Jerusalem: Reiseliteratur

Buchvorstellung - 08.12.2009

Max Küchler
Jerusalem
Ein Handbuch und Studienführer zur Heiligen Stadt
(Orte und Landschaften der Bibel; Bd. IV, 2)

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007
1266 Seiten
ISBN 978-3-525-50170-2 Pick It!

Die Bezeichnung „Handbuch“ scheint mir etwas untertrieben, obwohl sie in der Sache stimmt: Das dreipfündige und fast 1300seitige Werk – ein „mattone“ (Ziegelstein), wie Bücher dieses Formats im Italienischen heißen – ist ein Solitär in der Reiseliteratur zur Heilige Stadt. Etwas anderes war von der Reihe, in d

Max Küchler, Neutestamentler und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Fribourg, will Bewohnern und Besuchern Jerusalems dienen, um diese Metropolis (=Mutterstadt) von Juden, Christen und Muslimen durch „aufgeklärte Begeisterung“ (IX) von ideologischen Überformungen befreien zu helfen. Dabei ist ein Buch herausgekommen, durch das sich der Leser gespannt durchlesen oder detailliert navigieren kann. Die Struktur der gesamten Reihe gilt auch hier: Einführendes zu Lage, Name, Geschichte und Besichtigung wird an einzelnen größeren Einheiten vertieft und nochmals für Details spezifiziert. Frontispizkarten, ein abschließendes 16. Kapitel zur Geschichte Jerusalems (1096-1139), ausführliche bzw. im laufenden Text immer wieder benutzte Quellen sind in Anhängen beigegeben und erschlossen, neben einem großen Literaturverzeichnis sowie üblichen Registern wird sogar ein kleines Fachlexikon angefügt. Was ist der Inhalt? Das Handbuch erschließt Jerusalems Topographie in sinnvollen Einheiten: der Südosthügel als Siedlungsbeginn und Davidsstadt (1.), die Mauern und Tore (2.), der Nordosthügel mit dem heiligen Berg (3.), der archäologische Park (4.), der christliche Ost-West-Weg (5.), die antiken Nord-Süd-Wege (6.), das armenische Viertel (7.), das (inzwischen vierte) jüdische Viertel (8.), der christliche Sionsberg (9.), das Kedrontal (10.), das Hinnomtal (11.), der Ölberg (12.), der Norden bzw. Westen der Altstadt (13. bzw. 14.) und zuletzt die großen Museen (Israel Museum, Bible Lands Museum, Rockefeller Museum: 15.). Dabei dienen die verschiedenen methodischen Zugänge zu der jeweiligen Einheit dem Ziel, nicht nur archäologisch und historisch möglichst präzise die Spuren des Heiligen an seinen Orten zu sichern, sondern auch die Textzeugen von der Hl. Schrift (die Evangelien in synoptischen Tabellen) über die Kirchenväter und Pilgertexte (in ausführlich pétitgesetzten Auszügen) bis hin zu neuzeitlichen Dokumenten heranzuziehen. Als Beispiel kann das 5. Kap. zum christlichen Ost-Weg- Weg dienen. Er führt von den Betesdateichen und christlichen bzw. muslimischen Orten über den Stätten der Via dolorosa bis zur Grabeskirche, die als heiliger Ort und „steinerne Torheit einer geteilten Christenheit“ vorgestellt wird. Dabei werden die Ortstraditionen kritisch plausibilisiert sowie Geschichte und bauliche Gestalt von Golgota, Herrengrab und Anastasis nach archäologischen, baugeschichtlichen, exegetischen, patrologischen und liturgischen Quellen (der Bericht der Etheria sowie die Zeugnisse des armenischen Lektionars) in ihrem Sinne erschlossen und theologisch reflektiert. Die liturgische Topographie Jerusalems führt dabei historische, biblische und theologische Aspekte zusammen: Der Reiseführer kann als Pilgerführer dienen. Aber dies ist bei weitem nicht alles. Denn vor allem soll „jener Zynismus vermieden werden, den das kontextlose Aneinanderreihen von jüdischen, christlichen und islamischen Einzeltraditionen letztlich auslöst und der Jerusalem zur Kulisse von allerhand religiösen Absurditäten, spinnigen Außenseitern, tendenziösen Lokaltraditionen und theologischen Grabenkämpfen verkommen lässt“ (IX). Die bewusste und behutsame kontextuelle Erschließung der Orte zeigt so beispielsweise die Brüche und Kontinuitäten in der Bebauung des Nordosthügels und vermittelt ein entspannendes Wissen um Zusammenhänge, die anderen Handbüchern dieser Art verborgen bleiben. So lässt sich „die omaij.[adische] Erstausstattung des Felsendomes als eine interpretatio islamica und Renaissance der Heilsmotive des biblischen Tempels interpretieren“ (251), ähnlich wie auch die Anlage der Grabeskirche oder die Bebauung des Ölbergs als Übertragung der heilsgeschichtlichen Rolle des Tempelberges auf einen neuen christlichen Gehalt verstehbar wird. Dabei verhindert der „geschichtete“ und sich in Einzelbeschreibungen ausdifferenzierende Aufbau der Darstellung, was viele andere – auch hochrangige – Reiseführer schnell erzeugen können: trockene Langeweile gerade wegen allzu vieler bunter, aber unverbundener Details. Die trotz aller Materialfülle mögliche fortlaufende Lektüre und Betrachtung der Bildquellen ist nicht mühsamer als die eines anspruchsvollen Romans; der Wert des Handbuchs wird sich aber wohl erst an Ort und Stelle erschließen, wenn nicht nur die üblichen Fragen auf Antwort warten. Dieses Handbuch – und darum ist es wirklich eines – ersetzt eine Reisbibliothek. Sie hilft auch den theologisch Interessierten, die Orts- und Zeitgebundenheit des christlichen Glaubens theologisch in den Blick zu bekommen und dessen Bedeutung in seiner Geschichtlichkeit zu erfahren. Insofern ist dieses Werk keine bloße Reiseliteratur, sondern im besten Sinn ein theologisches Werk, dessen „aufgeklärte Begeisterung“ nicht nur den eigenen Glauben, sondern die jüdische und muslimische Nachbarschaft verstehen hilft. Eine Herausforderung und ein Lesevergnügen, vom praktischen Wert ganz zu schweigen! (Peter Hofmann)

