Mirjam Schambeck: Von Gott, Jesus, Religionen und so. Was Religionslehrerinnen wissen müssen

Buchvorstellung - 26.09.2022

Mirjam Schambeck entwickelt ausgehend von der COAKTIV-Studie eine Konzeption des Darstelllungs- und Erklärungswissens, das für erfolgreichen Religionsunterricht erforderlich ist.

Mirjam Schambeck:
Von Gott, Jesus, Religionen und so
Was Religionslehrer:innen wissen müssen
Freiburg (Herder) 2022
Paperback 352 Seiten mit 20 Abbildungen
ISBN 978-3-451-39194-1
25 €

Die Franziskanerin Mirjam Schambeck ist seit zehn Jahren Professorin für Religionspädagogik an der Universität Freiburg. Ihr neues Buch erstrebt evidenzbasierte Erkenntnisse, welches fachwissenschaftliche und fachdidaktische Wissen Religionslehrkräfte benötigen, um guten Unterricht zu machen. Weil die Autorin sich mit dem Bibelunterricht bereits in ihrem 2017 erschienenen Werk „Biblische Facetten“ befasst hatte, stehen in dem Buch, das hier vorgestellt wird, systematische Themen im Mittelpunkt.

Evidenzbasis
Schambeck legt ihrem Buch als empirische Basis die Erkenntnisse der COAKTIV-Studie zugrunde, die von Kunter, Baumert und Blum 2011 herausgegen wurde, und entfaltet das in den ersten drei Kapiteln. Die Studie untersucht den Mathematikunterricht. COAKTIV steht dabei für „Cognitive Activation in the Clasroom“ und umfasst ein generisches Strukturmodell professioneller Kompetenz, das Schambeck dem Religionsunterricht anpasst. Sie kann zeigen, dass dem Darstellungs- und Erklärungswissen der Unterrichtenden zentrale Bedeutung für den Unterrichtserfolg zukommt. Dieses Wissen ist, wenn es um Religionsunterricht geht, lokalisiert in einem Korrelationsraum: Da theologische Grundaussagen nicht im naturwissenschaftlichen Sinn verifiziert werden können, gilt es Korrelationschiffren zu markieren, so dass die Deutefolien, der Erfahrungsspeicher und die Praxis des christlichen Glaubens in ein Gespräch eintreten mit den Subjekten und ihren religionsbezogenen Konzepten, Erfahrungen und Praktiken. Schambeck fordert von der Theologie, Menschen sprachfähig zu machen und die Spuren des christlichen Glaubens lesen zu lernen, und beklagt, dass eine korrelative Theologie, die sich dieser Aufgabe stellt, auch fast ein Jahrhundert nach der Formulierung des Korrelationsgedankens durch Paul Tillich immer noch aussteht.

Aufbau der Kapitel
In sieben Kapiteln widmet sich Schambeck aktuellen Brisanzen der Theologie. Die Brisanz der Themen schließt sie aus dem Austausch mit Religionslehrkräften. Der Aufbau der einzelnen Kapitel folgt einem gleichbleibenden Schema: Zum Einstieg werden konkrete Beobachtungen erzählt. Im zweiten Schritt wird nach empirischen Erkenntnissen über einschlägige Einstellungen Jugendlicher gefragt, die zum Beispiel in den Jugendstudien vorliegen. Der dritte Schritt benennt die Korrelationschiffre, die das Glaubensthema mit den Konzepten heutiger Schülerinnen und Schüler ins Gespräch bringt, welche in einem vierten Schritt systematisch entfaltet wird. Abgeschlossen wird jedes Kapitel mit Ideen zu Lernwegen.

Gott
In der Gottesfrage baut Mirjam Schambeck das erforderliche Darstellungs- und Erklärungswissen zunächst auf Erkenntnissen zu kindlichen und jugendlichen Gottesvorstellungen auf, regt an, die darin enthaltenen theologischen Fragen behutsam aufzugreifen und nicht nur die traditionellen Ideen zur Gotteserkenntnis, etwa die Lehre von der Analogia entis, ins Gespräch zu bringen, sondern auch Poesie als Anregung an die Lernenden, ihre eigenen Vorstellungen in Kalligrafien, Gedichten und Gebeten auszudrücken. Das nächste Kapitel fragt, was die Idee der Allmacht Gottes erträglich macht, und schlägt eine Auseinandersetzung mit dem Familienalbum von Nancy Borowitz (2017) vor.

