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Kinder auf die Welt vorbereiten

Nachrichten | 01.07.2015

Deutsche Schüler sind bei den digitalen Kompetenzen nur Mittelmaß. Doch lernen sie mit Tablet in der Hand wirklich mehr? Ole Schulz und Barbara Tambour untersuchen in diesem Artikel: Wie viel Computer braucht die Schule? Und kommen zum Ergebnis: Das hängt an den Lehrern. Denn sie vermitteln Medienkompetenz, gleich in welchem Fach. Und dazu müssen sie erst einmal selbst Lernende werden. Es braucht Weiterbildung, Motivation, Kompetenzen.

 

Wie  wichtig sind Computer  in der Schule? Für  Hirnforscher Manfred Spitzer liegt die Antwort auf der Hand: unwichtig und sogar schädlich. Spitzer ist überzeugt: »Kinder sollten so lange wie möglich von digitalen Medien ferngehalten werden.« Sie schadeten dem Gedächtnis, seien zur Förderung  des Lernens ungeeignet und und machten süchtig.

Vor einer totalen Digitalisierung des Unterrichts warnt Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes: Kinder neigten durch die neuen Medien dazu, sich nur noch Häppchen-Informationen zu holen. Vieles bleibe bei der Internetrecherche  oberflächlich. »Schule braucht aber auch das Durchhaltevermögen, das Konzentrative, das Besinnliche, das Meditative.« Das werde gefährdet, wenn Schüler sechs oder acht Unterrichtsstunden  am Tag mit dem Tablet-Computer vor sich lernten.

Die beiden stehen mit ihrer Kritik ziemlich allein. Ob Unternehmer- oder Privatschulverbände, Bildungspolitiker oder  Psychologen –  sie alle fordern  mit  Nachdruck mehr Computer in den Schulen und eine bessere digitale Bildung. Schulen und Schüler in Deutschland hätten darin großen Nachholbedarf.

Denn bei den digitalen Kompetenzen sind deutsche Schüler nur Mittelmaß.  Zu dieser Erkenntnis kommt die groß angelegte repräsentative »International Computer  and Information Literacy Study« (ICILS). Demnach liegen Achtklässler in Deutschland bei Aufgaben zur Recherche und zum Verständnis von Informationen aus dem Internet sowie der Bedienung klassischer Computeranwendungen nur im Mittelfeld von 19 Ländern aus Europa, Asien, Australien und Südamerika.


Zu wenig Fortbildung für Lehrer


Besorgniserregend ist laut Birgit Eickelmann, der wissenschaftlichen Leiterin des deutschen Parts der ICILS-Studie, dass dreißig Prozent der deutschen Achtklässler nur über sehr geringe digitale Kenntnisse verfügen. »Wir leisten es uns derzeit, fast ein Drittel der Heranwachsenden auf dem Weg in die Wissens- und Informationsgesellschaft abzuhängen«, sagt die Professorin für Schulpädagogik an der Uni Paderborn. Benachteiligt seien vor allem Jungen aus sozial schwachen Familien.

Die Studie widerlegt auch den Mythos von den »Digital Natives«. Denn der alltägliche Umgang mit Computern und Smartphones, heutzutage in fast jedem Haushalt mit Schulkindern vorhanden, führt keinesfalls automatisch zu umfassender Medienkompetenz.

Diese  zu  vermitteln sollte Aufgabe der Schule sein. Doch vielerorts mangelt es an der entsprechenden PC-Ausstattung:  Laut  ICILS teilen sich hierzulande fast zwölf Schüler einen PC,  in Norwegen kommt ein Computer auf zwei Schüler. Steht in Deutschland nicht einmal jedem zehnten Schüler ein Tablet zur Verfügung, sind es in Australien fast zwei Drittel. Doch gerade diese mobilen Geräte gelten als besonders geeignet für ein individualisiertes und kompetenzorientiertes  Lernen. Deshalb hält es Studienleiterin Eickelmann auch für sinnvoll, »mit schülereigenen mobilen Endgeräten  zu arbeiten und schulisches und außerschulisches Lernen chancengerecht miteinander  zu verbinden«. So geschieht es beispielsweise an der Gesamtschule Xanten-Sonsbeck: Ab der siebten Klasse dürfen Schüler ihre Smartphones und Tablets im Unterricht verwenden (siehe Interview auf dieser Seite).

Ob Medienbildung gelingt, hängt nicht nur von der Zahl der Geräte, sondern auch vom Kenntnisstand der Lehrer ab. Doch »Fortbildungskurse zu digitalen Medien besuchen Lehrkräfte in Deutschland im internationalen Vergleich nur selten«, weiß Eickelmann. Folglich fehle es ihnen oft vor allem an didaktischen Fähigkeiten. Diese seien aber wichtig, »denn selbst eine Internetrecherche  muss didaktisch angeleitet und aufbereitet werden, wenn die Schüler dabei etwas lernen sollen«.

