Dichter: Religiös-weltanschauliche Entwicklungen

Buchvorstellung - 18.09.2009

Franz-Josef Kuschel
„Vielleicht hält Gott sich einige Dichter ...“
Literarische Skizzen
Band 1 (Topos Tb. Bd. 556)

Kevelaer: Verlagsgemeinschaft Topos plus 2005
344 Seiten
ISBN 978-3-7867-8556-9 Pick It!

Karl-Josef Kuschel, Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen, ist der literarisch produktivste und zugleich schulbildende Grenzgänger im Zwischenbereich von Theologie und Literatur.

Bereits 1991 veröffentlichte er literarischtheologische Porträts unter dem Titel „Vielleicht hält Gott sich einige Dichter...“. Trotz einer zweiten Auflage im Jahre 1996 stieß das Buch bis heute auf eine solche Nachfrage, dass sich der Verlag entschloss, eine Neuausgabe in Taschenbuchform vorzulegen. Aufgrund der neueren Literatur, der Entwicklung der eigenen Einsichten und der Tatsache, dass zwischenzeitlich neue Porträts entstanden sind, hat sich der Autor zu einer grundlegenden Überarbeitung entschlossen, die auf zwei Textbände im Taschenbuchformat angelegt ist. Der vorliegende erste Band enthält Studien zur religiös-weltanschaulichen Entwicklung von Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Else Lasker- Schüler, Gottfried Benn, Kurt Tucholsky und Hermann Hesse. Bei Joseph Roth und Thomas Mann beschränken sich die Beiträge auf die Interpretation des „Hiob“ bzw. der Erzählung „Das Gesetz“. Für den Leser, der Zugang zur Literatur hat und der sich für den Facettenreichtum religiöser Wahrnehmung in einer säkularisierten Welt und deren literarische Verarbeitung interessiert, bieten die Porträts ein anspruchsvolles Lesevergnügen und beachtlichen Erkenntnisgewinn. Kuschels Option für Qualität zeigt sich schon in der Auswahl. Nur solche (deutschsprachigen) Autoren werden vorgestellt, deren Werke unbestrittene Anerkennung erlangt haben und zur „großen“ Literatur zählen. In den Methoden philologischer Interpretation erweist sich Kuschel als handwerklich sicher, aber auch sensibel für die Nuancen sprachlichen Ausdrucks. Dabei ist seine Darstellung frei von überzogener Fachbegrifflichkeit und verliert den allgemein interessierten Leser nicht aus den Augen. Er verwurzelt die weltanschauliche und literarische Entwicklung der von ihm ausgewählten Autoren in biographische und zeitgeschichtliche Zusammenhänge und macht auf diese Weise Positionen und Motive verständlich und nachvollziehbar. Besonders nachdenklich stimmen in diesem Zusammenhang die religiösen Biographien Rilkes und Benns, von denen der eine Opfer der pathologischen Frömmigkeit seiner vom Leben enttäuschten Mutter wird, der andere sich als 18jähriger in einem jähen Bruch aus der konventionellen kirchlichen Welt seines Vaters, eines evangelischen Pfarrers, befreit. Die Interpretationen halten sich eng an die Texte, wobei aussagekräftige Passagen ausführlich zitiert werden.. Diese bieten sich als Material für einschlägige Unterrichtsprojekte, Seminarveranstaltungen in Hochschule und Erwachsenenbildung an. Hilfreich ist der Literatur- und Anmerkungsteil (S. 316-342), der die maßgebenden Werkausgaben und die Sekundärliteratur – unterteilt nach Biographien, Werk- und Forschungsgeschichte sowie Spezialuntersuchungen zum Thema Religion – auflistet. Worin besteht der Wert von Kuschels theologisch- literarischen Forschungen, die er selbst „Theopoetik“ nennt? Es geht ihm nicht um Vereinnahmung der Literatur durch die Theologie, auch nicht um literarische Spurensuche zur Bereicherung kirchlicher Religiosität. Kuschel sieht, wie sein Schüler Langenhorst ausführt, „die Literatur als ein Mittel, Einsicht und Erkenntnis zu fördern, Verstand und Vernunft zu etablieren, aber nicht im Gegensatz zu Religion, sondern im Kontext von Religion, die immer über diese Größen hinausgeht“ (Theologie und Literatur“, S. 73). Trotz aller Anerkennung dieses Bemühens und bei aller Hochachtung vor den Lebensleistung Kuschels bleibt die bohrendzweifelnde Frage, ob Religion und aufklärerische Vernunft „kontextuell“ miteinander leben können oder ob letztere nicht doch eine unwiderstehlich zersetzende Wirkung auf den notwendig mythischen Kern von Religion ausübt. (Rüdiger Kaldewey)

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 36 (2007), Heft 3, S. 130.