Insgeamt 63 000 Besucherinnen und Besucher zählte die didacta dieses Jahr. Auch die katholischen Bistümern und die evangelischen Landeskirchen waren mit einem Stand der Kirche in ökumenischer Zusammenarbeit vor Ort. Sascha Flüchter, leitender Kirchenrat, erzählt: Religionsunterricht ist das "gemeinsame Herzesanliegen".
Herr Flüchter, das Programm auf der didacta wurde von der katholischen und der evangelischen Kirche gleichermaßen und in Zusammenarbeit organisiert, koordiniert und letztendlich hier am Kirchenstand umgesetzt. Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?
Die Organisation des Kirchenstandes ist ein Kooperationsprojekt der katholischen Bistümer und der evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen. Normalerweise findet die didacta nur alle drei Jahre in Köln statt. Dieser Rhythmus ist seit Corona ein wenig durcheinandergeraten, so dass wir jetzt schon nach zwei Jahren wieder einen Stand aufbauen mussten. Sie können sich sicher vorstellen, dass so eine Organisation mehrere Monate Vorlauf braucht.
Profitiert haben wir trotz des Zeitdrucks von dem guten Evaluationsprozess der letzten Bildungsmesse. Wir konnten gemeinsam schnell feststellen, was bei den Messebesuchern gut angekommen ist, und waren deswegen für dieses Jahr auch gut aufgestellt. Tatsächlich sind wir in die Vorbereitungen kurz vor den Sommerferien 2023 eingestiegen.
Wie haben Sie sich als Kirchen organisiert? Welche Hierarchien braucht es, um so ein gemeinschaftliches Projekt umzusetzen?
In einer Steuerungsgruppe sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der obersten Ebene der Bildungsabteilungen der Bistümer und der Landeskirchen vertreten. Wir steckten den Rahmen und die groben Linien ab, diskutieren die übergeordneten Themen, analysieren die „politische Großwetterlage“ und die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, die wir uns für das Podium vorstellen können.
Daneben gibt es die Arbeitsgruppe, die das Programm erstellt und zu überlegt, wer welche Rolle übernehmen könnte. Dabei wird berücksichtigt, dass Vertreterinnen und Vertreter aller Bistümer und Landeskirchen die Gelegenheit bekommen, sich zu zeigen und einzubringen. Bei der Programmgestaltung ist die „Messetauglichkeit“ besonders wichtig. Messebesucherinnen und -besucher laufen vorbei und schnappen Stichwörter auf, die sie dazu veranlassen, stehen zu bleiben. Jeder Interessierte muss die Gelegenheit bekommen, leicht in die Thematik einzusteigen. Deshalb sind Talk- oder Interviewformate gut, die sich mit dem Element des Roten Sofas bewährt haben. Da sind wir froh, mit Moderator Daniel Schneider einen sehr kompetenten Menschen gewonnen zu haben, der durch das Programm führt und unsere Ideen umsetzt, Gäste empfängt, die richtigen Fragen stellt und Interesse bei den Besucherinnen und Besuchern weckt. Außerdem waren in diesem Jahr wieder Schülerinnen und Schüler am Programm beteiligt, die von ihren Projekten an der Schule berichtet haben. Das stößt immer auf besonderes Interesse.
Ein weiterer Magnet sind bekannte Namen. Menschen lesen die Namen und sagen sich: Den oder diejenige würde ich gerne mal live sehen. So haben wir uns über die Zusage von Bildungsministerin Dorothee Feller gefreut oder über Professor Thomas Söding von der Ruhr Universität in Bochum. Im Gesprächsformat auf dem Roten Sofa funktionieren diese Programmpunkte ganz hervorragend.
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ZurPerson:
Dr. Sascha Flüchter hat evangelische Theologie und Mathematik studiert. Er ist Pfarrer und leitender Kirchenrat im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland. Gemeinsam mit evangelischen und katholischen Kolleginnen und Kollegen organisierte er in diesem Jahr zum zweiten Mal den Stand der Kirche auf der Bildungsmesse didacta.
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Doch was tun Sie, damit die Messebesucher auch ein wenig länger bleiben?
Wir haben unser Café. Hier nutzen Leute die Chance, sich zu setzen und ganz entspannt ins Gespräch zu kommen. Da sind Menschen, die deswegen zu uns kommen, weil „Kirche“ dransteht. Viele aktive und ehemalige Religionslehrkräfte kommen vorbei und suchen das Gespräch. Andere kommen, weil man bei uns sitzen, die Seele baumeln lassen und Kaffee trinken kann.
Aber man darf doch nicht vergessen: Der Stand der Kirchen ist ein Angebot unter vielen. Wie haben Sie das in der Organisation berücksichtigt?
