(Quelle: Bistum Essen)

Vielfalt im RU

Nachrichten | 03.05.2021

Alleinerziehende Mütter, berufstätige Väter, arbeitssuchende Studierende und Menschen im Rentenalter: An einem Abendgymnasium kommen Menschen unterschiedlichster Herkunft, Altersstufen und Lebenslagen zusammen. Am Nikolaus-Groß-Abendgymnasium in Essen gibt es eine weitere Besonderheit. Da die Schule einen kirchlichen Träger hat, nehmen alle Studierenden am Religionsunterricht teil.

Das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium ist ein Weiterbildungskolleg in Trägerschaft des Bistums Essen. Insgesamt 400 Studierende unterschiedlichster Herkünfte und Lebenslagen werden in der Einrichtung des Zweiten Bildungsweges unterrichtet. Ein Autorenteam aus dem Kollegium des katholischen Abendgymnasiums berichtet, was die große Heterogenität der Studierendenschaft für den Religionsunterricht bedeutet. Der Text ist ein Auszug aus dem Artikel „Gott ist bei allen Menschen, wir dürfen helfen, ihn (wieder) zu entdecken“, zuerst erschienen in dem religionspädagogischen Magazin „kontexte“ des Bistums Essen (Ausgabe Januar 2021). Den kompletten Text, der auch zwei Erfahrungsberichte von Studierenden beinhaltet, können Sie zudem auf unserem Partnerportal katholische-schulen.de lesen.

 

Gott ist bei allen Menschen

Der Religionsunterricht des Abendgymnasiums trifft auf Studierende ab dem Alter von 18 Jahren bis hin zum Rentenalter, aus vielerlei Berufen und Lebenssituationen, die mehr oder weniger religiös geprägt wurden. Die zu vermittelnden Denkanstöße und Kenntnisse im Unterricht ermöglichen eine (Wieder-)Begegnung mit den Grundlagen des Christentums, seinem Menschenbild, seinem Daseinsverständnis, seiner Kultur in Geschichte und Gegenwart.

Heterogener Religionsunterricht – bereichernd für Studierende und Lehrende

Stellen Sie sich einen konfessionell gebundenen Religionsunterricht vor, bei dem viele Studierende nicht getauft sind oder anderen Religionen angehören. Und stellen Sie sich vor, dieser Religionsunterricht wird zudem von Menschen besucht, die größte Vorbehalte jeder Religion gegenüber haben, diese im Zweifelsfall sogar gänzlich ablehnen. Nur sehr wenige sind in ihrem Glauben so verwurzelt, dass sie ihn aktiv leben, aber niemand kann diesen Unterricht abwählen, da es sich um eine Schule in katholischer Trägerschaft handeln. Das ist Religionsunterricht am Nikolaus-Groß-Abendgymnasium – dieser ist oftmals herausfordernd und alles andere als „normal“, aber unglaublich vielfältig und chancenreich.

Wir Religionslehrer erleben Vielfalt als Schlüssel zu einem gelungenen interreligiösen Dialog, welcher, getragen von einer Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung, den Religionsunterricht nicht nur bereichern kann, sondern zur Persönlichkeitsentwicklung und Entfaltung der Studierenden beiträgt – und manchmal auch der Lehrenden.

Herausforderungen des heterogenen Religionsunterrichts

Herausforderungen sind aber durchaus nicht zu übersehen. Zum einen kann meist nicht auf ein Basiswissen, das aus einem Mittelstufen- und Unterstufenunterricht kumuliert wurde, zurückgegriffen werden, was auch die fachspezifischen Methoden einschließt. Zum anderen sind die Erfahrungen und das Erlernte Studierender anderer Glaubensgemeinschaften vermehrt auch ein Hindernis in Bezug auf eine kritische Auseinandersetzung mit religiösen Themen, was auch bei der Hinterfragung einiger Glaubensinhalte zu einer Blockadehaltung führt, obwohl es gar nicht darum gehen soll, etwas abzuwerten oder als falsch darzustellen. So ist es beispielsweise bei der Frage nach dem biblischen Gott, mit Fokussierung auf das Exodusgeschehen, schwierig herauszustellen, dass sich das Gottesbild ambivalent darstellt, da zum Beispiel das Töten des Erstgeborenen der Ägypter, die zehnte Plage (Ex 11), als gerechte und folgerichtige Handlung Gottes gesehen wird, da es ja Gott sei, der handelt. Was auch bei der Schilfmeergeschichte und dem Ertränken der ägyptischen Streitmacht (Ex 13) entsprechend gedeutet wird. Probleme, die bei solchen Handlungen und Beschreibungen aufkommen, werden nicht als existent anerkannt.

 

 

Dies lässt sich fortführen bei der Theodizeefrage, bei der eine kritische Hinterfragung dem Gedanken einer ständigen Prüfung des Menschen durch Gott und seiner Belohnung im Himmelreich häufig untergeordnet wird und eine Offenheit für eine Durchdringung der Gedankenmodelle zu dieser Frage verhindert. Die atheistischen Studierenden werten diese exemplarisch benannten Unterrichtsinhalte als eine Bestätigung ihres als zurecht empfundenen Nichtglaubens, was eben auch ein Eindringen in die Thematik blockiert. In der Christologie ist gerade die theologische Durchdringung der Auferstehung Jesu und damit einhergehend die trinitarische Vorstellung Gottes eine große Herausforderung. Dem ließen sich weitere Themenfelder anschließen.