Christus
Einen Zugang zur Inkarnation findet das Buch in der für Weihnachten zentralen Praxis des Schenkens, die auch in weihnachtlicher Werbung vielfältig thematisiert wird. Die Soteriologie wird gestaltet, indem der Kreuzestod Jesu als Erfahrung des Scheiterns gedeutet wird; Deutelinien aus dem Vulnerabilitätsdiskurs werden als Reflexions- und Handlungshorizont angeboten. Der Auferstehungsglaube eröffnet ein Leben, das sich nicht abhärten muss gegenüber Verwundungen. In einem eigenen Kapitel wird die Durchlässigkeit zwischen Diesseits und Jenseits in aktuell sehr populären Erzählungen wie Harry Potter zur Korrelationschiffre von Ostern.

Kirche
Die Anliegen von Maria 2.0, insbesondere die Frauenordination und die Auseinandersetzung mit der theologischen Schwäche der kirchenamtlichen Gegenargumente werden als Anregung an die Lernenden in den Unterricht eingebracht, damit die Jugendlichen selbst produktiv und transformierend Theologie gestalten, indem sie etwa ein Bild der Kirche in fünf oder zehn Jahren entwerfen.

Religionen
Hier braucht nach der Korrelationschiffre nicht lange gesucht werden, leben wir doch alle heute in einer religionspluralen Situation. Schambeck plädiert für ein universales Wahrheitsverständnis: Einerseits machen sich alle Menschen bewusst, dass ihr Verständnis von Wahrheit, Heil und Glück an bestimmte Kulturkreise und subjektive Einstellungen gebunden ist, anderseits wohnt diesem Verständnis ein universaler Impuls inne. Der Mensch ist nicht Herr des Gottesgeistes, der auch nicht dafür steht, andere auszugrenzen, sondern sich selbst immer kritisch zu befragen, ob das eigene Handeln Ausdruck praktisch gewordener Liebe ist.

Beurteilung
Das Buch stellt die richtigen Fragen und zeigt einen sehr guten Weg auf, das Darstellungs- und Erklärungswissen herauszuarbeiten, das der christlichen Religion erlaubt, in der Lebenswelt der nachwachsenden Generation im Gespräch zu bleiben. Es gilt "Korrelationschiffren" zwischen Religion und Lebenswelt zu dfinieren. Dass die Autorin sich auf wenige Themen konzentriert, ist sachgerecht, weil sonst eine Spiegelstrichliste herausgekommen wäre, die nicht wirklich hilft. Ich sehe eine Nähe der Arbeit Schambecks zur Konzeption des Onlineunterrichtswerkes auf unserem Portal rpp-katholisch.de. Dort bemühen wir uns darum, das Darstellungs- und Erklärungswissen zusammenzustellen, das die Unterrichtenden für die Themen der bundesweit erschienenen Lehrpläne benötigen – zusammen mit Material- und Methodenvorschlägen.

Mit der Auswahl der "Brisanzen" hadere ich in zwei Fällen: Ist die Frauenordination das korrelativste unter allen denkbaren Kirchenthemen für den Religionsunterricht? Ließe sich am Faktum und an der (verschleppten) Aufarbeitung der vielen Missbrauchsfälle nicht eindrücklicher auf breites öffentliches Interesse der Jugendlichen reagieren? Und: Ist Jesus gescheitert? Er ist letztlich der einflussreichste Mensch der Weltgeschichte geworden, und den hochriskanten Weg nach Jerusalem, der zu den Voraussetzungen seiner Wirkungsgeschichte gehört, hat er bewusst angetreten. Der Vergleich mit Alexej Nawalny gibt zu bedenken, dass Menschen, die furchtlos zur Wahrheit stehen und dafür ihr Leben in die Waagschale werfen, auf Dauer mehr bewirken können als Diktatoren, die aus Furcht zur Gewalt greifen.

Die kritischen Fragen sollen nicht verdecken, dass ich für die Lektüre dieses Buches sehr dankbar bin. Denn Mirjam Schambeck ruft zu kritischem Fragen auf und stellt einen konzeptionellen Rahmen zur Verfügung, der mich überzeugt.

Eine Rezension von Karl Vörckel