Christliche Gesellschaftslehre: Armut
Buchvorstellung - 11.08.2009
Thomas Wagner
Draußen – Leben mit Hartz IV
Eine Herausforderung für die Kirche und ihre Caritas
Freiburg: Lambertus-Verlag
184 Seiten
ISBN 978-3-7841-1822-2
Wie lebt man mit dem Hartz-IV-Regelsatz von 347 Euro im Monat? Das wissen die Millionen der Empfänger ungeschminkt aus schmerzlicher Erfahrung zu erzählen. Daher wurde für dieses Projekt des „sozialpolitischen Arbeitskreises“ im Bistum Limburg auch dem Originalton der Vorrang gegeben.
Neun kommentierte Interviews mit Menschen, die „draußen“ stehen, außerhalb der Arbeitsgesellschaft, und nichts sehnlicher wünschen, als wieder „drin“ zu sein. In diesen biografischen Porträts bekommt das „Leben mit und im Hartz-IV-Bezug konkrete Gesichter“, wobei sowohl die schwierigen materiellen Situationen deutlich werden als auch die sozialen Folgen und die daran anknüpfenden Sinnfragen (17). Die qualitativen Interviews aus dem Frühjahr 2007 wollen gar nicht repräsentativ sein (obwohl sie es vermutlich sind), sondern exemplarisch einige wichtige „Problemgruppen“ unter den Empfängern dieser staatlichen Hilfe vorstellen (18). Es sind Menschen verschiedener Altersgruppen mit ganz unterschiedlichen biografischen und sozialen Kontexten. Und ihre Auskünfte hinterlassen nicht nur Betroffenheit und Mitgefühl, sie verursachen einen ätzenden Nachgeschmack über die Gerechtigkeitsdefizite dieser gepriesenen Arbeitsmarktreform. Der Kritik am System widmet sich Wagner (neben vielen situativen Sachinformationen innerhalb der Porträts) in seiner „sozialethischen Bewertung“ (142-164). Die „Option für die Armen“ steht hier als biblisch-theologischer Kernbegriff im Mittelpunkt, von wo aus kirchliches Handeln als auch eine gesellschaftspolitische Kritik ihr Profil erhalten. Auf dieser Linie unterstreicht auch Bischof Franz Kamphaus in seinem engagierten Vorwort, dass Kirche sich nur dort treu bleibe, „wo sie sich an die Seite derer stellt, die unter die Räder zu geraten drohen“ (7). Dass der Eckregelsatz des ALG II mit 347 Euro „nicht das soziokulturelle Existenzminimum sichere“ (152), haben die Wohlfahrtsverbände mehrfach reklamiert. Generelles Fazit ist für Wagner, „dass es eine armutsfeste Grundsicherung, die als eine Verkörperung der Option für die Armen zu interpretieren wäre, in Deutschland nicht gibt“ (154). Das Buch gibt nicht nur denen eine Stimme, die oftmals pauschal abgeschrieben werden, es leistet ebenso eine fällige Aufklärung über den aktuellen Status des „Sozial“-Staates. Es ist schon wegen seiner authentischen Berichte der Leidtragenden in die Hände aller politisch Verantwortlichen zu wünschen. Oder wie es eine Auszubildende treffend ausdrückt: „... die Merkel, die müsste mal tauschen.“(48). (Reiner Jungnitsch)
Quelle: Religionsunterricht heute. Informationen des Dezernates Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz 36 (2008), Heft 1, S. 38.