Offenheit wichtig für Religionsunterricht

Solche Herausforderungen sind auf der anderen Seite aber auch bereichernd für den Religionsunterricht, der „einen eigenständigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und Weltorientierung im Rahmen allgemeiner Schulischer Bildung“ leisten soll. Gerade dafür müssen eben festgefahrene Denkmuster durchbrochen werden, um eine Offenheit und Überprüfung der eigenen Einstellungen überhaupt zuzulassen. Ein richtiger Weg dahin ist die Korrelationsdidaktik, die sowohl die existenziellen Fragen als auch die theologischen Inhalte zusammenbringt. Dabei sollte klar sein: „Beide Größen – menschliches Existential und christliche Botschaft – stehen in einer bereits bestehenden Wechselbeziehung, die aufgedeckt und nicht erst hergestellt werden muss!“ Die in der Regel größere Lebenserfahrung der volljährigen Studierenden im Gegensatz zu Schülerinnen und Schülern des ersten Bildungswegs bietet bei aller gebotenen Sensibilität im Umgang mit den biografischen Hintergründen (Fluchterfahrungen, Ausgrenzungen, Partnerschaft und Elterndasein, erstes Scheitern auf dem Lebensweg, Verlust- oder Gewalterfahrungen) Religionslehrerinnen und -lehrern sowie den Mitstudierenden dafür große Chancen.

Die kontrastiven Sichtweisen zu den Erlebnissen und den theologischen Inhalten der christlichen Botschaft zeigen dann zumindest, dass es eine Pluralität der Weltdeutung gibt und diese auch eine Berechtigung hat. Dies wiederum verlangt von den Lehrkräften, dass sie „im Unterricht Lernprozesse so (…) initiieren, dass die Wechselbeziehung bewusst eingesetzt wird, um religiöses Lernen zu ermöglichen.“ Wenn das gelingt, wird Heterogenität wirklich Ausgang und Chance des gemeinsamen Lernens im Religionsunterricht.

Religion in der Schulgemeinschaft erfahren

Welchen Stellenwert haben nun religiöse Angebote und unterschiedliche Weltanschauungen bzw. religiöse Einstellungen im kulturellen Leben der Schulgemeinschaft und im sozialen Miteinander? Studierende heben hier die freiwillige Teilnahme an Schulgottesdiensten, die jeweils von Studierenden verschiedener Semester thematisch bearbeitet und vorbereitet werden hervor. Dort können Bezüge zur Religiosität geweckt werden, welche zwar in den eigenen Wurzeln bzw. der persönlichen Lebensgeschichte vorhanden sind, die allerdings durchaus mit der Zeit eingeschlafen sind und folglich durch die aktive Mitarbeit neue Impulse erfahren.

 

 

Auch eine Wanderung zum Geburtshaus des Namensgebers der Schule, Nikolaus Groß, in Hattingen mitsamt Gottesdienst anlässlich des 60. Schuljubiläums im Sommer 2019 unter dem Motto „Bildung als Aufbruch zum Frieden“ unterstreicht das gezeichnete Bild. Das Gedenken an Nikolaus Groß wird hierbei von der Schulgemeinschaft aktiv beibehalten und ist integraler Bestandteil des gemeinschaftlichen Verständnisses der Schule. Insbesondere der unmittelbare Ortsbezug zum Geschichtsträchtigen Wirken des Namenspatrons dient als Motivation, die Glaubenshintergründe im Unterrichtsgeschehen erfahrbar zu machen und an die Lebensrealität der Studierenden konfessionsübergreifend heranzurücken, so dass dies bereits eine identitätsstiftende Wirkung für die Studierenden aufweist.

Heterogenität in der Schulkultur

In der Schule für Erwachsenenbildung erfahren die Studierenden, dass das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium besonderen Wert auf die Selbstständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Studierenden legt. Auch umgekehrt legen die Studierenden Wert darauf, dass sich eine Kommunikation auf Augenhöhe einstellen kann. Denn die erwachsene Studierendenschaft ist aufgrund ihrer Lebensläufe und Ethnien sowie geprägt von Heterogenität und Diversität, gefestigter in ihren Religionen und Weltanschauungen. Teilweise haben sie selbst schon eigene Kinder im schulpflichtigen Alter. Das alles verlangt nach einer individuellen Form des Ablaufs. Viele der Gruppendynamiken, die sich entwickeln, sind von Reife, gegenseitigem Respekt, Solidarität und Toleranz gegenüber anderen Weltanschauungen und Religionen geprägt. So werden auch Angebote der Studierendenvertretung, sich einzubringen, von vielen Studierenden gerne genutzt, z.B. in Arbeitsgemeinschaften, die sich im Rahmen des Projekts „Schule ohne Rassismus“ bildeten oder in der Organisation von Spendensammlungen für eine über das Hilfswerk Adveniat laufende Unterstützung einer nicaraguanischen Schule.

Der Solidaritätsgedanke und die gegenseitige Toleranz zeigen sich nicht nur in ruhigen Zeiten z.B. in der Vorbereitung von Schulfeiern, sondern auch in der momentanen Zeit der Unsicherheit und Krise. Dies drückt sich in Rücksichtnahme und gegenseitiger Unterstützung aus, in Werten, die im Religionsunterricht fundiert und ausgebaut werden.

 

Den ganzen Artikel sowie zwei Erfahrungsberichte von Studierenden können Sie auf unserem Partnerportal katholische-schulen.de lesen.

 

Bilder: Bistum Essen; Biewer_Jürgen - stock.adobe.com

(mam)

 

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