Schwaiger, Georg: Päpste und Papsttum im 20. Jahrhundert. Von Leo XII. zu Johannes Paul II. - München: Verlag C.H. Beck. 1999. 544 S. m. 9 Sw-Abb., DM 58.00 (ISBN 3-406-44829-5)
Nach den teils heftigen Diskussionen um die Seligsprechung zweier Päpste aus den letzten beiden Jahrhunderten am 3.September 2000 greift man mit besonderem Interesse nach einem Buch, das die Päpste aus eben diesen Jahrhunderten zum Thema hat. "Papsttum und Päpste im 20.Jahrhundert" heißt das im angesehenen Münchner Verlag C.H.Beck erschienene Werk, Georg Schwaiger der Autor. Er ist Professor der Kirchengeschichte und einer der besten Kenner der Papstgeschichte der Neuzeit. Geht diese Geschichte so langsam zu Ende? Behält die Prophetie des Pseudo-Malachias aus dem 16. Jahrhundert recht, nach der Johannes Paul II. der vorletzte Papst ist? Oder wird das Papsttum, wie immer wieder von "Historikern" spekuliert - "in Belanglosigkeit versinken"? Nichts davon scheint wahr. Auch einem altersgebeugten Papst gelingt es in diesem Heiligen Jahr, zwei Millionen Jugendliche an seinem "Thron" zu versammeln und ihnen und der Welt dar zu tun , dass weder der Papst noch das Papsttum tot sind.
Fesselnd und dies bestätigend sind die einleitenden Urteile Schwaigers über das Papsttum in der Geschichte insgesamt. "Auch sehen wir keinerlei Merkmal, welches anzeigte, dass das Ende ihrer langen Herrschaft sich nähere"- diesen Satz fand der Autor zum Beispiel bei Thomas Macaulay, einem gefeierten Vertreter der liberalen Geschichtsschreibung. Er schrieb ihn im Jahr 1840 in einer Abhandlung über Leopold von Rankes' "Römische Päpste" und bemerkte darin so ganz nebenbei: "Die stolzesten Königshäuser sind, im Vergleich mit der hohen Reihe der Päpste, nur von gestern."
In der ganzen Reihe der Petrusnachfolger gibt es laut Schwaiger "nur ganz wenige Frivole, Schwache - gelegentlich Harte schon häufiger". In dieser Reihe stünden römische Patrizier, dunkelhäutige Orientale und weltabgewandte Mönche, der germanische Edeling neben dem Einsiedler aus den Abruzzen, der kühle Aristokrat neben dem Bauern aus der Lombardei. Viele dieser Männer hätten Drangsale gelitten oder seien eines gewaltsamen Todes gestorben, also umgebracht worden. Schwaigers Respekt vor dieser "Dynastie" findet seinen Niederschlag in folgendem wundervollen Satz: "Und immer wieder strömen Menschen aus den entlegensten Gegenden der Welt nach Rom, zu den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus, zum Nachfolger des Apostels Petrus, Könige und Kaiser, Fürsten, schlichte, unbekannte Pilger und Besucher ohne Zahl, Gläubige, Kirchenfremde und Ungläubige. So ist es bis in unsere Tage".
Der Münchner Kirchenhistoriker hatte sich zur Aufgabe gestellt, die Reihe der Päpste in den vergangenen beiden Jahrhunderten besonders herauszuheben. Sie sahen sich konfrontiert mit ungeheuren sozialen Umwälzungen, mit den ideologischen Systemen des Kommunismus, des Faschismus und des Nationalsozialismus, mit den Katastrophen zweier Weltkriege, mit der Nord-Süd-Problematik und der Globalisierung. In den Schilderungen dieser neun Päpste paart sich nüchterne Sachkunde mit kritischer Sympathie. Der Autor vergisst dabei nie, die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe ihres Handeln heraus zu arbeiten. Die Porträts dieser Päpste tragen so viel zum Verständnis der Entwicklung der Katholischen Kirche insgesamt in diesem Zeitraum bei.
Weiteres Positives ist zu diesem Buch zu sagen: seine trotz aller Wissenschaftlichkeit verbliebene Lesbarkeit, die Möglichkeit zum Atemholen durch anekdotische Einfügungen des Autors, die reichhaltigen Quellenangaben als Anregung zum Weiterstudium; die Hinweise auf längerfristige Perspektiven, zum Beispiel in der Ökumene: nach Jahrhunderten der Verketzerung die starke Sehnsucht nach Einheit der Kirche; die Anerkennung des Reichtums anderer Religionsgemeinschaften; die tiefe Religiosität der östlichen Kirchen, die vor allem Johannes XXIII. besonders prägten; nicht Wiedervereinigung nur als "reuige Rückkehr der Irrenden" in den Schoß der Katholischen Kirche wie noch bei Pius IX., sondern wie bei Papst Johannes XXIII. das Bestreben, "möglichst alles zu vermeiden, was eine Annäherung und eine spätere Wiedervereinigung erschweren könnte".
Kritisches zu diesem Buch? Nur weniges. Ein Hinweis betrifft das Pontifikat des "lächelnden Papstes". Johannes Paul I. ist bekanntlich nach 33 Tagen seiner Amtszeit im September 1978 tot aufgefunden worden. Der Rezensent möchte nicht missverstanden werden als Unterstützer der Mordtheorie. Aber nach Schwaigers Darstellung sei dies eine "Legende, die einer ernsthaften Prüfung nicht standhält", so der Historiker. Sein "historisches Wissen" bezieht er leider ausschließlich von einem einzigen Kollegen, Guido Knopp. Zitiert wird eifrig dessen Werk "Die Macht der Päpste" (1997), dessen dort erzählte Kriminalgeschichte und dessen lapidares Urteil: "Nichts spricht für eine unnatürliche Todesursache". Ist schon die Benutzung eines "Drehbuchs" für eine Fernsehserie als Quelle zweifelhaft, so doch erst recht die Benutzung einer Sekundärquelle. Dem Rezensenten, der in dieser Zeit in Rom lebte, ist nicht bekannt, dass Guido Knopp während der Vorfälle dort Zeuge war. Er hätte sonst wohl schon einige Ungereimtheiten mitbekommen: dass der private Sekretär Lucianis, Diego Lorenzi, in der besagten Nacht nicht anwesend war, also sich eigenartigerweise außerhalb des Vatikans befand, obwohl er am gleichen Tage den bisherigen Arzt des Papstes aus Vittorio Venete telefonisch auf dessen Herzbeschwerden aufmerksam gemacht hatte; oder die völlig ungeklärte Rolle des damaligen Kardinalstaatssekretärs Villot, dessen Tod wenige Monate danach ebensowenig einleuchtende Erklärungen fand. Und vieles mehr, das einmal - möglichst nicht in Romanform - auch historisch aufgearbeitet werden sollte.
"Die Päpste sterben, der Papst nicht". Dieses Wort des Kardinalstaatssekretärs Domenico Tardini aus dem Jahr 1961 gilt natürlich immer noch. Und so geht es mit ihnen allen Anfeindungen zum Trotz auch im dritten Jahrtausend weiter. "Ohne Fehl und Tadel waren die Päpste nicht", schreibt Schwaiger in seinem Schlusswort, fährt aber, den Leser überzeugend, fort: "Aber keine nationale und übernationale Macht der Welt hat im 20. Jahrhundert so inständig für die Erhaltung und Wiedergewinnung des Friedens, für die Gerechtigkeit im politischen und sozialen Bereich sich eingesetzt wie die Päpste."
Details anzeigen