religiösen Bildung gegeben (Phänomen des Zuschauers in der eigenen Klasse usw.; Sensibilität wecken dafür, dass Unrecht zulassen die am meisten verbreitete Form von Unrecht ist; Verwundbar-sein für das Weh des Anderen; Befähigung zum Handeln). Insgesamt ein hilfreicher Band. Ein Personenregister würde die Brauchbarkeit noch steigern.
Hans Kessler
Quelle: Eulenfisch Literatur 1 (2008), Heft 1, S. 52. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]