Diakon Kelter wünscht sich einen Neustart für die Kirche und erzählt von seiner Arbeit im Kanton Zug.
Christian Kelter:
REBOOT
Jetzt mehr Kirche wagen
Würzburg (echter) 2022
ISBN 978-3-429-05772-5
Paperback 104 Seiten 12,90 €
Der Titel ist Programm: Es geht darum, mehr Kirche zu wagen, und zwar nicht, indem man es darauf anlegt, die Kirchen zu füllen, Institutionen und Strukturen zu erhalten, unvermeidliches Sterben künstlich zu verlängern, sondern neu zu starten (zu „rebooten“), wieder zuerst Gott – „eine riesengroße Wundertüte“ – zu suchen und Jesus zu verkündigen.
Wie das in Hünenberg im Kanton Zug funktioniert, erklärt Diakon und Gemeindeleiter Christian Kelter in vier Praxisbeispielen: Einem neuartigen Gesprächsformat namens „wOrtwechsel“, das die Polarisierung der Gesellschaft überwinden soll; einem weiteren Gesprächsformal namens BackstageTalk, bei dem es um Diskussionen mit den lokal für Kultur und Politik Verantwortlichen geht; in der Sakramentenkatechese werden aufbauend auf bereits bestehende Familiennetzwerke Lerngemeinschaften gebildet, die auf gemeinsamer Basis je ihren eigenen Lernweg suchen; die passende Metapher ist der Cupcake; schließlich gründete sich ein Forum Kirche und Wirtschaft, das an die Stelle traditioneller Arbeiterseelsorge tritt und der Umwandlung des Kantons in eine Dienstleistungsgesellschaft Rechnung trägt.
Den Praxisbeispielen gehen zwei Kapitel der theologischen Grundlegung voraus. Zuspruch und Auftrag liegen darin, dass Gott als leidenschaftlich für den Menschen engagiert beschrieben wird, der an unserem Wachstum interessiert ist. Von Jesus ist zu lernen, groß zu denken, alle Arroganz und Abgehobenheit abzulegen, sich für den Menschen zu interessieren und furchtlos den Dialog zu suchen mit der Folge, selbst interessant zu werden. Ein „Spickzettel für gute Beziehungen“ empfiehlt, auf Neuankömmlinge zuzugehen, Partizipation ernst zu nehmen und – als schwierigster Ton im Dreiklang – eine Kultur der Spiritualität.
Von den Praxisbeispielen hätte ich gerne etwas mehr erfahren. Die theologischen Grundlagen, die das Buch entfaltet, sind allerdings unterkomplex. Dass die Kirche ein wohlverdientes Glaubwürdigkeitsproblem hat, wird gerade mal auf einer halben Seite abgehakt. Vom Versuch der Kirche, auf verschiedenen Ebenen durch synodale Strukturen einen Weg in die Zukunft zu finden, erfahren wir gar nichts. Good Practice in einer Gemeinde befähigt noch nicht dazu, die ganze Kirche zu „rebooten“.
Eine Rezension von Karl Vörckel