Marcus Damm: „Gar nichts muss ich!“

(Quelle: rpp-katholisch)
Buchvorstellung - 04.01.2021

Marcus Damm: „Gar nichts muss ich!“
Mit narzisstischen Schülern kompetent umgehen

 

München (Reinhardt Verlag) 2019

ISBN 978-3-497-02839-9 Print

ISBN 978-3-497-61130-0 EPub

167 Seiten

Paperback 19,99 €

EPub 18,99 €

Marcus Damm verspricht im Titel, dass man aus seinem Buch lernen kann „mit narzisstischen Schülern kompetent“ umzugehen. Doch vor seinen "Tipps" muss geradezu gewarnt werden.

Themen der Publikation

Marcus Damm verspricht im Titel, dass man aus seinem Buch lernen kann „mit narzisstischen Schülern kompetent“ umzugehen. Doch das erste Kapitel seines Buches beschreibt alle Persönlichkeitsstörungen, wobei sich Damm auf bekannte Werke von Lelord und Oldham-Morris beruft. In einem zweiten Kapitel referiert er aus der Literatur fünf grundlegende Strategien, Schwierigkeiten zu begegnen, die sich im Umgang mit Lernenden zeigen. Erst im dritten Kapitel entwickelt Damm eine „Psychologie der narzisstischen Schülerpersönlichkeit“, und es ist auch nur dieses dritte Kapitel, in dem es vorwiegend um „Narzissmus“ geht. Die weiteren Kapiteln geben Anleitungen zum Beziehungsaufbau im Klassenraum, zur Problemklärung, zur Pflege erarbeiteter Lösungen und zur Selbsterkenntnis der Lehrperson.

 

In den Text an vielen Stellen eingestreut und typografisch hervorgehoben sind insgesamt 19 „Beispiele“, die in wenigen Zeilen jeweils ein exemplarisches Schülerschicksal schildern, und 43 „Tipps“, die Ratschläge an die Lehrpersonen auf den Punkt bringen sollen. Dadurch betont das Buch den Eindruck, aus der Praxis entstanden und für die Praxis geschrieben zu sein.

 

Grundeinstellung

Die Anleitungen des Buches, denen die „Tipps“ und die abschließenden Kapitel gewidmet sind, laufen darauf hinaus, den Problemschüler zu konfrontieren, seine Besonderheiten aufzudecken und „Kompromisse für die Zukunft mit win-win-Charakter“ zu erproben. Konkrete Vorschläge, z.B. „schulbiografisch basierte Videoarbeit“, werden als „sehr intime Praktik“ beschrieben, als „Drahtseilakt“, und schließlich resümiert Damm: „Eine Erfolgsgarantie gibt es allerdings nicht.“

 

Beiläufig erfahren wir, dass Marcus Damm die Schemapädagogik empfiehlt, die er selbst als für die Schule angepasste Version der Schematherapie nach Jeffrey Young entwickelt hat. Doch die Verhaltensschemata Youngs passen nicht zu den Persönlichkeitsmerkmalen, die im Buch beschrieben werden und die Grundlage der weiteren Diagnosen und Verhaltensvorschläge sind, und „Narzissmus“ kommt in keiner der zitierten Systematiken vor.

 

Nazissmus als Persönlichkeitsstörung

Bei seiner Kennzeichnung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung orientiert sich Damm an der Internationalen Kategorisierung der Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation in ihrer 10. Revision (ICD 10) doch nur im Manual der amerikanischen Psychiatrischen Assoziation (DSM 5, Kennziffer 301,81) wird unter anderem das Gefühl eigener Grandiosität, das Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung, Empathiemangel und Neid als diagnostische Merkmale der narzisstischen Störung angegeben. Die im Buch immer noch transportierte Annahme, Narzissmus sei eine „Abwehrreaktion wegen frustriertem Selbstwertgefühl“ wird im DSM 5 nicht mehr aufgeführt.

 

Warnung vor den Tipps

Die Handlungsanleitungen im Buch werden aber nicht mit den theoretischen Erörterungen begründet, sondern mit der „Erfahrung“ des Autors. Von unkritischer Umsetzung kann nur abgeraten werden. Denn entscheidende Fragen werden erst gar nicht gestellt: Wie erkenne ich, wenn ich als Lehrer für bestimmte Problemsituationen keine Lösung anbieten kann und Unterstützung bei anderen Zuständigen suchen sollte? Wie schütze ich heute, in der Epoche sozialer Netzwerke, Schüler davor, zu viel „Intimes“ über sich selbst preiszugeben?

 

Narzissmus

Und der „Narzissmus“? - Im ICD 11, der zur Zeit erarbeitet wird, firmiert die narzisstische Persönlichkeit nicht mehr als diagnostizierbare Krankheit, sondern als „unspezifische Restkategorie“ (Code 6D10.Z). Möglicherweise kommt man weiter, wenn man dem Begriff mit Argumenten der Ethik zu Leibe rückt. Wer, wie Marcus Damm, „das philosophische Fass erst gar nicht aufmachen will“, hätte dann das Thema verfehlt.