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 36 (2007), Heft 4, Seite 211f.
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„Jerusalem ist eine Stadt, mit der niemand zu Rande kommt“ (VII). So beginnt dieses Buch, von Max Küchler, Professor für Neues Testament und Biblische Umwelt an der Universität Freiburg/Schweiz. Dass er von der Heiligen Stadt fasziniert ist, merkt man in jeder Zeile dieses Monumentalwerks. Erschienen in der Reihe „Orte und Landschaften der Bibel“ (OLB), die 1969 von M. Küchler und Otmar Keel konzipiert wurde, ist es Zeichen für lebenslange Hingabe Küchlers an Geschichte und Gegenwart der Heiligen Stadt und der biblischen Religion. 1982 erschien als erstes der zweite Band („Der Süden“), 1984 der erste („Geographisch-geschichtliche“ Landeskunde). Es dauerte stolze 23 Jahre, bis die weiteren Bände erschienen: Das Jerusalem-Handbuch in der Verantwortung von M. Küchler sowie einige Monate danach „Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus“ von O. Keel, das in zwei Teilen herausgegeben wurde. 15 Jahre Arbeit steckt zwischen den Deckeln dieses Werks (VIII), und man erschaudert vor Ehrfurcht ob dem hier zusammengetragenen archäologischen und historischen Wissen, das man wie bei den ersten beiden Bänden der Reihe nirgends in dieser Breite aufbereitet und zusammengetragen findet. In 16 Kapiteln führt M. Küchler durch die Stadt der Weltreligionen. 14 davon sind geographisch orientiert: 1. Südosthügel, 2. Mauern und Tore der Stadt, 3. Nordosthügel, 4. Archäologischer Park, 5. Ost-West-Weg (Löwentor-Jaffator), 6. Nord-Süd-Wege (die beiden cardinis), 7. Armenisches Viertel, 8. Jüdisches Viertel, 9. Südwesthügel (christlicher Sion), 10. Kedrontal, 11. Hinnomtal, 12. Ölberg, 13. Nördlich der Altstadt, 14. Westlich der Altstadt. Das 15. Kapitel widmet sich den drei große Museen (Israel-M., Bible-Lands-M. & Rockefeller-M.). Abschließend wird eine ausführliche Geschichte Jerusalems in Tabellenform geboten (16.), in welcher alle wichtigen geschichtlichen Ereignisse, Herrscher, Bauten, Besucher (Pilger und Forscher) sowie die benutzten Quellentexte eingearbeitet sind. Die Anhänge bieten weitere Materialien: Texte und Bilder zum Anschauen vor Ort, eine Dokumentation des wissenschaftlichen Unterbaus sowie ein kleines Lexikon mit Fachbegriffen.

