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Religionsunterricht im Wandel

Nachrichten | 22.05.2024

Regionale Veränderungen fordern die Religionspädagogik heraus. Viele Projekte und Formate mit abweichenden und ergänzenden Nuancen des konfessionellen Religionsunterrichts haben sich in den letzten Jahren entwickelt. Sie alle suchen einen Weg, dem Anspruch der Gesellschaft gerecht zu werden. Welche Modelle gibt es? Wo liegen ihre Stärken und Schwächen?

Die rechtliche Grundlage für den konfessionellen Religionsunterricht ist im Grundgesetz verankert. Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. (GG: Art. 7 Abs. 3Trotz gemeinsamer Rechtsgrundlagen haben sich in Deutschland in den letzten Jahren neben dem konfessionellen Religionsunterricht auch andere Modelle und Formate entwickelt. Wie kam dazu?

Regionale Ausprägung des Religionsunterrichts

„Die Religionszugehörigkeit ist ein wichtiges Distinktionsmerkmal“, schreibt Dr. Jörg-Dieter Wächter, Privatdozent für allgemeine Erziehungswissenschaft an der niedersächsischen Universität Hildesheim und Leiter der Hauptabteilung Bildung des Generalvikariats im Bistum Hildesheim in seinem Essay Formen des Religionsunterrichts in Deutschland, erschienen in der Herder Korrespondenz. „Neben die herkunftsbedingte religiöse Heterogenität tritt eine zunehmende Abkehr von der Kirchenzugehörigkeit. Weltanschauungen erheben nicht mehr den Anspruch, religiös formatiert zu sein. Nicht nur konfessionelle Bindungen schwinden, sondern es entsteht eine durchweg differenzierte weltanschauliche und religiöse Landschaft“, so Jörg-Dieter Wächter.

Für Schülerinnen und Schüler spielt die Konfessionszugehörigkeit kaum mehr eine Rolle. „Das theologisch Trennende der Kirchen tritt faktisch in den Hintergrund“, schreibt Jörg-Dieter Wächter. „Die Menschen leben aus ihren Traditionen, Riten und Gebräuchen heraus, verstehen sich aber nicht mehr als abgrenzend und als konstitutiv für ihre Verortungen im Gemeinwesen.“ Zusammen mit den steigenden Zahlen der Kirchenaustritte hat das Folgen für den Religionsunterricht: In Niedersachsen wird der sogenannte Christliche Religionsunterricht (CRU) konzipiert. Man rechnet mit der Einführung zum Schuljahr 2025/2026.*

In Norddeutschland geht man in der Stadt Hamburg einen anderen Weg: Mit dem Format RUfa2.0, dem Religionsunterricht für alle in konfessioneller Kooperation und in gleichberechtigter Verantwortung der Religionsgemeinschaften, will das Erzbistum Hamburg auf den religiösen Pluralismus in der Stadt Hamburg reagieren.

Religionsunterricht in der Diaspora

In Thüringen hingegen sind Religions- und Ethikunterricht ordentliche Lehrfächer. Seit 2020 ersetzt im Projekt KathReliOnline der digitale Religionsunterricht in Teilen den Präsenzunterricht. Damit reagiert das Bistum Erfurt in Kooperation mit dem Freistaat Thüringen auf die Diasporasituation. „KathReliOnline hat den Anspruch, die Potentiale digitalen Lehrens und Lernens für das Fach Katholische Religionslehre und damit für religiöse Lern- und Bildungsprozesse zu realisieren", schreiben Prof. Dr. Clauß Peter Sajak, Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, und Alissa Geisler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, in ihrer religionspädagogischen Evaluation. "Es eröffnet den Schülerinnen und Schülern die dezentrale Teilnahme am katholischen Religionsunterricht, indem dieser in Selbstlernphasen und (virtuelle) Präsenzphasen gegliedert wird."

Religionsunterricht konfessionell-kooperativ

Auch in Bayern steht der konfessionelle Religionsunterricht vor veränderten religionsdemografischen, theologischen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Auf der Anfang Februar stattgefundenen Fachtagung „Den Religionsunterricht in Bayern konfessionell-kooperativ weiterentwickeln“analysierten und evaluierten die Teilnehmer die gegenwärtige Situation für den Religionsunterricht in Bayern und den anstehenden Reformbedarf für Bildungseinrichtungen.  

Professorin Dr. Mirjam Schambeck, seit kurzem die neue Inhaberin des Lehrstuhls für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), ist sich der Herausforderung für die Ausbildung von Religionslehrkräften bewusst. „Gemeinsam wollen wir die Studierenden zu einem Unterricht befähigen, der das Gemeinsame des Christlichen in den Vordergrund stellt und dennoch das Besondere der konfessionellen Stile achtet“, so Mirjam Schambeck auf der Internetseite der LMU.

„Ob der Religionsunterricht wie bisher bekenntnisorientiert, also aus einer bestimmten religiösen Position heraus erteilt wird oder einer religionskundlichen, also dass Religion auf Infomaterial reduziert wird – darüber wird gesellschaftspolitisch heftig debattiert“, so die Bildungswissenschaftlerin. Sie selbst plädiert für die bekenntnisorientierte Form des Religionsunterrichts. „So legt man Diskursstandpunkte offen, was im Endeffekt demokratischer ist.“

Umfassende Informationen rund um die Formate des Religionsunterrichts

Die Diskussionen über und um den Religionsunterricht bleiben spannend: Im Laufe dieses Jahres möchten wir die unterschiedlichen Modelle und Formate in den verschiedenen Regionen Deutschlands vorstellen. Wir sprechen mit Expertinnen und Experten vor Ort, erklären Ursprung und Ideen. Wir zeigen, vor welchen Herausforderungen die Verantwortlichen, Lehrkräfte, Pädagoginnen und Pädagogen stehen und welche Folgen das für Bildungseinrichtungen und die Infrastruktur hat. Wir diskutieren Vor- und Nachteile und schauen auf die Bedeutung für Glaube, Religion und Kirche – denn „Religionsunterricht ist im Wandel!“

 

rpp-Schwerpunkt Reihe "Religionsunterricht im Wandel":

Das Ringen um RUfa 2.0: Religionsunterricht von allen für alle?, Ein Interview mit Friederike Mizdalski, Leiterin des Referats Religionspädagogik in der Abteilung Schule & Hochschule des Erzbistums Hamburg.

 

KathReliOnline - ein Projekt für zukunftsfähigen Religionsunterricht?

Zurück zum Homeschooling? Mit dem deutschlandweit einmaligem digitalen Hybridmodell KathReliOnline will das Bistum Erfurt zusammen mit der Landesregierung in Thüringen katholischen Religionsunterricht in entlegenen Regionen gewährleisten. Wie haben Lehrende und Lernende das Projekt erlebt? Hier geht es zum Interview.

 

Weiterführende Informationen: 

Formen des Religionsunterricht in Deutschland, verblüffende Vielfalt, von Jörg-Dieter Wächter. Als Ergänzung: Wie die Konfessionalität beim Religionsunterricht wahren? Neue Verschränkungs- und Fusionsformen, von Stefan Orth, Chefredakteur der Herder Korrespondenz. 

(ck/UN)

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