Was aber heißt digitale Medienbildung genau und worauf  kommt es an? Standards, welche digitalen Kompetenzen in  der  Schule überhaupt vermittelt werden sollten, gibt es bislang nicht. Textverarbeitung, Präsentation oder Tabellenkalkulation zu erlernen ist laut Bildungsforscherin Heike Schaumburg von der Berliner Humboldt-Universität  dabei nicht das Entscheidende. Wichtiger sei die Schlüsselkompetenz, Informationen zu finden, vernünftig zu verarbeiten, einzuordnen und aufzubereiten. »Das ist die Grundlage, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.«

Statt eines eigenen Fachs Informatik oder gar Programmieren plädiert Schaumberg für ein Fach Medienbildung, das zur aktiven wie kritischen Mediennutzung befähigt und auch Fragen wie Datensicherheit und Cybermobbing beinhaltet.

Digitale Medien sind keine Wundermittel. Darüber sind sich Bildungsforscher weitgehend einig. Doch sie haben Vorteile: So können Sachverhalte im Unterricht besser veranschaulicht und schülerorientierter aufbereitet werden – beispielsweise Geometrie-Programme für Mathe. Doch verbessert das den Lernerfolg tatsächlich?

Nach der großangelegten Bildungsstudie des neuseeländischen Bildungswissenschaftlers John Hattie hat computergestütztes und Web-basiertes Lernen nur einen geringen positiven Einfluss auf das Lernen. Niedriger als oft angenommen. Allerdings stammen die Studien, die er untersucht hat, vielfach aus den 1990er-Jahren, sind also nur bedingt mit dem heutigen digitalen Unterricht zu vergleichen. In seinem Buch »Lernen sichtbar machen« äußert Hattie  die Überzeugung, dass »Computer (wie viele andere strukturelle Innovationen im Bildungswesen auch) die Wahrscheinlichkeit des Lernens erhöhen können. Eine zwangsläufige Beziehung zwischen dem Besitz eines Computers, dessen Nutzung und den Lern-Outcomes gibt es aber nicht«.

Informatikunterricht als Pflichtfach für alle Schüler an weiterführenden Schulen, dafür ist sogar der eher skeptische Lehrerverbandspräsident  Kraus. Denn ohne digitale Bildung haben Schüler auch in seinen Augen keine Zukunft.

 

Interview:  »Kinder auf die Welt vorbereiten«

Warum Schulleiterin Regina Schneider an der Gesamtschule Xanten Sonsbeck Smartphones im Unterricht erlaubt

 

Publik-Forum: Frau Schneider, in den allermeisten Schulen sind Handys und Smartphones verboten. Sie dagegen ermutigen

Ihre Schüler, diese im Unterricht zu verwenden. Wieso das?

 

Regina Schneider: Weil zum heutigen Lernen einfach Kenntnisse moderner Kommunikationstechniken  dazugehören. In unserem Konzept des nachhaltigen Lernens ist Medienkompetenz  darum ein wesentlicher Baustein.

Und warum greifen Sie dabei auf die schülereigenen Smartphones zurück?

 

Schneider: Das hat auch finanzielle Gründe.  Wenn  die Schule digitale Medien anschafft, dann kostet das viel Geld, während die Schüler oft relativ neue Geräte besitzen.

Die digitale Ausstattung Ihrer Schule ist nicht besser als anderswo?

 

Schneider: Nein, wahrscheinlich nicht. Wir haben zwei Informatikräume  und rund 125 digitale Ausleihgeräte – bei mehr  als 850 Schülern an zwei Standorten  ist das nicht  sehr viel. Uns unterscheidet  aber von anderen,  dass wir digitale Medien selbstverständlich nutzen. Zudem  haben wir Wi-Fi  im ganzen Haus, und jeder Schüler hat einen eigenen Internetaccount,  in den er sich mit seinem Gerät einloggen kann.

Und was machen die Schüler mit ihren Smartphones konkret im Unterricht?

 

Schneider: Unsere Schüler haben ab Klasse fünf eine Doppelstunde  Informatik  in der Woche.  Dort  erwerben sie grundlegende Kompetenzen. In Klasse sechs machen sie den »Handy-Führerschein«.  Ab Klasse sieben dürfen dann alle mit ihren eigenen Geräten  arbeiten. Sie benutzen sie für Lernprogramme  ebenso wie zum Recherchieren, zum Fotografieren und Filmen oder zum Präsentieren.

Stößt das angesichts der Dauerpräsenz

von Smartphones, Tablets und PC in der Freizeit der Kinder nicht auf Widerstand der Eltern?

 

Schneider: Nein, im Gegenteil. Die Eltern sind dankbar, dass ihre Kinder auf die heutige Welt vorbereitet werden.

Und welche Grenzen setzen Sie beim Umgang mit digitalen Medien wie zum Beispiel Tablets oder Smartphones?

 

Schneider: Die eigenen Geräte dürfen in Lernsituationen,  aber nicht in den Pausen genutzt werden. Zudem können wir überwachen, welche Internetseiten  die Schüler besuchen. Doch der Kern ist Vertrauen, Verantwortung und Anleitung für einen vernünftigen Umgang. Wir müssen unsere Ideologie des Bedenkentragens aufgeben und Kinder und Jugendliche sehr früh mit digitalen Medien vertraut machen. Damit ermöglichen wir ihnen, ihr eigenes Leben verantwortungsvoll zu gestalten. Interview: Ole Schulz

Regina Schneider, geboren 1950, ist seit 2013, dem Gründungsjahr der Gesamtschule Xanten-Sonsbeck, deren Schulleiterin.

 

 

Textabdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren Ole Schulz und Barbara Tambour

Quelle: Publik-Forum, kritisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe Nr. 11/2015

 

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(UN)

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