Das Buch folgt der Logik der Reihe OLB. Jedes Kapitel ist nach dem gleichen Muster aufgebaut und in vier Teile untergliedert: Zunächst werden Lage (1), Name (2) und Geschichte (3) eines Monuments erarbeitet, bevor eine detaillierte Besichtigung des heutigen Befundes (4) vorgenommen wird. 650 Karten, Pläne und Abbildungen, die sorgfältig bearbeitet sind, verdeutlichen sehr anschaulich die Beschreibungen, unzählige Querverweise und Quellenangaben laden zum Schmökern und Weiterlesen ein. Zudem enthält das Buch zahlreiche bibeltheologische Impulse. „Den Lesern wird es beim Navigieren durch dieses Buch ähnlich wie beim Durchstreifen der Stadt gehen: Sie werden vom Sog der vorerst unbekannten Stadt erfasst, bis sich ihnen aus dem unübersehbaren Geflecht von alten und neuen Traditionen und Bauten ein eigenes, erarbeitetes und ergangenes Bild der uralt-lebendigen Stadt ergeben hat“ (XI). Der Entdeckerreise kreuz und quer durch das Buch sind keine Grenzen gesetzt. Ein kleiner (rein äußerlicher) Makel hat das Buch jedoch: Das Papier des Buches ist etwas dünn. Die Seiten scheinen durch, was sich insbesondere bei genauerer Betrachtung von einer der 650 hervorragend aufbereiteten Abbildungen oft als störend erweist. Vielleicht wäre es an diesem Punkt besser gewesen, das Buch auf Kosten des Gewichts wie beim Parallelwerk von O. Keel zu teilen. Es läge dann sicher besser in der Hand. Mit seinen 1,5 Kilogramm Gewicht ist es zudem ein zu schwerer Wälzer, als dass man ihn gern als Reiseführer vor Ort einsetzt. Dessen ungeachtet ist das Buch als Vor- und Nachbereitung einer Reise in die Heilige Stadt dezidierter Helfer und wird wohl auf Jahre das Standardwerk schlechthin zu Jerusalem bleiben. Wenngleich nach M. Küchler eine Beschreibung der Stadt stets im Fragment endet (VII) – er hat einen einzigartigen Zugang zur Heiligen Stadt geschaffen, der aus Begeisterung für sie entstanden ist und Begeisterung für sie wecken will (IX). Jerusalem wird zum Eingangstor zur Welt der Bibel, zu seiner Religions-und Kulturgeschichte – zur unergründlichen Geschichte Gottes mit den Menschen, die sich in Jerusalems Pflaster eingeschrieben hat. Die Mühe hat sich gelohnt.

Joachim Lauer

Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 10 (2009)