Klaus Kießling, Andreas Günter
Machen Unterschiede Unterschiede
Konfessioneller Unterricht in gemischten Lerngruppen
Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht 2018
147 Seiten m. Tabellen und Infografiken, 25,00 €
ISBN 978-3-525-62015-1
Der vorgelegte Band beruht auf einer zweistufigen empirischen Studie: Zunächst wurden an 20 Standorten Videoaufzeichnungen von wenigstens zwei Schulstunden Religionsunterricht zum Thema Gemeinde und Kirche ausgewertet und die Rückmeldungen der Unterrichtenden einbezogen. Das führte zur Hypothesenbildung. In einem darauf aufbauenden Fragebogen wurde die Resonanz der Hypothesen unter den Religionslehrerinnen und Religionslehrern überprüft. Es ist aber gut, dass die Darstellung von Klaus Kießling und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchgeführten Untersuchung im Buch ergänzt wird durch die Beiträge von Andreas Günter und Stephan Pruchniewicz. Denn da die Zukunftsfähigkeit des Religionsunterrichtes davon abhängt, dass er eine Antwort auf die aktuell bestehenden Herausforderungen findet, dann ist es gut, wenn Günter aufgrund seiner Erfahrung in der Sorge um den konfessionellen Religionsunterricht durch Verhandlungen mit den staatlichen Stellen die faktische Lage des Faches schildert.. Und wenn sich aus der Studie Forderungen an die Aus- und Weiterbildung ableiten lassen, dann ist es gut, den Beitrag von Pruchniewicz einzubeziehen, der Bildungsmaßnahmen im Auftrag seiner Diözese mitgestaltet.
Überraschendes Fazit der in vielen Zahlen dargestellten Studie ist die Forderung einer religionspädagogischen Spiritualität. Das Leben aus dem Geist, den ich empfangen habe und nicht für mich behalten darf und will, macht in der Sicht der Unterrichtenden und der Lernenden den entscheidenden Unterschied zwischen einem bekenntnisbewussten Unterricht und beliebigem anderen Unterricht.
Religionsunterricht firmiert unter der Konfession des unterrichtenden Lehrers; das darf aber nicht dazu führen, dass die Anwesenheit anderer Konfessionen und Religionen sowie konfessionsloser Schülerinnen und Schüler ignoriert wird, denn Religion ist nach einer Forderung der Synode „in ökumenischem Geist“ zu unterrichten. Wie weit soll das in der Praxis gehen – und mit welchen Folgen?
Die scheinbar selbstverständliche Erwartung, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Kirche am besten herausgebildet wird, wenn z.B. katholische Kinder nach katholischen Lehrplänen von katholischen Lehrenden unterrichtet werden, lässt sich durch die Studie nicht bestätigen. Mehrfach wird im Buch eine Anekdote angesprochen: Eine Grundschullehrerin sagte nach der Teilnahme an einem baden-württembergischen Projekt ökumenischer Kooperation im Unterricht: „Mir war gar nicht bewusst, wie katholisch ich bin.“ Die Anwesenheit der Mitglieder einer anderen Konfession hilft also, Elemente des eigenen konfessionellen Profils allererst als solche wahrzunehmen.
Um aber den im Unterricht anwesenden Schülerinnen und Schülern verschiedener Konfessionen gerecht zu werden, sollten sich die Unterrichtenden in den anderen Kirchen besser auskennen. Das stellt neue Anforderungen an die Aus- und Fortbildung der Religionslehrer. Eine Alternative wäre das Teamteaching oder eine Absprache, nach der sich die Unterrichtenden verschiedener Konfessionen im Religionsunterricht abwechseln. Solche Modelle werden von den Kolleginnen und Kollegen, die sie erleben konnten, gelobt; sie flächendeckend einzuführen, dürfte an den allermeisten Orten an organisatorischen Rahmenbedingungen scheitern. Wenn die Unterrichtenden fähig werden, den dialogischen, differenzsensiblen Unterricht zu halten, dann wird auch eine andere Hoffnung eingelöst werden können, dass nämlich die Schule der geeignetste Ort ist, von verschiedenen Konfessionen zu erfahren.
Es wäre schön gewesen, durch die „Aussichten“ von Stephan Pruchniewicz zu erfahren, was seine Diözese plant, um ihre Religionslehrkräfte im Sinne der genannten Forderungen fit zu machen; er widmet sich aber einer anderen, nicht weniger verdienstvollen Aufgabe, nämlich die Umsetzung konfessioneller Kooperation im von der Studie bestimmten Sinne zu rechtfertigen aus kirchlichen Erklärungen der Synode, der Bischofskonferenz und der römischen Kurie.
Mein Fazit ist, dass an dem Buch niemand vorbeikommt, der die Lage des konfessionellen Religionsunterrichtes beurteilen und für dessen Zukunft sachgerechte Entscheidungen treffen will.
Dr. Karl Vörckel