Die Kraft und Eigenart biblischen Glaubens war es ja immer, zwischen Gott und Götzen zu unterscheiden und, zuerst gegen sich selbst, radikal religionskritisch zu sein. Werbick gehört zu jenen systematischen Theologen, die beispielhaft stets das Gespräch zur praktischen Theologie und eben zur Religionspädagogik gesucht haben. Diese Basisnähe prägt, bei aller Anstrengung des Begriffs, auch diese opulente Gotteslehre, und macht sie zum unentbehrlichen Ratgeber und Handbuch im religionspädagogischen Orientierungs- und Vermittlungsgeschäft. Sachgemäß braucht es zuerst gründliche Reflexionen über Sinn und Tragweite des Gott-Sagens überhaupt, im Kontext des neuzeitlichen Atheismus erst recht. Dem dienen die ersten Kapitel. Aber nehmen wir, der Kürze halber, aus den sieben großen Abschnitten nur drei etwas näher unter die Lupe. Ausführlich diskutiert Werbick die gegenwärtigen Monotheismus-Debatten – ob in der Variante von Jan Assmann, der dem biblischen Gottesglauben strukturelle Gewaltförmigkeit unterstellt, sei es in der Variante z.B. von Willigis Jäger, der eine pantheisierende Spiritualität in den Mittelpunkt stellt. In der Tat, so ein Fazit, haben Theologie und Kirche hierzulande Nachholbedarf, um das innigste Ineinander von Gott, Welt und Mensch panentheistisch in den Blick zu nehmen. Aber diese notwendige Überwindung dualistischer Denkfiguren und Lebensformen darf nicht ins andere Extrem umschlagen – einer Verschmelzungsmystik nämlich, in der der wohltuende Unterschied von Schöpfer und Geschöpf verloren geht und das bleibende Gegen-Über-Sein Gottes innerweltlich „mystisch“ aufgehoben wird. Werbick erläutert dies (zu) kurz z.B. an Meister Eckhart – und in einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Altvater des gegenwärtigen Pantheismus, Spinoza. Auch hinsichtlich der Gewaltfrage zeigt sich Werbick nicht nur genau informiert, sondern meisterlich unterscheidend. Noch stärker hätte hier m.E. die Unterscheidung von Gott und Götzen unterstrichen werden können. Deutlich jedenfalls wird herausgearbeitet, wie sehr die Gewaltfrage auch in außerbiblischen Kulturen und Religiositäten ein zentrales Problem war und im heute allseits empfohlenen Ganzheitsdenken auch bleibt. Darin die Unterscheidungskraft des Biblischen aufdeckend und dadurch erlösend herauszustellen, ist die Aufgabe, die Werbick schultert. Auch die ausführlichen Kapitel über die Eigenschaften Gottes sind ausgesprochen zeitsensibel und beleuchten facettenreich z.B. die Theodizeefrage: wie vom Handeln Gottes sprechen, wie von seinem Willen, wie von seiner Allmacht und Gerechtigkeit angesichts der realen Verhältnisse? Auch hier zeigt sich Werbick ganz auf der Höhe neuzeitlichen Denkens mit Aufklärung und Religionskritik und entfaltet entschieden Sinn und Tragweite christlicher Gottesrede. Nicht zufällig widmet sich das große Schlusskapitel der Frage, warum gerade Christen den jüdischen Monotheismus trinitarisch entfalten und „im Geist durch Christus zu dem Gott, der uns Vater und Mutter ist“ beten. Nichts von himmlischer Mathematik, nichts von theologischem Glasperlenspiel, sondern wirklich die besondere Mitte des Christlichen: Gott ist demnach in sich selbst wirklich so, wie er sich „für euch und für alle“ offenbart – absolut beziehungsreich und Beziehung stiftend: neuer Bund in Christus und seinem Geist. Die innigste Nähe, ja Einheit zwischen dem Menschen Jesus und seinem Gott, die der Osterglaube bekennt, wird von früh an zur Herausforderung, das Geheimnis der Beziehung überhaupt zu denken – so dass Gott den Menschen nicht zum Durchlauferhitzer seiner Göttlichkeit innerweltlich degradierte oder der Mensch Gott