Reiner Jungnitsch fragt vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Berufsschullehrer und Dozent, wie Religionsunterricht heutzutage gelingen kann.
Reiner Jungnitsch:
Glaubens-Gerede
Religionspädagogische Splitter
Norderstedt (books on Demand) 2021
212 Seiten
Paperback ISBN 3-75341-740-8 9,80 €
EBook ISBN 978-3-75341-801-8
Überblick
Das Buch umfasst zwei Teile: Unter der Überschrift „Religionsunterricht – ein spezielles Fach“ verbindet Jungnitsch seine Erfahrungen in Berufsschule und technischer Universität mit statistischen Daten, Aphorismen, Hinweisen auf die Literatur und dem Bericht über ein Gespräch mit Eugen Drewermann zu einem Bild der Entkirchlichung in Gesellschaft und Schule, sowie der Frage, wie in diesem Kontext Religionsunterricht gestaltet werden kann. Im zweiten Teil beschreibt der Autor „Beispiele, wie Vermittlung gelingen könnte“.
Authentizität gefordert
Der Konjunktiv darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Buch eine dezidierte Position vertritt, was ein Berufsschulreligionslehrer tun und unterlassen soll. Der Autor geht davon aus, dass der Jugendliche, selbst wenn er von Kirche und christlicher Lehre nichts hält, gleichwohl ein religiöser Mensch, ja, ein Besitzer der seiner Freiheit vorgegebenen Gnade (Rahner) immer schon ist. Spuren davon findet er in den Elementen der Selbstinszenierung junger Leute, die vielfältig auf Transzendenz verweisen und die Symbole verschiedener Religionen munter mischen. Jungnitsch schildert die Ergebnisse seiner Umfrage unter Berufsschülern, in der es um den Begriff „Weisheit“ geht, der mit Lebenserfahrung, Alter und Wissen assoziiert wird. Die meist genannten „weisen Menschen“ sind keine herausragenden Gestalten der Kirche, und die Lehrsätze der Kirche, ihr Katechismus wirke wie aus einer anderen Welt. Den ersten Teil schließt ein Brief an junge Kollegen und Kolleginnen ab, in dem dazu aufgefordert wird, sich den Lernenden verständlich, authentisch und glaubwürdig zu stellen, zur eigenen Glaubensüberzeugung ebenso zu stehen wie zu Fragen und Zweifeln.
Praxisbeispiele
Fünf unterrichtsnahe Praxisbeispiele befassen sich mit der Sprache als Quelle unserer Missverständnisse, der Deutung der Schöpfungsgeschichte vor dem Hintergrund natur- und bibelwissenschaftlicher Erkenntnisse, dem zeitgemäßen Umgang mit Wundergeschichten, der Vermittlung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg mit Erfahrungen, die Berufsschüler in der heutigen Arbeitswelt machen, und dem Verbot zu schwören, das mit der Rolle des Eides bei Gericht konfrontiert wird.
Parforceritt
Der Praxisteil endet mit zwei Dialogen zum Nutzen der Religion und zu der merkwürdigen Rolle des Wortes „Gott“ in unserer Sprache. Jungnitsch betont, dass Religion nicht mit Kirche gleichzusetzen ist, ihr Kerngeschäft, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, nicht nur von allen Religionen betrieben wird, sondern auch von Menschen, die sich gar keiner Religion zugehörig wissen. Im zweiten Gespräch unternimmt er mit einem erstaunlich interessierten Fragesteller einen Parforceritt durch die Religions- und Philosophiegeschichte.
Fazit
Das Buch ist erfahrungsgesättigt, abwechslungsreich und sogar unterhaltsam. Der Katechismus, so die Position Jungnitschs, ist nicht mehr vermittelbar, von konfessionellen Differenzen gar nicht zu reden, eine rationale Argumentation für die Überzeugung von der Existenz Gottes scheitert, es bleiben Authentizität und Glaubwürdigkeit der Person des Lehrers und ausgewählte – vorwiegend biblische – Stoffe, die in der Erfahrungswelt Widerhall finden. Leider wird an manchen Stellen sehr oberflächlich argumentiert; ich möchte das am Beispiel von Anselm von Canterbury kurz zeigen. Das Proslogion ist ein Gebet, in dessen zweitem Kapitel es heißt: „Von dir glauben wir, dass du etwas bist, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.“ Diese (und nur diese) Formel, die aus dem Glauben kommt, entfaltet ihre Dynamik bis zum 15. Kapitel, in dem gezeigt wird, dass das Du des Beters größer ist als alles, was gedacht werden kann. Anselm weist in einem Brief an seinen frühen Kritiker Gaunilo die Formel, dass Gott ein „Größtes“ (maius omnibus) sei, wie Jungnitsch referiert, ausdrücklich zurück. Der Umgang mit Aristoteles und Thomas von Aquino wird den Autoren ebenfalls nicht gerecht. Mag ja sein, dass die alten Argumente „erledigt“ sind, aber wenn man meint, das nachweisen zu können, sollte man sie erst mal richtig wiedergeben. Doch diese weniger überzeugenden Passagen des Buches lassen sich verlustfrei herausschneiden, so dass insgesamt eine anregende Lektüre herauskommt, die auch praktikable Vorschläge für den Religionsunterricht – nicht nur in der Berufsschule - bereitstellt.