Heckel, Martin: Religionsunterricht in Brandenburg. Zur Regelung des Religionsunterrichts und des Faches Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde (LER). - Berlin: Duncker & Humblot. 1998. 112 S., DM 78,- (ISBN 3-428-09419-0)
Wohl kaum eine staatskirchenrechtliche Frage hat die Gemüter in den letzten Jahren so erhitzt wie die der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des LER-Unterrichts in Brandenburg. Der Kruzifix-Debatte vergleichbar, geht es erneut um die Rolle des Religiösen im staatlichen Raum. Und, darin liegt eine weitere Parallele, Schauplatz des Ganzen ist wiederum die Schule.
Der brandenburgische Gesetzgeber hat sich bekanntlich dafür entschieden, den Religionsunterricht nicht mehr als ordentliches Lehrfach in staatlicher Verantwortung anzubieten. Eine in der alten Bundesrepublik bis dahin kaum hinterfragte Selbstverständlichkeit ist damit auf einmal keine mehr. Vielleicht ist das ebenfalls ein Grund dafür, dass die Zahl der einschlägigen Publikationen und Stellungnahmen so zahlreich, ja fast unüberschaubar geworden ist.
Das Buch von Martin Heckel ragt aus dieser Flut der Veröffentlichungen heraus, bereits deshalb, weil es eine der wenigen bislang in Monografieform veröffentlichten Arbeiten zu dem Thema ist. Die Schrift basiert auf einem Rechtsgutachten, welches der Verfasser für evangelische Schüler und Eltern in ihrem Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die einschlägigen Bestimmungen des Brandenburgischen Schulgesetzes erstellt hat. Damit sind sowohl der Gang der Darstellung als auch ihr Inhalt vorgezeichnet. Der Staatsrechtler Heckel muss in seiner Gutachterfunktion zwangsläufig zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit der Brandenburger Regelung kommen. Die zu diesem Ergebnis führenden Gründe expliziert er nicht nur ausführlich in seinem Buch, sondern auch, und das ist ungewöhnlich, in einem umfangreichen Aufsatz in der Zeitschrift für Evangelisches Kirchenrecht (ZevKR 44 (1999), S. 147-225), den er bewusst als Abrundung der Monografie verstanden wissen will.
Die durch die Gutachterstellung des Autors vorgegebene Konzeption des Buches hat zur Folge, dass der Leser keine sachlich distanzierte Untersuchung sämtlicher einschlägiger Rechtsfragen erwarten darf, anders als der Titel zunächst vielleicht vermuten lässt. Heckel sieht und bewertet die Dinge, wie es aus juristischer Sicht in der Situation der Beschwerdeführer günstig erscheint. Der Band beabsichtigt demnach keine neutrale Betrachtung der Problemlage, die aufgrund des immer schon vorhandenen Vorverständnisses ohnehin äußerst schwierig ist, sondern ist als ein Plädoyer für den Religionsunterricht zu lesen. Das kann jedoch nur dann als ein Manko dieser Monografie angesehen werden, wenn man von ihr anderes erwartet als einen Parteivortrag. Diesen Anspruch, nämlich den einer strikten Objektivität, wird aber selbst der Autor kaum erheben. Das Buch reflektiert nicht die bisherige juristische Diskussion, sondern ist ein Beitrag zu derselben.
Heckel beginnt seine Ausführungen mit einem Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Religionsunterrichts in Brandenburg, um anschließend sehr fundierte und in der Gesamtdiskussion gewichtige Überlegungen zu der Frage anzustellen, ob Art. 7 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes ein subjektives Recht auf Religionsunterricht verleiht. Ein solches Grundrecht ist Voraussetzung dafür, dass die eingelegten Verfassungsbeschwerden überhaupt erfolgreich sein können. Wäre ein solches zu verneinen, so fehlte den Beschwerdeführern bereits die Beschwerdebefugnis und die Verfassungsbeschwerden wären als unzulässig abzuweisen. Die Frage ist bislang nicht durch das Bundesverfassungsgericht geklärt worden und unter Staatsrechtlern umstritten. Dementsprechend ausführlich begründet Heckel, warum dem Art. 7 Abs. 3 Satz 1 seiner Ansicht nach Grundrechtscharakter zukommt.