zum Spielball seiner eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Nöte projektiv erniedrigte. Stattdessen realisiert sich wechselseitig freigebende Freiheit, wie es für Christen grundlegend in Jesus Christus anschaulich und offenbar ist. Wer an diesen Gott glaubt, wird nicht weniger Mensch, ganz im Gegenteil; wer derart Mit-Mensch und Mit- Geschöpf wird, lebt gerade aus dem wohltuenden Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf – ein Unterschied freilich, der innigste Einheit ermöglicht und schafft, wirkliche communio. Lehre ist nicht Leben, selbstverständlich. Wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt und nicht in einer medizinischen Vorlesung; wenn ich Glauben praktiziere und vermittle, brauche ich unmittelbar keine Gotteslehre. Aber um genau dies tun zu können, braucht es nicht nur Nachschlagewerke für den Sonderfall – das leistet dieses Buch hervorragend auch. Noch wichtiger ist es, den Gesamtzusammenhang reflektierend zu verstehen, argumentativ begreifen und dann vermitteln zu können: also Lehre im Dienste des Lebens, Gotteslehre im Dienste der Religionslehre. Deshalb lohnt es sehr, dieses imponierende Werk zu studieren, auch häppchen- und kapitelweise. Zwar fehlt leider ein Stichwortverzeichnis, aber genaue Gliederung und Personenregister helfen gut zur Orientierung. Informierende Referate, genaue Entfaltungen und viele kostbare Primärzitate versprechen einen großen Lern- und dann auch Lehrgewinn.
Gotthard Fuchs
Quelle: Eulenfisch Literatur 1 (2008), Heft 1, S. 48f.
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Armin Kreiner
Das wahre Antlitz Gottes oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen
Freiburg: Herder 2006
544 Seiten
ISBN 978-3-451-28776-3
Jürgen Werbick
Gott verbindlich. Eine theologische Gotteslehre
Freiburg: Herder 2007
670 Seiten
ISBN 978-3-451-29379-5
Das mag einen verwundern: Innerhalb kurzer Zeit sind im Herderverlag zwei Gotteslehren von Fundamentaltheologen erschienen. Im Juni des vergangenen Jahres das Buch des Münchener Fundamentaltheologen Armin Kreiner und im Februar dieses Jahres das Werk des Münsteraner Fundamentaltheologen Jürgen Werbick. Geht da nicht ein Verlag das Risiko ein, dass eines der beiden Bücher dem anderen den Rang ablaufen wird und es so zu einem partiellen Verlust des Verlages kommen kann? Aber der Vergleich der beiden Bücher zeigt schnell, dass eine derartige ökonomische Interessenkollision nicht zu befürchten ist. Allein schon deshalb, weil die theologische Herkunft der beiden Autoren zu verschieden ist. Beide Theologen verbindet der Beginn ihres wissenschaftlichen Schaffens in München. Werbick wurde im Wintersemester 1973/74 in München aufgrund einer Arbeit mit dem Titel „Die Aporetik des Ethischen und der christliche Glaube. Studien zur Fundamentaltheologie Gerhard Ebelings“ promoviert. Heinrich Fries war der begleitende Doktorvater. Armin Kreiners Promotion erfolgte 1985 aufgrund seiner Arbeit „Religion zwischen Theorie, Apologie und Kritik der Religion. Peter L. Bergers Theorieansatz in theologischer Perspektive.“, Heinrich Döring war der Doktorvater. Damit sind dann schon auch die unterschiedlichen methodischen und inhaltlichen Ansatzpunkte des Theologisierens der beiden angedeutet. Armin Kreiners Buch ist aus seinen Vorlesungen an der Mainzer Universität gewachsen, die er unter dem Titel „Philosophische Gotteslehre“ gehalten hat. Sein Werk ist streng analytisch religionsphilosophisch konzipiert und in zwölf Teilschritte untergliedert. Das erste Kapitel (17-33) ist dem Problem der Umstrittenheit des Gottesbegriffs gewidmet. Das zweite Kapitel (35-73) entfaltet die These