Anlässlich der Woche für das Leben 2024 unter dem Motto "Generation Z(ukunft): Gemeinsam. Verschieden. Gut." haben wir mit Regina Weleda, Studienleiterin am Amt für Religionspädagogik im Bistum Limburg, über inklusiven Religionsunterricht gesprochen.
Im Eröffnungsgottesdienst zur ökumenischen Woche für das Leben 2024 betonte Bischof Dr. Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in seiner Predigt: "Menschen mit Behinderung müssen in unserer Gesellschaft integriert sein. Jedes Leben ist lebenswert, daran wollen wir als Kirchen mit dieser Woche erinnern. Eine Gesellschaft darf weder selektieren noch diskriminieren, darum setzen wir uns für den Lebensschutz aller ein."
Die Botschaft des Bischofs ist eindeutig. Doch was bedeutet das für die Ausbildung unserer Kinder? Wie sollte Religionsunterricht gestaltet sein?
Regina Weleda, Studienleiterin im Bistum Limburg mit dem Schwerpunkt auf Inklusion im Religionsunterricht, erklärt, wie der inklusiver Religionsunterricht möglich wird.
Frau Weleda, worin liegt die besondere Herausforderung für einen Religionslehrer oder eine -lehrerin im Umgang mit beeinträchtigten Kindern?
Ich spreche lieber von einem Religionsunterricht der Vielfalt. Das heißt, ich gehe von einem Ansatz aus, der nicht auf die Integration bestimmter Gruppen aus ist, denen eine diagnostizierte Besonderheit attestiert wird. Vielmehr ist die Verschiedenheit jedes Einzelnen für mich Grundlage pädagogisch-didaktischen Handelns. Jeder und jede soll bestmöglich gefördert werden und auf seine und ihre Weise lernen können. Das heißt, die Aufmerksamkeit richtet sich nicht in erster Linie auf Behinderung als ein (oftmals defizitäres) Merkmal. Vielmehr werden „Barrieren“ in Augenschein genommen, die das Lernen in Vielfalt behindern. Ich frage mich also, wie angesichts heterogener Voraussetzungen von Lerngruppen gemeinsames Lernen möglich werden kann und jede Schülerin und jeder Schüler zugleich in der individuellen Besonderheit wahrgenommen und gefördert werden kann.
Wo stößt Ihrer Meinung nach inklusiver Religionsunterricht an seine Grenzen?
„Barrieren“ sehe ich hier vor allem in den vorhandenen Strukturen: zu große Klassen, zu wenig Lehrpersonal, zu wenig fachliche Unterstützung durch Förderschullehrkräfte in den Regelschulen vor Ort, zu wenige Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter oder auch Inklusionsassistenten und -assistentinnen oder Individualbegleiterinnen und -begleiter, einem selektiven Schulsystem und einer Ausbildung der Lehrkräfte in der ersten und zweiten Phase, die oft nicht auf einen Unterricht der Vielfalt ausgelegt ist.
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Zur Person:
Regina Weleda ist seit 2019 Studienleiterin im Amt für katholische Religionspädagogik, Schwerpunkt Religionsunterricht und Inklusion, im Bistum Limburg.
Sie ist Grundschullehrerin mit Hauptfach Katholische Religion und unterrichtet an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Hören. Sie ist Sozialpädagogin mit Zusatzqualifikationen in Godly-Play-Erzählungen, Franz-Kett-Pädagogik, Musik-, Tanz- und Spielepädagogik.
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Nach welchen Kriterien gestaltet man inklusiven Religionsunterricht?
Mir selber gefallen hier als Anregung die „Zehn Grundsätze für inklusiven Religionsunterricht“ und auch die „Leitlinien für einen inklusiven Religionsunterricht“ von www.inrev.de, dem Portal vom Comenius-Institut für inklusive Religionspädagogik der Vielfalt, sehr gut.
Grundsätzlich kann man sagen, dass ein inklusiver Religionsunterricht sich an den unterschiedlichen Lernmöglichkeiten und -bedürfnissen der einzelnen Schülerinnen und Schüler orientiert, die individuelle Lernausgangslagen erhebt und binnendifferenzierte, individualisierte Lerngelegenheiten gestaltet.
