Grundlegung Ethik

Buchvorstellung - 05.02.2010

Eberhard Schockenhoff
Grundlegung der Ethik
Ein theologischer Entwurf

Freiburg: Herder 2007
584 Seiten
ISBN 978-3-451-28938-5

Aus dem Irakkrieg kennen wir den Begriff des „eingebetteten Journalisten“ mit dem Beigeschmack, dass die Unabhängigkeit der Berichterstattung solcher Journalisten unter diesem Eingebettetsein leidet. Lange Jahre konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es auch so etwas wie eingebettete Moraltheologen gegeben hat und noch gibt, eingebettet in einen Mainstream säkularer Ethik; in diesem Falle mit dem Beigeschmack, dass das Spezifikum theologischer Ethik verloren ging.
 

Das war auch für säkulare Ethiker so auffallend, dass sie theologische Ethiker regelrecht auffordern: „Say something theological“, wie der evangelische Theologe Stanley Hauerwas aus eigener Erfahrung berichtet. Für Eberhard Schockenhoff war das in seiner „Grundlegung der Ethik – ein theologischer Entwurf“ keine Befolgung einer hämischen Aufforderung, sondern offensichtlich ein Herzensanliegen. Das Markenzeichen dieses Buches ist eine zutiefst theologische Ethik, die zugleich das Gespräch mit zeitgenössischer säkularer Ethik führt. Darüber hinaus hat das Buch Lehrbuchcharakter, und man kann der Brillanz, mit der es geschrieben wurde, zutrauen, dass es einen Schlusspunkt setzt hinter eine jahrzehntelange innerkatholische Diskussion zwischen teleologischen und deontologischen Ethikentwürfen. All das gelingt Schockenhoff mit einem eigentlich einfachen Aufbau. Das Herzstück des Entwurfs ist die Tugendlehre. Anknüpfend an die Renaissance auch säkularer tugendethischer Entwürfe eröffnet er seine Reflexion mit einer philosophischen Perspektive, die im Entwurf schon offen ist für die Ergänzung durch Pflichtund Regelethiken. In der daran anschließenden theologischen Perspektive wird der Transformation des griechischen Tugendbegriffs durch die Bibel nachgegangen und auch ihrer ökumenischen Rezeption. Für diesen Teil bestimmend ist allerdings, dass eine theologische Ethik in der Trias Glaube, Hoffnung und Liebe immer schon ihre Ausrichtung aus Schrift und Tradition empfängt. Während Tugenden in der antiken Reflexion als das Resultat vernunftgemäßer Lebenspraxis erscheinen, entdecken sie sich im Glauben als Moment „vernünftiger Gefolgschaft“ (obsequium rationabile). Ähnlich stellt er im zweiten Teil seine Normtheorie vor. In der philosophischen Perspektive erscheint das „moralische Gesetz als Anordnung der Vernunft“. Die theologische Perspektive entdeckt das Gesetz als mehr und mehr sich erfüllend in der „Freundschaft mit Gott“. In der philosophischen Perspektive werden so manche moraltheologischen Quisquilien akribisch behandelt: Sein und Sollen, zugespitzt im sog. naturalistischen Fehlschluss, teleologische oder deontologische Normenbegründung mit ausführlicher Darstellung der sexual-ethischen Problematik und des Folterverbotes; all das auf der Folie eines moralischen Realismus. Als eine Art normenethischer Wasserscheide erweist sich der Personenbegriff. Oberhalb der Personenebene werden deontologische Entwürfe als die angemesseneren Argumentationsfiguren empfohlen, unterhalb der Personenebene (ökologische Ethik, Tierethik und andere Bereichsethiken) ist eine teleologische Argumentation die sachgerechtere. (S. 444). Als sehr gelungen können die sexualethischen Reflexionen bezeichnet werden, die sich im Rahmen lehramtlicher Aussagen bewegen und zugleich einen Blick für Probleme haben, die sich aus einem rapide sich verändernden Sexualverhaltens der Bevölkerung ergeben. Ausgiebig wird auch die moraltheologische Beurteilung von sittlichem Handeln dargestellt und noch einmal unterstrichen, dass die Handlungsintention für die Bewertung der Sittlichkeit der Handlung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der Kreis schließt sich wieder in der theologischen Perspektive der Freundschaft des Menschen mit Gott. Was von seinem Sollensanspruch her den Anschein haben könnte, eine Gebotsmoral zu sein, erweist sich theologisch als eine die Fülle des Lebens anzielende Orientierung an der Lebenserfahrung Israels mit seinem Gott. Sollen entschleiert sich als schöpferische Teilhabe menschlicher Vernunft an der göttlichen Vernunft. Schöpferisch darf in diesem Sinne nicht als sittliche Verbindlichkeit eigenmächtig herstellend, sondern als sie erkennend (S. 537) verstanden werden. Die Begründung von Normen wird dann in Abgrenzung zu Ockham (540ff) nicht als ein bloß blinder voluntativer Akt Gottes verstanden, sondern begriffen als zwar in Gott gründender, aber für menschliche Vernunft prinzipiell transparenter und partizipativ zu leistender Akt praktischer menschlicher Vernunft. Darüber hinaus entschleiert sich alles Gesetzhafte im Gesetz des neuen Bundes als zuvorkommende Liebe des dreifaltigen Gottes. Mit Spannung darf eine weitere Studie erwartet werden, die unter dem Titel „Theologie der Freiheit“ erscheinen wird, die die anthropologischen und theologischen Voraussetzungen der Ethik entfalten soll.

Helmut Müller

Quelle: Eulenfisch Literatur 1 (2008), Heft 1, S. 30f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]