Otto Horn/ Siegfried Wiedenhofer
Schöpfung und Evolution
Eine Tagung mit Benedikt XVI. in Castel Gandolfo
Augsburg: St. Ulrich Verlag 2007
192 Seiten
ISBN 978-3-86744-018-9
„Menschwerdung ist das Aufstehen des Geistes, den man mit dem Spaten nicht ausgraben kann“ (15, J. Ratzinger). Mit diesem Satz aus einer Rundfunkansprache aus dem Jahr 1968 ist auch heute noch die ganze Problematik auf den Begriff gebracht, mit der sich die Themen des Bandes auseinandersetzen.
Der Band umfasst ein Vorwort von Kardinal Schönborn, vier Vorträge, die nachfolgende Diskussion und einen Aufsatz von Siegfried Wiedenhofer, der den Kongressteilnehmern vorlag. Der Wiener Professor für Theoretische Chemie Peter Schuster, eröffnete den Reigen der Vorträge mit „Evolution und Design - Bestandsaufnahme der Evolutionstheorie.“ Er weist darauf hin, dass die Evolutionstheorie mittlerweile gut begründet sei, da „der morphologische und der molekulargenetische Stammbaum des Lebens von Ausnahmen abgesehen bis in feinste Détails übereinstimmen“ (40). Aufmerksamkeit erregt der Hinweis, dass die durchgängige Kleinschrittigkeit der darwinschen Evolution widerlegt sei und dass man im Verlauf der Evolution acht große Schritte feststellen könne (48, 145). Weiterhin bemerkenswert ist der Gesprächsbeitrag Schusters auf eine Anfrage des Papstes im Hinblick auf den „engen Korridor“, in dem Naturkonstanten versibel sein können ohne Folgen für die uns bekannte Gestalt des Universums, nach Harald Lesch [Anm. des Rz.] mit Folgen erst nach der dreizehnten Stelle hinter dem Komma. Dieser enge Korridor dokumentiere „einen Plan, den ich nicht in der Naturwissenschaft finde [...] Dieser Korridor kann das Werk eines Schöpfers darstellen“( 154). Ähnlich spannend liest sich der Beitrag Robert Spaemanns zum Thema „Deszendenz und Intelligent Design.“ Mit Bezug auf Leibniz spricht Spaemann von einem regnum potentiae und einem regnum sapientiae (57). Darunter sollten eher Perspektiven der einen Welt als zwei ontologische Ebenen verstanden werden. In der erstgenannten Perspektive wäre die naturwissenschaftliche Sicht der Welt im Geflecht ihrer Axiomatik zu verorten und nur in der zweiten Perspektive könnte so etwas wie ein Plan ansichtig werden (58). Der Verzicht auf zwei Perspektiven endet im Reduktionismus, weil dann gewöhnlich auf die zweite Perspektive verzichtet wird. Aber nur in dieser zweiten Perspektive wird ein produktives, schöpferisches Prinzip ansichtig: Selektion kann nur ausmerzen oder begünstigen, aber nichts Neues hervorbringen. Das Neue schlechthin ist für Spaemann Innerlichkeit (61), in der ersten Perspektive nur als hochkomplexe Materieagglomerisation erkennbar. In der anschließenden Diskussion verteidigt Spaemann die beiden Perspektiven, konkretisiert und erweitert ihre Bedeutung: Er spricht von einem „lebensweltlichen“ und einem „naturwissenschaftlichen“ Zugang zur Welt, der erstere darf nicht diffamiert werden als „Slum-Bereich des Daseins, der irgendwann [naturwissenschaftlich] saniert werden“ müsste. Dieser Zugang ist für ihn legitim, erst in ihm erschließen sich Sinn- und Wertpotenziale. Der emeritierte Naturphilosoph und Münchner Jesuit Paul Erbrich sorgte für einen heuristischen Glanzpunkt in der Reihe der Vorträge. In großen Zügen bürstet er den Verlauf der Evolution mit einer luziden Argumentation gegen den Strich: Evolution sei weniger ein fortlaufender Anpassungsprozess, sondern in einem zielstrebigen(!) (67) Verlauf eine Emanzipation von Anfangsbedingungen: Fische kriechen in Gestalt von Amphibien ans feste Land, Reptilien erobern sogar Wüsten. Sie nehmen „das Meer“ in ihren Eiern (mit Verdunstungsschutz) mit. Reptilien sind damit maximal vom Wasser emanzipiert, weiter geht es nicht. Säuger wälzen sich nicht mehr schwerfällig über die Erde, sondern rennen wieselflink kaum noch mit Bodenhaftung durch die Steppe, Vögel erobern sogar die Luft, alle Klimazonen werden bevölkert. Im Menschen emanzipiert sich ein Lebewesen immer mehr von den Zwängen der Umwelt (69f), erschließt die Sphäre des Geistes und dringt ins Weltall vor. Dass die Biologie teleologiefrei, wie ein Computer virusfrei bleiben soll (68), erscheint in dieser Perspektive als ein letzter Zwang eines überkommenen Modells, Evolution zu verstehen. Verwunderlich ist dann nicht mehr, dass es mit dem Auftauchen von Lebendigem zu einer Art Schubumkehr kommt: Im Bereich des Anorganischen strebt alles ob Atom oder Galaxie zum toten Punkt des thermodynamischen Gleichgewichts, das Organische strebt aber genau davon weg (75). In den Meisterwerken menschlicher Technik werden Naturgesetze mit Hilfe von Naturgesetzen regelrecht überlistet: 400 Tonnen mit 800 Passagieren werden auf 10.000 m Höhe mit 800 km/h (72) stundenlang und meilenweit durch die Luft geschossen. In der anschließenden Diskussion wurden die Anregungen Paul Erbrichs mit Sympathie aufgenommen und Zielstrebigkeit positiv konnotiert. Kardinal Schönborns Beitrag „Fides, Ratio, Scientia“ lässt sich auf einen Nenner bringen, den Thomas schon im Mittelalter formuliert hat: „Res inter duos intellectus constituta“. Die Dinge sind zwischen zwei Vernünften konstituiert, nämlich der göttlichen Vernunft, die sie erdacht hat, und der menschlichen Vernunft, die sie ergründen kann“ (118). Der Kardinal wehrt sich dagegen, dass sich im Bereich der Naturphilosophie die Rationalität des philosophischen Materialismus kaum zu rechtfertigen braucht, ein rational verantworteter Glaube aber sehr wohl. Eben letztere Verantwortung leistet der im Anhang befindliche Beitrag Siegfried Wiedenhofers „Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie. Unterscheidung und Schnittpunkt“. Wiedenhofer bezieht sich vor allen Dingen auf Schaefflers transzendentalphilosophische Überlegungen, Kausalität in den unterschiedlichen Perspektiven von Schöpfungstheologie und Naturwissenschaften zu thematisieren. Alles in allem ein überaus anregendes Buch, das vor allem in den anschließenden Gesprächen, die verschiedenen Positionen der Teilnehmer erhellt.
Helmut Müller
Quelle: Eulenfisch Literatur 1 (2008), Heft 1, S. 28f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]