Der Stand ist schon beim Hereinkommen in die Halle von weitem gut sichtbar. Ich habe mit einem Besucher gesprochen, der sagte: Großartig, dass die Kirche sich nicht versteckt, sondern in die Öffentlichkeit geht.
Es ist uns ein Anliegen, im Bereich Bildung als Kirche präsent zu sein. Wir wollen unsere Bildungsbeiträge zeigen: Religionsunterricht, Schulträgerschaft, Schulseelsorge/Schulpastoral. In diesen Angeboten sind wir als kritisch-konstruktive Gesprächspartner auch auf politischer Ebene angesehen.
Die Besucher, die herkommen und Kirche wahrnehmen, nehmen sie überwiegend positiv wahr. Der kirchliche Bildungsauftrag wird sehr geschätzt und es sind viele Menschen, die mit uns über Bildung verbunden sind.
Was kann denn der Messestand für den Religionsunterricht und die Lehrkräfte tun?
Der Stand gibt Religionslehrkräften eine Anlaufstelle. So hat die didacta hat einen Ort, an dem sich Menschen treffen, denen Religionsunterricht ein Herzensanliegen ist. Sie treffen sich, vernetzen sich, bekommen Informationen und tauschen Ideen aus.
Außerdem stehen Kirche und Religionsunterricht in einem öffentlichen Raum, in dem noch viele andere Bildungsangebote sind. Religionsunterricht ist keine Nischenveranstaltung, sondern ordentliches Lehrfach. In diesem Punkt sind wir im evangelischen und im katholischen Religionsunterricht gemeinsam unterwegs am Kirchenstand auf der didacta.
Sascha Flüchter gehörte auf der didacta zur festen Standbetreuungsteam. Er suchte das Gespräch zu zahlreiche Gäste und Messebesucherinnen und -besucher.
Wie stehen Sie zum islamischen Religionsunterricht?
An unserer evangelischen Gesamtschule in Burscheid gibt es neben evangelischem und katholischem Religionsunterricht auch islamischen Religionsunterricht, denn wir haben viele islamische Schülerinnen und Schüler. Zusätzlich haben wir Module interreligiösen Lernens in jeder Jahrgangsstufe. Sie geben den Schülerinnen und Schülern der verschiedenen Konfessionen und Religionen die Möglichkeit miteinander zu reden statt übereinander. Wir verstehen das auch als einen wichtigen Beitrag zum Demokratielernen an der Schule.
Was sagen Sie zu dem Vorschlag, Religionsunterricht auf das Lernen über Religionen zu beschränken?
Auch hier gilt: Über Religion zu sprechen ist etwas anderes als von Religion zusprechen. Religion nur als Religionskunde zu unterrichten, geht an der Sache vorbei. Es gibt ja auch kein Unterrichtsfach „Sprachen“, in dem alle Fremdsprachen gemeinsam unterrichtet werden. Ein bisschen so ist das mit dem Religionsunterricht auch. Die Konfessionen und Religionen haben Ähnlichkeiten und Verbindendes, aber es ist doch auch eine konfessionell eigene Sprache, die man am besten von einem „Muttersprachler“ oder einer „Muttersprachlerin“ lernt.
Also ist der konfessionelle Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an Schulen unverzichtbar?
Ja. Schule ist ein lebensweltlich relevanter Ort: Schülerinnen und Schüler verbringen viel Zeit dort und machen prägende Erfahrungen. Sie sollten auch die Chance haben, religiöse Erfahrungen zu machen: möglichst authentisch, im Miteinander, im Aushandeln untereinander. Sie müssen dort leben und ausprobieren, wie das Leben gemeinsam aussehen kann, auch das religiöse und das spirituelle Leben. Da sind der Religionsunterricht und Schulseelsorge/Schulpastoral entscheidende Größen der Gestaltung.
Ich erlebe in Schule häufig, dass sich Menschen sorgen, wenn im Schulleben zu viel Religiosität zugelassen wird. Da könnte der Schulfrieden in Gefahr geraten, heißt es dann. Ich verstehe diese Sorge. Doch ich halte es für einen Fehler, ihr nachzugeben. Damit drängen wir das Religiöse ins Private ab und nutzen den Lernort Schule überhaupt nicht, um dort eben auch wichtige Lernerfahrungen zu machen. In meinen Augen braucht es daher eher mehr Religiosität an Schulen als weniger. Und zwar auch gelebte, nicht nur theoretische Religiosität. Hier müssen wir die Schulen weiter ermutigen. Das können wir durch die Präsenz unserer Lehrkräfte und unserer Schulseelsorge/Schulpastoral. Das, glaube ich, ist gesellschaftlich höchst bedeutsam und wird in Zukunft noch bedeutsamer werden.
(ck)