Darüber hinaus schafft er kooperative Lernarrangements, das heißt Arrangements, in denen sich die Lernenden gegenseitig unterstützen und gemeinsam zu Ergebnissen kommen. Viele religionspädagogische Konzepte und Methoden unterstützen das „Miteinander der Verschiedenen“ und ihren gemeinsamen Lernprozess. Die Ansätze betonen den Blick auf den ganzen Menschen und setzen den Lernprozess beim Erleben und gemeinsamen Handeln an. Ausgewählte Beispiele dafür sind Symboldidaktik, Kirchenraumpädagogik, Franz-Kett-Pädagogik mit der ganzheitlich-sinnorientierten Religionspädagogik (GSEB), Godly Play, Einsatz von Musik, Bibliolog, Einsatz von Bildern, inklusive Filmbildung, biblische Texte in leichter Sprache und vieles mehr. Aus diesem Grund ist meines Erachtens der Religionsunterricht geradezu prädestiniert für eine inklusive Bildung.
Zur Zeit wird viel über digitalen Unterricht oder den Einsatz von künstlicher Intelligenz diskutiert. Wo sehen Sie hier Chancen oder Risiken für den inklusiven Religionsunterricht?
Hier beginne ich mit einem Zitat von Dr. Lea Schulz: „Digitale Medien und Inklusion müssen in der Umsetzung innerhalb der Schule zwingend gemeinsam gedacht werden. Die Chancen im Einsatz bieten uns eine Möglichkeit, die inklusive Schullandschaft im positiven Sinne für alle Beteiligten zu gestalten.“ So bietet künstliche Intelligenz (KI) für den Abbau von Barrieren im Unterricht viele Möglichkeiten: KI-Assistenzsysteme können individualisierte Lernmaterialien bereitstellen, sprachliche oder andere kompensatorische Unterstützung leisten und bieten außerdem die Möglichkeit von permanentem Feedback. Auch kann durch KI sehr schnell der jeweilige Lernstand von Schülerinnen und Schülern ermittelt werden, so dass eine individualisierte Lernbegleitung möglich wird. Dabei kann ein lehrendenzentriertes Lernen aufgegeben werden, zu Gunsten einer Individualisierung des Lernens, bei dem die Lehrenden zu Lernbegleitenden werden.
Bei all den oben genannten Chancen für die Inklusion sehe ich aber auch die Gefahr der Vereinsamung der Lernenden beim Einsatz von digitalen Medien und KI-Tools. Nicht mehr das Miteinanderlernen, sondern der individuelle Lernweg steht im Vordergrund. Dabei kann verloren gehen, was ganz wichtig ist im inklusiven, wie auch im religionspädagogischen Kontext: dass Kinder und Jugendliche mit anderen Kindern und Jugendlichen lernen und in den Austausch kommen über die großen Fragen des Religionsunterrichtes, um sich anschließend dazu zu positionieren.
Des Weiteren habe ich unter der zweiten Frage erläutert, welche Chancen der Religionsunterricht mit seinen besonderen ganzheitlich-sinnorientierten Methoden bietet. Diese können meiner Meinung nach nicht durch digitale Tools Eins zu Eins ersetzt werden. Dies gilt vor allem für den Unterricht in den ersten Schuljahren.
Das heißt, es sollte keine Entweder-Oder-Entscheidung zwischen digitalem und analogem Lernen gesehen werden. Vielmehr sollte meiner Meinung nach beides kombiniert werden, so dass Lernen für alle bestmöglich gestaltet werden kann.
Was ist die "Woche für das Leben"?
In der ökumenischen Veranstaltung erinnern katholische und evangelische Kirche gemeinsam daran, dass Menschen mit Behinderungen Teil unserer Gesellschaft sind und dass ihr gesellschaftlicher Beitrag durch ihre jeweils eigene Lebensgestaltung und Wahrnehmung von Lebenswirklichkeit eine Bereicherung für alle darstellt. So stellt die 30. Woche für das Leben, die vom 13. bis zum 20. April 2024 unter dem Motto »Generation Z(ukunft): Gemeinsam. Verschieden. Gut.« stattfindet, die Lebenswirklichkeiten junger Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt.
Hier geht es zur Eröffnungsveranstaltung in Rüdesheim am Rhein. In der Marien Kirche des Sankt Vincenzstifts, die bekannt ist für ihre inklusive Kunst, feierten Bischof Bätzing und Bischöfin Fehrs einen ökumenischen Gottesdienst.
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Unser rpp-Schwerpunkt "Inklusive Bildung":
Seit dem Gipfel zur inklusiven Bildung 2014 sind Politik und Öffentlichkeit aufgefordert, aktiv auf die Etablierung von Inklusion als Leitbild der Bildungspolitik und -praxis hinzuwirken. Zwei Jahre zuvor veröffentlichte die Kommission für Erziehung und Schule der Deutschen Bischofskonferenz ihre Empfehlungen. Wir haben unsere Materialliste aktualisiert: Medien, Hintergründe, Tipps und Links.
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(ck/Regina Weleda/woche-fuer-das-leben.de)