Das Erzbistum Hamburg hat sich nach einem gut zweijährigen Modellprojekt an staatlichen Schulen für den Einstieg in den „Religionsunterricht für alle“ (RUfa) in der Hansestadt ausgesprochen. Die Schulbehörde spricht die Inhalte dabei künftig mit der evangelischen Kirche, dem katholischen Erzbistum, der jüdischen Gemeinde, den drei islamischen Religionsgemeinschaften Hamburgs und der alevitischen Gemeinde ab, weitere Religionen werden über ein Fachteam einbezogen.
Das Erzbistum Hamburg wird bei der Stadt und den beteiligten Religionsgemeinschaften – der evangelischen Nordkirche, der alevitischen und der jüdischen Gemeinde sowie den muslimischen Religionsgemeinschaften – nun den Beitritt zum „Religionsunterricht für alle“ beantragen. „Das gemeinsame Lernen der Kinder ist eine wunderbare Idee für unsere religiös und kulturell vielfältige Stadt“, hebt Senator Rabe vor.
Angesichts der kulturellen und religiösen Vielfalt in Hamburg haben viele Religionsgemeinschaften das Recht, einen jeweils eigenen Religionsunterricht an den staatlichen Schulen einzufordern. In Hamburg haben sich die Evangelische Nordkirche, mehrere muslimische Religionsgemeinschaften, die alevitische und die jüdische Gemeinde dagegen für einen anderen Weg entschieden. Sie bieten einen gemeinsamen Religionsunterricht für alle Kinder und Jugendlichen an, der auch Kinder und Jugendliche einschließt, die keiner Religion zugehörig sind. Schulsenator Rabe: „Dieser bundesweit einmalige Unterricht trennt nicht, sondern führt zusammen und ermöglicht damit den Dialog von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Weltanschauungen.“
Modellprojekt und wissenschaftliche Gutachten
Ein 2019 aufgelegtes Modellprojekt in Kooperation mit der Evangelischen Nordkirche und der Behörde für Schule und Berufsbildung und mit Unterstützung der anderen Religionsgemeinschaften hat aus Sicht des Erzbistums Hamburg deutlich gemacht, dass die Unterschiede der Konfessionen in der Praxis des Religionsunterrichts ausreichend berücksichtigt und verdeutlicht werden konnten. Mit gutachterlichen Expertisen und wissenschaftlich begleiteten Symposien seien in den vergangenen Monaten die wesentlichen religionspädagogischen und verfassungsrechtlichen Fragestellungen, die aus Sicht des Erzbistum Hamburg noch offen waren, erörtert und positiv beantwortet worden.
„Wir haben als Kirche jetzt die große Chance, mit diesem für Hamburg passgenauen Konzept ab dem kommenden Schuljahr alle Schülerinnen und Schüler an den staatlichen Schulen zu erreichen, darunter rund 24.000 katholische Kinder und Jugendliche“, so Erzbischof Heße. Die in den vergangenen Jahren erfolgte Weiterentwicklung des „Religionsunterricht für alle“ ermögliche aus Sicht Heßes eine differenzierte Auseinandersetzung junger katholischer Christinnen und Christen mit den spezifischen Inhalten ihres Bekenntnisses – und garantiere einen Religionsunterricht, der auch von katholischen Lehrkräften erteilt wird. Der Beitritt der Katholischen Kirche zum RUfa eröffne den etwa 100 katholischen Religionslehrkräften im Staatsdienst eine neue und sichere Perspektive. Ab dem Schuljahr 2022/23 sollen sie mit einer Beauftragung des Erzbistums Hamburg weiter Religion unterrichten können.
