Schöpfung und Evolution

Buchvorstellung - 02.02.2009

Joachim Klose/ Jochen Oehler (Hg.)
Gott oder Darwin?
Vernünftiges Reden über Schöpfung und Evolution

Berlin: Springer Verlag 2008
415 Seiten
ISBN 978-3-5407-7935-3

Das Buch ist aus der Zusammenarbeit zwischen dem Bildungswerk Dresden der Konrad Adenauer Stiftung, dem Studium Generale der TU Dresden, der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und des Verbandes der Biologen hervorgegangen. Es versammelt auf über 400 Seiten 25 Aufsätze namhafter Gelehrter, die ein weites Themenspektrum behandeln:

Es geht um die Auslegung der biblischen Schöpfungsberichte und des Dogmas von der creatio ex nihilo. Es geht um die Kritik an antitheologischen Folgerungen aus der Naturwissenschaft, aber in anderen Beiträgen auch um deren Verteidigung. Es geht um die Wissenschaftsgeschichte und einzelne Phasen der Evolution, insbesondere die Hominisation. Es geht schließlich um Politik, Technik, Ästhetik, Kunst und Literatur, über den Begriff „Kreativität“ locker an das titelgebende Thema angebunden.

Beginnen wir die inhaltliche Auseinandersetzung, die mehr als sonst selektiv sein muss, mit einem Zitat von Ernst Peter Fischer: Leicht gerät in Schwierigkeiten, wer sein Erklärungsschema überzieht (und es wäre nicht überraschend, wenn sich Beispiele dafür auf den Sei-ten dieses Buches finden lassen) (96); jedoch ist dem Buch zugute zu halten, dass mithilfe anderer Seiten des Buches diese Vorgänge auch wieder nachvollziehbar werden. So erklärt Hans Mohr kategorisch: Unsere moralische Kompetenz ist das Werk der Evolution. Man darf freilich nicht damit rechnen, dass die Details der Moralen genetisch determiniert sind. Es sind eher die moralischen Universalien, die in unseren Genen kodiert sind. (263) Warum – um Himmels willen - sollen wir ihm das glauben? – Die Untersuchung zur Entwicklung des Gehirns und der Sprache des Psycholinguisten Manfred Bierwisch (173-200) zeigt das Paradox auf, dass dem Frühmenschen die angeborene Sprachlernfähigkeiten nichts nützte, solange es keine Sprache mit einer gewissen grammatischen Komplexität und einem minimalen Symbolvorrat gab, dass aber eine Sprache nicht entwickelt werden konnte, so lange es noch keine angeborene Disposition dazu gab. Und er schließt: Ob es gelingt, die neuronale Basis für diese Phänomene zu identifizieren und zu verstehen, ist offen. (200) Zauberwörter der Neurologie sind: Netzwerk, Plastizität und Selbstorganisation; wie viel wir mit unserem Gehirn machen können, zeigt das Training von Schlaganfallpatienten, die lernen können durch Gehirnschädigung ausgefallene Bewegungssteuerung – etwa zum Gehen oder Greifen – mit anderen, ungeschädigten Bereichen des Gehirns erneut auszuführen. Während also die Fachleute allererste Bausteine einer Theorie der Gehirntätigkeit zusammensetzen und weit davon entfernt sind, scharfe Unterschiede zwischen genetischen und epigenetischen Faktoren zu ziehen, erklärt uns der Botaniker Hans Mohr, der die Lichtempfindlichkeit des Weißen Senfs und andere Details der Pflanzenphysiologie erforscht hat, schon mal unverdrossen, dass er sich der genetischen Festlegung unserer moralischen Universalien sicher sei. Sein evolutionstheoretischer Horizont reicht gerade aus, reziproken Altruismus (265f) zu akzeptieren und ihm Bestand in der natürlichen Evolution zuzugestehn. Gleich ein paar Seiten weiter kommt Uwe Claußen hinsichtlich der Frage Braucht unsere Gesellschaft Behinderte? Zu dem Schluss: Eine Gesellschaft ohne aus jetziger Sicht „Behinderte“ muss zwangläufig zumindest auf lange Sicht neurotische Züge entwickeln. Der Druck zum Supernormalen .. wäre für jedes Einzelmitglied einer solchen Gesellschaft bald unerträglich. (273)

Auch die Theologie entlarvt sich in diesem Buch als Kommunikationssystem, in dem of-fenbar Erklärungsschemata überzogen werden: So erwartet man die Auslegung eines Dogmas - der creatio ex nihilo - von einem Dogmatiker, und Josef Wohlmuth leistet solide dogmatische Arbeit, indem er die Vorgabe der Tradition dadurch „erklärt“, dass er sie un-ter Rückgriff auf Ideen von Emanuel Levinas und Thomas von Aquino in Zusammenhänge einpasst, letztlich in den Zusammenhang christlicher Heilshoffnung insgesamt: Man sollte nicht so tun, als sei man .. bei der Erschaffung der Welt dabei gewesen. .. Der Glaube an den Gott der creatio ex nihilo besagt, dass er sein Vertrauen auf einen Gott setzt, der Nichtseiendes ins Dasein rufen und Tote zum Leben erwecken kann. (71) In der Sicht des Exegeten Klaus Berger hätte sich der Dogmatiker die Mühe sparen können; er glaubt zeigen zu können, dass die Bibel weder sagt, Gott habe alles geschaffen, noch er habe alles aus nichts geschaffen. (74) Denn das Nichts ist für Juden nicht denkbar. (76) Demnach muss 2 Makkabäer 7,29 als Text griechischen Ursprungs, ohne hebräische Vorlage wohl als „unbiblisch“ eliminiert werden. (74) Und Berger nimmt es auch der antiken und mittel-alterlichen Kirche übel vom Kausaldenken der Vorsokratiker gelernt zu haben, um den Be-griff der Schöpfung als creatio ex nihilo in ihre Theologie zu integrieren. Aber warum verbietet Berger dem Gottesvolk von den Philosophen zu lernen, wie es zuvor von den Ägyptern, Phöniziern, Babyloniern, Persern und all den anderen Völkern gelernt hat?

Das Problem der überzogenen Erklärungsschemata und der ungedeckten Schecks auf künftige Forschung, die sich noch selten an die Prognosen der Altvorderen hielt, sollte im Auge behalten, wer sich dem Buches überlässt, das immer dann am stärksten argumentiert, wenn es aus der aktuellen Forschung berichtet, gleich ob theologischer, natur- oder geisteswissenschaftlicher Fakultäten. So gesehen haben mir außer den bereits erwähnten Aufsätzen von Josef Wohlmut, Uwe Claußen und Manfred Bierwisch die dogmatische Ab-handlung über die Kreativität Gottes von Hans Kessler (27-58), der philosophische Essay von Robert Spaemann (81-94), die wissenschaftshistorische Arbeit von Thomas Junker (105-118), der paläoanthropologische Denkanstoß von Josef Reichholf (159-172) und der Aufsatz von Hans Rüdiger Schwab über die Reaktionen der Gegenwartsliteratur auf die moderne Biologie und Biotechnologie (361-386) am besten gefallen.

Karl Vörckel