Blum, Matthias/ Hölscher, Andreas (Hg.): Die Kunst der Glaubensvermittlung. Perspektiven zeitgemäßer Religionspädagogik (Berliner Schriften Bd. 17). - Berlin: Morus Verlag. 2002. 278 S., EUR 24,90 (ISBN 3-87554-347-5)
Es gibt verschiedene Wege, in ein Studienfach oder eine Wissenschaftsdisziplin einzuführen. Man kann zentrale Themen und Methoden, Geschichte und Entwicklung eines Faches systematisch darstellen. Man kann aber auch führende Vertreter des Faches bitten, den gegenwärtigen Diskussionsstand zusammenzufassen und in einer möglichst allgemein verständlichen Sprache darzustellen. Zu letzterem haben sich die FU Berlin und das Seminar für Lehrerfortbildung des Erzbistums Berlin entschlossen, als sie 1999/ 2000 eine Ringvorlesung zum Thema Verdunstung des Glaubens? Religiöse Bildung in der pluralen Kultur und Gesellschaft initiierten und dazu führende Vertreter der katholischen Religionspädagogik einluden. Wer mit den religionspädagogischen Diskussionen der letzten beiden Jahrzehnten vertraut ist, wird in der Dokumentation der Vorlesungsreihe wenig Neues entdecken. Wer sich hingegen einen Überblick über die gegenwärtige katholische Religionspädagogik verschaffen will, dem verspricht der Band eine gewinnbringende Lektüre. Hier präsentiert sich die deutsche Religionspädagogik mit ihren Stärken, aber auch mit ihren Schwächen. Von beidem ist zu reden.
Der Weg durch die Religionspädagogik beginnt mit der Wahrnehmung und Deutung lebensweltlicher Religiosität. Religion ist heute diffus geworden, so die These des Kölner Dogmatikers Hans-Joachim Höhn. Die Postmoderne ist nicht religionslos. Wohl aber verliert Religion ihre inhaltliche und soziale Bestimmtheit. Religiöse oder religionsäquivalente Phänomene lassen sich in vielen Bereichen der Gesellschaft finden - vom Sport über Kunst und Kultur bis zur Warenästhetik und Werbung. Religion ist allgegenwärtig und deshalb nirgends konkret zu verorten. Diese religionsphänomenologische These wird vom Münsteraner Sozialethiker Karl Gabriel religionssoziologisch gestützt: Die Diffusion von Religion ist wesentlich eine Folge ihrer Pluralisierung und Individualisierung. Beide Autoren sehen im (post-) modernen Umgang mit Religion nicht nur eine Gefahr für Christentum und Kirche, sondern auch eine Chance, wenn die Kirche, wie Gabriel empfiehlt, die Rolle einer "freiheitsbewahrenden Distanzmacht" zum total werdenden Markt und seinen Zwängen einnimmt. Dieser Impuls wird leider von den im engeren Sinne religionspädagogischen Beiträgen kaum aufgenommen. Nur Norbert Mette macht hier eine Ausnahme. Er versucht, die Einsichten der "politischen Theologie" von Johann-Baptist Metz und Helmut Peukert religionspädagogisch fruchtbar zu machen.
Die anderen Beiträge beleuchten vor allem die traditionellen Orte religiöser Bildung, nämlich Schule, Gemeinde und Erwachsenenbildung. Werner Simon und Harald Schwillius erläutern Konzeption und Stellung des Religionsunterrichts in der Schule. Beide plädieren auch in Auseinandersetzung mit dem Fach LER in Brandenburg für einen konfessionellen Religionsunterricht, der Standortgebundenheit mit Offenheit gegenüber anderen Konfessionen und Religionen verbindet. Ein reichlich idealistisches Bild von Gemeindepädagogik zeichnet die Osnabrücker Pastoraltheologin Martina Blasberg-Kuhnke. Es gehört schon eine gewisse Erfahrungsresistenz dazu, die Gemeinde als primären Lernort des Glaubens zu deklarieren. Die freikirchlich inspirierte Gemeindetheologie übersieht geflissentlich, dass nur eine kleine Minderheit der Christinnen und Christen sich gemeindlich engagiert, dass es in der katholischen Kirche immer auch andere Vergemeinschaftungsformen gegeben hat und gibt und dass der religiöse Monopolanspruch der Gemeinde in der Terminologie von Ernst Troeltsch eher zum Sozialtypus "Sekte" passt. Von diesen Engführungen ist der Beitrag von Rudolf Englert frei. Er hält ein überzeugendes Plädoyer für eine kirchliche Erwachsenenbildung, die den christlichen Glauben über den Kreis der Gottesdienstgemeinde hinaus kommunikabel macht und zur Fermentierung der Gesellschaft mit christlichen Inspirationen beiträgt. Dass dies auch angesichts der offenkundigen Krise vieler kirchlicher Einrichtungen der Erwachsenenbildung noch möglich ist, zeigte jüngst die Diskussion von Jürgen Habermas und Kardinal Ratzinger in der Katholischen Akademie München. Sie hätte in einer Gemeinde wohl kaum stattgefunden.
Höchst anregend ist der abschließende Beitrag von Klaus Mertes SJ, dem Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin. Er versteht Schulpastoral bewusst nicht als kirchliche Sozialarbeit an Lehrern und Schülern, sondern skizziert ein Konzept, das Schülerinnen und Schülern im Raum von Schule religiöse Erfahrungen eröffnen will. Seine praxisnahen Überlegungen zur Schulpastoral gehen damit über den Diskussionsrahmen des Bandes hinaus und verweisen auf neuere Überlegungen zu einem "performativen" oder "mystagogischen Religionsunterricht" (vgl. rhs 1/2002 und INFO 4/2003), der nicht nur an religiöse Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen, sondern ihnen auch neue Erfahrungen innerhalb und außerhalb von Schule ermöglichen will. Solch neue Konzepte einer "zeitgemäßen Religionspädagogik" - so der Untertitel - sucht man im dem Dokumentationsband jedoch ebenso vergeblich wie Bezüge zur gegenwärtigen Schulreformdebatte. Kritikwürdig ist auch das vergleichsweise harmlose Bild von Religion in der Postmoderne, das Höhn und Gabriel zeichnen. Spätestens der 11. September 2001 hat uns den offenkundig engen Zusammenhang von Religion und Gewalt wieder bewusst gemacht. Und auch wer Mel Gibsons Deutung der Passion Jesu als Blutorgie ablehnt, wird nicht leugnen können, dass im Zentrum des christlichen Glaubens ein tödlicher Gewaltakt steht. Religion ist keine harmlose Freizeitbeschäftigung. Hier geht es im Wortsinn um Leben und Tod. Eine Religionspädagogik, die "zeitgemäß" sein will, darf den Zusammenhang von Religion und Gewalt nicht ausblenden.
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