Im Buch wird über die Rolle der Theologie in Kirche und Gesellschaft reflektiert angesichts der Tatsache, dass sich mit der AfD eine rechte Bewegung im Parteienspektrum der Bundesrepublik festsetzt.
Jan Niklas Collet / Julia Lis / Gregor Taxacher (Hrsg.)
Rechte Normalisierung und politische Theologie
Eine Standortbestimmung
Regensburg (Pustet) 2021
Paperback ISBN 978-3-7917-3287-9, Preis: 26,95 €
Ebook (PDF) ISBN 978-37917-7368-1, Preis: 21,99 €
Der Arbeitskreis politische Theologie
Die Herausgeber sind Mitglieder im „Arbeitskreis politische Theologie“, [1] der sich gebildet hatte, nachdem der Versuch, die Teilnahme des kirchenpolitischen Sprechers der AfD Volker Münz an einer Podiumsdiskussion am 12. Mai 2018 anlässlich des Katholikentages zuerst zu verhindern und nachher zu stören, gescheitert war. In diesem Band versuchen sie nun zusammen mit anderen, das Engagement gegen den Auftritt eines AfD-Vertreters auf einer kirchlichen Veranstaltung mit Argumenten aus der Theorie des „autoritären Charakters“ im Sinne Theodor Adornos und der politischen Theologie in der Nachfolge von Johann Baptist Metz zu rechtfertigen.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Obwohl verschiedene Autoren vor unterschiedlichen Hintergründen voneinander unabhängige Aufsätze in den Band eingebracht haben, zieht sich doch ein roter Faden durch die Beiträge: Wer positiv zur AfD steht, beteiligt sich an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegenüber fremden Rassen, Völkern, sexuellen Orientierungen. Solchen Menschen gegenüber kann eine christliche Kirche, die von Jesus auf eine „Reich-Gottes-Praxis“ festgelegt wurde, keinen neutralen Standpunkt einnehmen, sondern muss entschieden Widerstand leisten und versuchen, den Quellen dieser Menschenfeindlichkeit in den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen und in kirchlichen Strukturen auf die Spur zu kommen, so die Autoren.
Rechte Normalisierung
Konnte man vor dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag noch dazu aufrufen, den Anfängen zu wehren, geht es vier Jahre später darum, nach der Etablierung der Partei in den Parlamenten strategisch klug deren Strategien zu durchkreuzen. Die Situation der AfD wird von Floris Biskamp analysiert als prekäres Gleichgewicht zwischen rechtsextremen (Höcke) und rechtsradikalen (Meuthen) Positionen. Der Unterschied wird darin gesehen, in welchem Maß sich die beiden rechten Kernideologien – der ethnische Nationalismus und der Autoritarismus – noch mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes vereinbaren lassen. Normalisierung bedeutet aber nicht nur, dass eine Partei auf Dauer in den Parlamenten vertreten ist, sondern auch, dass die Grenze des Sagbaren verschoben wird und rechte Begriffsbildungen in die Alltagssprache eindringen.
Reich Gottes-Praxis
Was Jesus von uns will, steht jeglicher Diskriminierung und Ausgrenzung diametral entgegen. Die Aufforderung, den Durstigen zu trinken zu geben, Fremde aufzunehmen, Nackte zu bekleiden und Gefangene zu besuchen, die Jonas Erulo im Matthäusevangelium findet, macht an keiner Grenze Halt. Der Christ hat sich so lange den herrschenden Verhältnissen entgegenzustellen, bis die Grundwerte für alle Menschen durchgesetzt sind. Es reicht nun nicht aus, wenn die Kirche gegen die Zerteilung ethischer Standards um des Erhalts eigener Vorrechte willen protestiert. Gregor Taxacher sieht eine Bekenntnisfrage darin, sich von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit klar abzugrenzen, wie es für die Barmer Erklärung der bekennenden Kirche 1934 und die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. 1937 eine Bekenntnisfrage war, sich von der Ideologie des Nationalsozialismus zu distanzieren. Deshalb darf die Kirche auf einer offiziellen Veranstaltung wie dem Katholikentag nicht allen im Bundestag vertretenen Parteien eine Bühne bieten, wenn dazu die AfD gehört, argumentieren Christoph Holbein-Munske und Judith Wüllhorst, wird doch so suggeriert, es gebe einen gemeinsamen Boden, auf dem um das je bessere Argument gerungen wird.
Kritische Anmerkungen
Floris Biskamp wischt in seiner Analyse der AfD die Tatsache als irrelevant beiseite, dass die Partei vor allem im Osten der Republik stark ist und dass viele Wähler von der Partei „die Linke“ zur AfD gewandert sind,. Der Aufstand gegen die Herrschenden, der Protest gegen angebliche oder tatsächliche Ungleichbehandlung, gehört aber nicht nur ins Repertoire linker, sondern auch rechter Gesellschaftskritik, und mit Hetze und Hass äußern sich nicht nur AfD-Anhänger, sondern auch ihre Gegner. Beide bleiben den Nachweis schuldig, dass eine radikale Veränderung des im Grundgesetz geregelten politischen Systems der Bundesrepublik den Menschen zugutekommt.
Es hilft auch nicht mehr, die Werke der Barmherzigkeit nur zu zitieren. Menschen, die heute in Not sind – z.B. Pflegebedürftige, Suchtkranke, Obdachlose - brauchen differenzierte und professionelle Hilfsangebote. Eine Partei wie die AfD spielt mit grundgesetzwidrigen Vorschlägen - z.B. Abschottung und Diskriminierung - die nicht funktionieren. Von Gesprächspartnern, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sollte die Öffentlichkeit erwarten, dass sie die AfD bei jeder Gelegenheit stellen mit eingängigen Gegenargumenten, bis auch dem ignorantesten Anhänger dämmert, dass er gegen die eigenen wohlerwogenen Interessen votiert, wenn er diese Partei wählt. Das vorgelegte Buch ist sehr akademisch, die Argumentationsebene hochabstrakt; die Menschen, die für die Botschaft der AfD empfänglich sind, weil sie sich selbst zurückgesetzt fühlen, erreicht das Buch nicht.
Eine Rezension von Karl Vörckel