Everding, Matthias: Land unter!? Populäre Musik und Religionsunterricht. - Münster u.a.: Verlag Waxmann. 2000. 388 S., DM 49,90 (ISBN 3-89325-836-1)
Klaus Everding geht mit "Land unter!?" einen klar definierten eigenen Weg: Ausgangspunkt ist die Prämisse, dass "in einer Zeit, in der als vorherrschender Zeitgeist die "Individualisierung" und daraus bedingt eine "Subjektivierung" (von Schülern wie auch von Lehrkräften!) ausgemacht werden können", der Religionsunterricht in besonderer Weise flexible Kommunikationsformen und subjektive Wahrnehmungen erfordert. Aus diesem Grund betrachtet Everding in seinen Ausführungen "den Religionsunterricht" resp. die Schule von innen her. "Emotionale, subjektive, irrationale Momente" des Schullebens werden seiner Meinung nach bei den meisten pädagogischen Arbeiten mit wissenschaftlichem Anspruch ausgespart.
Everdings Buch stellt dar, wie wichtig Musik im Leben heutiger Schüler ist und welche Konsequenz dies für engagierte Religionslehrerinnen und -lehrer hat: Sich nämlich mit genau diesem Medium auseinanderzusetzen, Songs in die persönliche Unterrichtskonzeption einzubauen und entsprechend auf die Schülerinnen und Schüler zuzugehen.
In zwei einleitenden Kapiteln beschreibt Everding das Verhalten Jugendlicher, soweit dies durch Gesellschaft und Religionspädagogik abbildbar ist. Schwerpunkt ist die Orientierungslosigkeit in der Mediengesellschaft, der - nicht nur - Schüler ausgesetzt sind und vielfach erliegen. Populäre Musik wird dabei für den Autor zum vielleicht wesentlichsten Sozialisationsfaktor Jugendlicher, vor allem, weil andere Sozialisationsfaktoren an Gewicht verlieren (Kap. 3).
Grundsätzlich konstatiert Everding eine "religiöse Sprachlosigkeit" sowohl bei Lehrern wie bei Schülern, die zu einem grundlegenden Problem, zur eigentlichen Krise des Religionsunterrichts würde (Kap. 4).
Im Einsatz populärer Musik sieht Everding eine Möglichkeit, diese Sprachlosigkeit zu überwinden. Wichtig ist hierbei die eingenommene Position des Autors: So nimmt Everding ausdrücklich die Position des "informierten Fans" (oder die des Musikers) ein, setzt damit also bewusst auf die Karte "Lebensgefühl der Schüler" und grenzt sich zwangsläufig von einer wissenschaftlichen, distanzierten Betrachtungsweise ab (Kap. 5).
Zwei Folgekapitel sind ausdrücklich praktisch orientiert: So finden sich hier auch für den, der eben kein "informierter Fan" ist, kurze, prägnante Ausführungen über die Differenzierung zwischen christlicher Popmusik, neuem geistlichen Lied und Sacro-Pop, kurze Definitionen zu den Musikrichtungen Techno, Rap / Hip-Hop und Heavy Metal sowie deren Bewertung aus religionspädagogischer Sicht. Deutlich angesprochen wird auch, dass populäre Musik die Gefahr in sich birgt, einen "Orientierungsersatz" zu bieten (Starkult) und damit u.U. "Sakralisierungstendenzen" nach sich zieht. Dennoch (oder gerade deshalb?) werde Popmusik zu einem "emotionalen, biographischen Schlüssel" im Zugang auf Schüler.
Everding spricht sich für den Einsatz deutschsprachiger Songs im Religionsunterricht aus. Daher führt er fünf bekannte Songs deutschsprachiger Interpreten (Herbert Grönemeyer, Rio Reiser, Sabrina Setlur, Das Auge Gottes, Die Toten Hosen) an und gibt wertvolle Hinweise zu Didaktik und Methodik im Religionsunterricht (Kap. 7).
Die Rezeption von deutschsprachigen Songs im Religionsunterricht werden von Everding durch eine Meinungsbefragung bei Schülern eruiert und dargestellt (Kap. 7 und 9).
"Land unter!?" ist ganz sicher ein hilfreiches Buch für all diejenigen, die sich erstmalig mit dem Einsatz von Rock- und Popmusik im Religionsunterricht befassen. Es gibt auch den Lehrerinnen und Lehrern, die dies schon länger tun, vielfältig Gelegenheit, den eigenen Standpunkt sachdienlich zu reflektieren, ggf. zu revidieren oder zu bestätigen. Nahezu unentbehrlich der Praxisteil mit Songs, die die Umsetzung der vorgetragenen Positionen im Religionsunterricht ermöglichen. Vermutlich wird sich in jeder Lerngruppe ein Schüler finden, der die vorgestellten Songs mitbringen kann, so dass die / der Unterrichtende nicht einmal die CDs erwerben muss.
Genau hier liegt aber die Krux dieses Buches (wie übrigens aller religionspädagogischen Unterrichtsmaterialien, die zwischen Entwurf, Drucklegung und Umsetzung schon hoffnungslos dem Zeitgeist einer rasenden Jugendszene hinterher hinken): Interpreten wie Herbert Grönemeyer und Rio Reiser [längst gestorben] sind (zumindest zur Zeit der Entstehung der Rezension) in den Medien schon lange kein Thema mehr, Sabrina Setlur muss erst wieder einmal an frühere Erfolge anknüpfen; Das Auge Gottes hat im Radioalltag noch weniger "Airplay" als "Die Toten Hosen", die zumindest immer wieder bei Viva zu sehen sind. Bleibt die Religionslehrerin / der Religionslehrer folglich bei den aufgeführten Songs stehen, wird für viele Schüler die Verwendung "abgetakelter Interpreten und alter, ehemals erfolgreicher Songs" eben nicht zu dem angestrebten Aufbrechen der Sprachlosigkeit führen, sondern die / den Unterrichtende/n als "veraltet" entlarven. Dies gilt verschärft noch unter der Rücksicht, dass - abgesehen von der Hip-Hop-Szene - die meisten Schüler in ihrer Freizeit vorwiegend englischsprachige Titel konsumieren.
Dennoch leistet Everdings Auswahl gute Dienste: Sie gibt wertvolle methodische und didaktische Hilfestellungen, wie Songs im Religionsunterricht genutzt werden können. Auf die Suche nach den individuell passenden Songs muss sich aber jeder selber machen.
Details anzeigen