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Antisemitismus in der Schule

Nachrichten | 11.12.2018

„Du Jude“ ist 73 Jahre nach dem Holocaust ein auf Pausenhöfen oft genutztes Schimpfwort. In Lehrerzimmern herrscht zudem häufig Unwissen über Antisemitismus unter Schülern – oder das Thema wird heruntergespielt. Das sind nur einige Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie „Mach mal keine Judenaktion!“. Im Rahmen der online zugänglichen Ausarbeitung geben die Forscher Handlungsempfehlungen für Lehrer.

Für die empirische Studie führte die Arbeitsgruppe um Julia Bernstein, Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt University of Applied Sciences, deutschlandweit 227 Interviews an 171 Schulen mit jüdischen Schülerinnen und Schülern, deren Eltern, mit jüdischen und nichtjüdischen Lehrkräften sowie mit Fachleuten aus der Sozialarbeit und aus Bildungsorganisationen. Es ist die erste empirische Studie zum Antisemitismus im schulischen Bereich, die den Blick nicht von außen richtet, sondern die Perspektiven von Jüdinnen und Juden in den Vordergrund stellt. Der Fokus lag aber nicht ausschließlich auf den Erfahrungen von Betroffenen, sondern bezog verschiedene Akteure schulischer Bildung ein. Daraus haben sich drei inhaltliche Problemschwerpunkte des Antisemitismus an Schulen herauskristallisiert:

- Antisemitismus in Bezug auf Israel ist unter Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften normalisiert. Er manifestiert sich als sogenannte „Israelkritik“, die oft Aggressivität und Hass gegen Juden verbirgt. Israel wird laut Bernstein zum „Juden unten den Staaten‘, er wird dämonisiert, und die jüdischen Schüler und Schülerinnen werden als Repräsentanten des Staates verhasst.

- Antisemitismus wird nicht als Phänomen eigener Art wahrgenommen. Oftmals wird er als Rassismus missverstanden. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden oft nicht verstanden.

- Der gegenwärtige Antisemitismus artikuliert sich häufig in Bezugnahmen auf den nationalsozialistischen Antisemitismus und die Shoah. Es zeichnet sich eine deutliche Kontinuität des Antisemitismus ab. Die Präsentation von Hitlergruß und Hakenkreuz sowie Sprüche über Gas und Vergasung seien in hohem Ausmaß enttabuisiert.
 

Schule als Untersuchungsort bewusst gewählt

Das Team um Bernstein hat den Untersuchungsort Schule bewusst gewählt: „Die Schule ist ein Mikrokosmos. Gesamtgesellschaftliche Phänomene bilden sich in der Institution Schule und im Habitus ihrer Akteurinnen und Akteure wie unter einem Brennglas ab. Das gilt auch für Antisemitismus“, so Bernstein. Antisemitismus beginne nicht erst dann, wenn jüdische Schülerinnen und Schüler bedroht würden oder Gewalt erführen. „Die Ergebnisse unserer Untersuchungen belegen, dass jüdische Kinder und Jugendliche im Schulalltag mit Antisemitismus in verschiedenen Erscheinungs- und Ausdrucksformen konfrontiert sind. Sie sind nicht nur verschiedenen antisemitischen Stereotypen, Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt, sondern auch oft einer feindseligen Atmosphäre, die einen selbstverständlichen, offenen Umgang mit ihren jüdischen Identitäten erschwert, wenn nicht gar verhindert“, erklärt die Soziologin.

Anfeindungen gehen auch von Lehrern aus

Laut Bernstein gehen Artikulation von Antisemitismus und Anfeindungen nicht ausschließlich von der Schülerschaft, sondern teils auch von Lehrkräften aus. Die Betroffenen stießen oft auf Unverständnis bei Teilen des Kollegiums und blieben mit ihren Antisemitismuserfahrungen, auch mit Bedrohungen und Angriffen, häufig allein. Diese Erfahrungen finden sich nach den Berichten der Interviewten in unterschiedlichen Schulformen, Klassenstufen und Orten in ganz Deutschland wieder. Die Studie schlüsselt die Erlebnisberichte aus drei Perspektiven auf: die der jüdischen Schüler, die der nicht-jüdischen Lehrkräfte und die der jüdischen Lehrkräfte.

Handlungsempfehlungen für die Schule

Auf Grundlage der Forschungsbefunde formulieren die Wissenschaftler abschließend Handlungsempfehlungen für Lehrer – in dem Bewusstsein, dass es pauschale Handlungsrezepte zum pädagogischen Umgang mit Antisemitismus nicht gibt. Jede Manifestation des Antisemitismus müsse eine pädagogische oder disziplinarische Reaktion nach sich ziehen, erklärt Bernstein. Überdies sei es wichtig, präventiv zu arbeiten, um Fragmenten antisemitischer Weltanschauung und Ressentiments unter Schülerinnen und Schülern zu begegnen und antisemitische Angriffe zu verhindern. Bernstein betont: „Es gibt keinen harmlosen Antisemitismus.“

Online-Angebot und Weiterbildungen

Zudem dienen verschiedene Quizze zu den Themen Antisemitismus, Judentum und jüdische Lebenswelten in Deutschland den Nutzern zur Überprüfung des eigenen Wissensstands und zur Reflexion eigener Wahrnehmungsmuster. Die Kooperationspartner der Arbeitsgruppe um Bernstein – das Kompetenzzentrum in Berlin, die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main sowie das Pädagogische Zentrum des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main – bieten für Lehrkräfte hilfreiche Weiterbildungen an. Begleitend zum Projekt „Mach doch keine Judenaktion" gibt es eine Internetseite, auf der Interessierte nicht nur die Forschungsergebnisse vorfinden, sondern auch Informationen, Quizze und Texte, die zur Selbstreflexion einladen sollen.

Die Studie im Netz

Die Studie „Mach mal keine Judenaktion! Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus“ finden Sie online auf den Seiten der Frankfurt University (Frankfurt UAS).

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(idw/mam)

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