Bernhard Grom
Religionspsychologie
München: Kösel-Verlag, 2007
336 Seiten
ISBN 978-3-466-36765-8
Es liegt nun die vollständig überarbeitete 3. Auflage des renommierten Handbuches vor. Etwas schmaler als die letzte Ausgabe, doch nicht weniger informativ. Die Darstellung versteht Religionspsychologie als „ein Bereich Angewandter Psychologie“ (13), die „weder weltanschauliche Religionskritik noch Religionsapologetik“ zu betreiben hat, sondern „mit den Fragestellungen, Konstrukten und Methoden erfahrungswissenschaftlicher Psychologie faktisches religiöses Erleben, Erkennen und Verhalten“ beschreibt
(12). Ausgehend von der Annahme, dass es „die“ Religiosität nicht gibt, sondern nur eine enorme Vielfalt von religiösen Einstellungen, Erlebens- und Verhaltensweisen, wird hier möglichst viel von dieser Vielfalt beschrieben, erklärt und in Zusammenhang gebracht (17). Insbesondere die Forschungen und Diskussionen der letzten 15 Jahre sind in dieser Neuausgabe berücksichtigt wie z. B. die Frage nach einer „Neurotheologie“. Der Leser erhält sachlich-kritische Auskünfte über Phänomene wie Extase, Spiritismus, Glossolalie, Visionen, Auditionen, Nah-Tod-Erlebnisse, Besessenheit und mystische Erfahrungen. Wer in den (auch separat gut erfassbaren) Kapiteln etwa die Archetypenlehre von Jung vermisst, erfährt in einem kurzen Anhang, warum die akademisch-empirische Psychologie ihr bestenfalls den „Status einer parawissenschaftlichen Idee zuzuerkennen“ vermag (290). Zahlreiche Fallbeispiele und grafische Zusammenfassungen sowie ein Sachregister helfen beim Auffinden und Überblicken der komplexen Materie und der Vielzahl der theoretischen Deutungskonzepte. So dürfte dieses einzigartige Handbuch auch in den kommenden Jahren seinen angestammten Platz als instruktive Bilanz der Disziplin behaupten.
Reiner Jungnitsch
Quelle: Religionsunterricht heute. Informationen des Dezernates Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz 35 (2007), Heft 3/4, S. 49.
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Eine weitere Rezension von Josef Ilg findet sich in den Informationen für den Religionsunterricht (München), Nr. 59 (2007), S. 48.
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Die „Religionspsychologie“ (RP) von Bernhard Grom SJ gilt schon seit mindestens drei Generationen von Theologie-Studentinnen und Studenten als Standardwerk. Wer etwas über Religiosität in ihrer Vielfalt und Komplexität religiöser Einstellungen und Haltungen, Erlebensformen und Praxen erfahren möchte, greift zu diesem Band. Dabei machte der Autor schon 1992 deutlich, dass RP als Forschungsbereich der Psychologie verstanden werden muss, nicht als religionswissenschaftliche oder theologische Disziplin; gleichwohl ist sein Religionsbegriff substanziell und geht über einen bloß funktionalen Begriff à la Luckmann hinaus. Für ein in diesem Sinne interdisziplinäres Studium bleibt der Band nach wie vor – und zwar auch für Anfänger/- innen – hervorragend geeignet. Dank der vollständigen Überarbeitung gehört die bewährte „RP“ auch weiterhin auf Literaturlisten sowohl in der Klinischen und Pädagogischen Psychologie als auch in der Praktischen Theologie und Religionspädagogik – und als wichtiges Handbuch auch in das Regal von Religionslehrer/-innen. An der Anlage des Bandes hat sich nichts geändert: Er geht thematisch, nicht nach der Vorstellung von religionspsychologischen Ansätzen und damit verbundenen Vertretern vor. Bernhard Grom hat nicht nur aktuelle Studien und Literatur und neuere Ansätze der Diskussion um intrinsische Motive von Religiosität eingearbeitet, sondern auch durch knappere Überschriften, das neue Format, einige hilfreiche Abbildungen und Tabellen, die Einarbeitung der meisten „alten“ Anhänge und die Umstellung der Teile I und II seiner „RP“ ein klares, stringentes und sehr lesefreundliches Profil gegeben. Im nun nachgestellten Teil II erscheint Religiosität im Umfeld sozialer Einflüsse, wobei soziale und individuelle Lernprozesse den einen, die Einbindung in eine spirituelle Gruppe (früher „Sekte“) den anderen Schwerpunkt bildet. Im weitaus umfangreicheren Teil I stellt Grom Religiosität als – keineswegs einheitliches – Persönlichkeitsmerkmal vor. Was ist Religiosität: Ausdruck der Suche nach Schutz oder Bindung, Hoffnung auf Unsterblichkeit oder doch eine kollektive Zwangsneurose? Warum sind Menschen religiös: Motiviert sie eine Wertund Moralvorstellung, bessere Lebensbewältigung, ein positives Selbstwertgefühl oder das Bedürfnis nach Lob und Dank? Ist Religiosität Gefühls- oder Verstandessache? Wie sind Dogmatismus und Fundamentalismus bestimmt? Fördert Religiosität gar Vorurteile und Gewaltbereitschaft? Dass Religiosität eine äußerst komplexe Variable ist, wird auch an unterschiedlichen Gottesbildern (die in der Tat besser nicht für sich, sondern in Beziehung zu den Motiven von Religiosität bedacht werden sollten), an der mehrfach beeinflussten Entwicklung von Religiosität, der Vielfalt religiöser Emotionen sowie unterschiedlichen Formen religiöser Erlebnisse verdeutlicht und an wohl dosiert eingestreuten Fallbeispielen anschaulich gemacht. Gerade für Religionslehrer/-innen bieten die Ausführungen zu Esoterik, Nahtod-Erfahrungen, Spiritismus und Exorzismus eine solide Handreichung. Das zu einigen Themen explizit geführte „Gespräch mit der Theologie“ sorgt ebenso wie manch wohltuend nüchterne Betrachtung, beispielsweise mystischer Einheitserlebnisse, für angemessene Differenzierungen, und die knappen Bemerkungen zur „helfenden Begleitung“, z.B. von Menschen in spirituellen Gruppen, lassen hobbypsychologisch-therapeutische Phantasien glücklicherweise kaum zu. Eigens hervorzuheben ist auch das neu eingefügte Kapitel zum Zusammenhang zwischen Religiosität und subjektivem Wohlbefinden bzw. dessen Störung. Nicht nur, dass Grom von einem „bescheidene[n], aber verlässlich belegte[n] Wohlbefindensvorsprung der Religiösen“ (255) spricht, macht die Lektüre der „RP“ für alle religionspädagogisch Tätigen wertvoll, sondern vor allem die Bewusstmachung, dass in diesem Tun die Würde und Wertigkeit des Menschen, sein positives Selbstwertgefühl Stärkung erfahren kann. Nicht die Betonung von Leistungsdefiziten und Sündhaftigkeit, wohl aber die Wertschätzung von Selbst, Anderen und der Schöpfung kann zu Dankbarkeit, positivem Denken und positiv besetzten Gottesbildern sowie zum Einsatz für Solidarität und zu prosozialem Verhalten führen.
Beate-Irene Hämel
Eulenfisch Literatur 1 (2008), Heft 1, S. 42f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]