Der „RUfa“ wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler
Seit 2012 hatte die Schulbehörde mit der evangelischen Kirche, den islamischen Religionsgemeinschaften, der alevitischen und der jüdischen Gemeinde den Religionsunterricht für alle umfassend weiterentwickelt. Die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte wurde angepasst. Neue Rahmenpläne werden derzeit eingeführt. Rabe betont: „Der Religionsunterricht für alle wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler, ganz gleich welcher Religion sie angehören oder welche Lebensauffassung sie prägt.“ Jenseits des staatlichen Schulwesens erreicht die katholische Kirche in Hamburg derzeit rund 6.500 Kinder und Jugendliche mit dem verpflichtenden Unterrichtsfach Katholische Religion an ihren 20 Schulstandorten.
Erzbischof Heße verdeutlichte, dass der „Religionsunterricht für alle“ ein auf die spezifische gesellschaftliche Situation Hamburgs zugeschnittenes Modell sei. Eine Übertragung dieses religionsunterrichtlichen Formates auf die ebenfalls zum Erzbistum Hamburg gehörenden Regionen Schleswig-Holstein und Mecklenburg sei kaum denkbar.
Hintergrund
Während in den anderen Bundesländern der Religionsunterricht nach Religionen und Konfessionen getrennt erteilt wird, setzt Hamburg nun auf einen gemeinsamen „Religionsunterricht für alle“. Die Schulbehörde spricht die Inhalte dabei mit der evangelischen Kirche, dem katholischen Erzbistum, der jüdischen Gemeinde, den drei islamischen Religionsgemeinschaften Hamburgs und der alevitischen Gemeinde ab, weitere Religionen werden über ein Fachteam einbezogen.
Das hat auch konkrete Folgen: Nicht mehr nur evangelische, sondern auch jüdische, muslimische, alevitische und nun auch katholische Lehrkräfte können den Religionsunterricht erteilen – vorausgesetzt, sie haben ein vollständiges Studium und ein ordentliches Referendariat absolviert. Anders als in anderen Bundesländern wird der Unterricht weiterhin ausschließlich von staatlichen Lehrkräften erteilt werden, Geistliche und Mitarbeiter der Religionsgemeinschaften bleiben ausgeschlossen. Die verschiedenen Religionen bleiben Pflichtthema. Darüber hinaus werden zahlreiche Fragen nach Werten, nach einem gelungenen Zusammenleben und Religionskritik erörtert. Wie das gehen kann, wurde seit dem Schuljahr 2014/15 an mehreren Pilotschulen erprobt, eine umfangreiche wissenschaftliche Begleitevaluation gab weitere Impulse. Ein weiteres Pilotprojekt prüfte den Einbezug katholischer Perspektiven.
Die Bildungspläne sehen vor: „Der Religionsunterricht wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler – ungeachtet der persönlichen Überzeugungen und religiösen Prägungen, die für sie persönlich bedeutsam sind. Er ermöglicht, Religionen und andere Überzeugungen kennenzulernen, über sie nachzudenken und sich ein kenntnisreiches und differenziertes Urteil zu bilden. Wer sich einer Religion verbunden fühlt, kann Kenntnisse vertiefen, andere Überzeugungen und Lebensweisen kennenlernen, persönliche Auffassungen reflektieren und so die eigene religiöse Identität vertiefen. Jene, die keinen ausgeprägt religiösen Hintergrund haben, sich in Distanz oder Widerspruch zu jeglicher Form von Religion verstehen, können ihre kritisch-distanzierte Sichtweise in der Sache fundieren und religiöse Hintergründe anderer besser verstehen.“
Buchvorstellungen
Passend zum Thema "Religionsunterricht für alle" sind zwei Buchvorstellungen auf rpp-katholisch.de finden:
Zur Lage des konfessionellen Religionsunterrichts: "Machen Unterschiede Unterschiede? Konfessioneller Unterricht in gemischten Lerngruppen" von Klaus Kießling und Andreas Günter
Religionen im Dialog: "Ansätze, Kontexte und Impulse zu dialogischem Religionsunterricht" von Thorsten Knauth und Wolfram Weiße