von der Unbeschreibbarkeit Gottes. Im dritten Kapitel (75-109) wird das Reden von Gott in menschlichen Begriffen betrachtet: analoge, metaphorische und mythische Rede. Im nächsten Kapitel (111-145) setzt sich Kreiner mit den Einwänden gegen die Möglichkeit wahrer Rede von Gott auseinander, daran schließen sich Ausführungen zur Entstehung des Gottesbegriffs an (147-175). Darauf aufbauend wird die Geltung des Gottesbegriffs behandelt (177-222). Die Maxime religiöser Rede von Gott entfaltet Kreiner dann im Kontext der 5 biblisch-christlich-kirchlichen Tradition (223-255), konsequent schließt sich die Betrachtung von Gott als personalem Grund der Welt an (257-305). Die Gotteseigenschaft der Allmacht und Allwissenheit wird in der Folge behandelt (307-369), um dann die Allgegenwart und Ewigkeit zu betrachten (371-431). Das vorletzte Kapitel ist den moralischen Eigenschaften Gottes gewidmet (433-482) und das letzte Kapitel wirft die Frage nach der Existenz Gottes auf und schließt mit Kreiners Wollensbekundung, dass der Theismus wahr sei (483-508). Kreiners Buch besticht durch den klaren religionsphilosophischen Aufbau, der sich bewusst jedes Ausgriffs auf die Dogmatik enthält. Jürgen Werbick hingegen beansprucht, wie bereits durch den Untertitel deutlich wird, eine theologische Gotteslehre vorzulegen. Er gliedert seine Gotteslehre in acht Abschnitte. Im ersten Abschnitt „Gottes Namen“ (19-70) geht es um das Problem der Ansprechbarkeit Gottes. Im zweiten Abschnitt „Gotteserkenntnis und Erkenntnis der Welt“ (71-140) handelt unter anderem vom Problem der Begründbarkeit religöser Überzeugungen, von den Gottesbeweisen und wie Gottes-Wahrheit und Gottes-Begriff zu denken sind. Im Anschluss folgen Ausführungen zur Einheit und Einzigkeit Gottes (141-226). Unter der Überschrift „Gottes-Räume, Gottes- Zeiten, Gottes-Gegenwart“ (227-329) referiert Werbick das Problem der All-Gegenwart, der Ewigkeit Gottes, dessen innertrinitarische Vollkommenheit, die Präsenz Gottes und dessen Handeln in der Welt. Die Allmacht und Kreativität Gottes sind Gegenstand des nächsten Abschnittes (331-429), dabei wird auch das Problem der Theodizee nicht außen vor gelassen. Der sechste Abschnitt ist dem Willen Gottes gewidmet, damit kommt dann auch die Frage der Freiheit Gottes und des Menschen ins Spiel, ebenso wie das Spannungsverhältnis von Freiheit und Notwendigkeit. Die Frage des Gerichts bildet den Abschluss dieses Kapitels. Als Höhepunkt kann der siebte Abschnitt betrachtet werden, der von der Dreieinigkeit Gottes spricht (519-638). Abschließend wagt Werbick einen Ausblick (639-646), der mit einem Gebet zurück zur Wurzel der christlichen Selbsterschließung Gottes im „Vater unser“ führt. Werbicks Entwurf trägt ein originäres Gesicht, seine Ausführungen sind außerordentlich differenziert, gedankenreich und spannend zu lesen. Sein Ansatz ist zeitgemäß, weil sein Ansatzpunkt die spannungsreiche Gotteserfahrung der Menschen unserer Zeit ist. So gelingt es Werbick, mit seiner theologische Gotteslehre sehr nah bei den Menschen zu sein. Damit will ich auch zur Eingangsfrage zurückkommen, ob der Herderverlag nicht ein ökonomisches Risiko wegen der möglichen Konkurrenz der Bücher eingegangen ist? Dies kann eindeutig verneint werden, diese beiden Gotteslehren gehören gemeinsam in jede Bibliothek und sollten zum unverzichtbaren Rüstzeug nicht nur der Fachtheologen gehören. Dem Verlag und den Autoren ist für die Mühe, die sie für die Bücher auf sich genommen haben, zu danken.
Quelle: Religionsunterricht heute. Informationen des Dezernates Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz 36 (2008), Heft 1, S. 36f.