Leuchtet die Ausführlichkeit zu diesem Punkt unmittelbar ein, so kann dies nicht gleichermaßen für die Darstellung der Verletzung der Religionsfreiheit der Schüler und Eltern aus Art. 4 des Grundgesetzes durch die obligatorische Teilnahme am LER-Unterricht gelten. Heckel nimmt eine Verletzung dieses Grundrechtes an, wenn Schüler, die am Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach teilnehmen, auch den LER-Unterricht mit seinem "R"-Bestandteil als Pflichtunterricht besuchen müssen (vgl. dort S. 84). Die Frage, ob in diesem konkreten Fall Grundrechte tangiert sein können, ist in der Tat interessant und durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Ethikunterricht, der danach als Ersatzfach für nicht am Religionsunterricht teilnehmende Schüler eingerichtet werden darf, nicht direkt beantwortet worden, da darüber nicht zu entscheiden war. Sie stellt sich meines Erachtens aber in dieser Form in Brandenburg nicht.
Die gegenwärtige Form des LER-Unterrichts, dessen isolierte Zulässigkeit auch Heckel mehrfach zugesteht, ist nur daher zu erklären, dass das Land Brandenburg sich nicht verpflichtet fühlt, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzuführen. Welche unterrichtliche Situation das Land herbeiführen wird, wenn das Bundesverfassungsgericht aber eine solche Verpflichtung Brandenburgs feststellt, ist völlig offen. Es ist einhellige Auffassung, dass der in Brandenburg stattfindende freiwillige Religionsunterricht keiner im Sinne des Grundgesetzes ist. Das von Martin Heckel betrachtete Nebeneinander zweier den religiösen Bereich tangierender Pflichtfächer besteht zur Zeit also nicht. Ob es jemals bestehen wird, ist fraglich. Insofern befasst sich der Autor an dieser Stelle mit hypothetischen Rechtsfragen, deren konkrete Relevanz zweifelhaft ist.
Die Frage, die in der Auseinandersetzung vermutlich entscheidend sein wird und die auch verfassungsgeschichtlich außerordentlich spannend ist, wird erst ganz am Schluss des Bandes thematisiert. Erst dort wird auf wenigen Seiten die so umstrittene Anwendbarkeit des Art. 141 des Grundgesetzes auf Brandenburg behandelt, der das Land von der Pflicht zur Einführung von Religionsunterricht dispensieren könnte. Darin sehe ich insgesamt eine Fehlgewichtung.
Heckel lehnt die Anwendbarkeit der so genannten Bremer Klausel auf das ostdeutsche Bundesland letztlich ab. Im Ergebnis ist ihm darin zuzustimmen, wenn auch viele Punkte, die in seinem Buch als eindeutig erscheinen, dies keinesfalls sind. Dem an der Materie interessierten Leser sei deshalb zum vergleichenden Studium und besseren Verständnis der ganzen Diskussion auch die Lektüre eines Beitrages der juristischen Gegenauffassung empfohlen (ganz aktuell etwa Bodo Pieroth u. Thorsten Kingreen, Die Einschlägigkeit des Art. 141 GG für das Land Brandenburg, in: Wilfried Erbguth u.a. (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch, Gedächtnisschrift für Bernd Jeand’Heur, Berlin 1999, S. 265-279).
Trotz dieser Kritikpunkte und mancher durch die konkrete Verfahrensrolle des Autors bedingten Einseitigkeit ist das Buch insgesamt anspruchsvoll und instruktiv. Insbesondere die Darstellung der Wechselbeziehung zwischen Religionsausübungsfreiheit und der Garantie des Religionsunterrichts zeugt vom enormen Kenntnisreichtum des Autors, der sich mit einer bewundernswerten Leichtigkeit in dieser komplexen Materie mit all ihren verfassungsgeschichtlichen Bezügen bewegt. Ebenso eingängig geschrieben und für den Leser ein Gewinn ist Heckels Einordnung der Religionsunterrichtsgarantie in das System des deutschen Staatskirchenrechts.
Im Ganzen gesehen ist der Titel, dessen Aufnahme in die renommierte Reihe der Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen bereits für sich spricht, ein interessanter Beitrag zu einer der spannendsten verfassungsrechtlichen Diskussionen der jüngsten Zeit.
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