Zingrosch, Anne/Helene Tod - (K)ein Thema in Lehrplänen und Lehrbüchern für den Katholischen Religionsunterricht (Europäische Hochschulschriften; Reihe 11; Pädagogik; Bd. 805).- Frankfurt u.a.: Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften. 2000. 441 S., DM 98.00 (ISBN 3-631-35816-4)
Im Rahmen eines Seminars über Sterben und Tod in der säkularen Welt - es war vor gut zehn Jahren - besuchte der Rezensent zusammen mit seinem Seminar eine Reihe von Friedhöfen. Wir hatten uns die Aufgabe gestellt, die Grabsteine auf ihre Symbole und die Grabinschriften auf ihre Aussagekraft und -fülle, wie auch auf ihren Bekenntnischarakter hin zu untersuchen, angefangen von den ältesten Grabsteinen bis hin zu den jüngsten. Das Ergebnis unserer Untersuchung war auf allen Friedhöfen in etwa gleich: Bis zum Ende der 50er Jahre enthielten fast alle Grabsteine ein eindeutig christliches Symbol oder Bild; die allermeisten Grabinschriften bekannten sich in irgend einer Form zur christlichen Hoffnung auf die Auferstehung. Mit Beginn der 60er Jahre entfielen mehr und mehr die christlichen Symbole, die Grabsteine sagten so gut wie nichts mehr aus, die Worte "Tod", "sterben", "gestorben" waren nur noch äußerst selten zu finden, von einem irgendwie gearteten Bekenntnis war keine Rede mehr. Auf eine Kurzformel gebracht: Wir konstatierten eine allgemeine und zunehmende Sprachlosigkeit vor dem Phänomen des Todes. Bei den meisten meiner Seminarteilnehmer löste dieses Ergebnis Gott sei Dank noch Nachdenklichkeit aus. Heute denkt man darüber nicht einmal mehr nach.
Eine auffallend konkrete Parallele zum oben Gesagten finden wir in den derzeit gültigen bundesdeutschen Lehrplänen und den auf sie abgestimmten Lehrbüchern. Dass man diese Behauptung ohne Angst vor Widerspruch aufstellen kann, verdanken wir Anne Helene Zingrosch, die in ihrer, 1999 in Gießen angenommenen Dissertation dieses Thema aufwändig und mit Akribie behandelt. "Ziel und Zweck" ihrer Arbeit ist es "einen Beitrag zu leisten zur stärkeren Bewusstmachung der Problematik um den Tod im Rahmen des Religionsunterrichtes".
Bevor sie sich mit dem Religionsunterricht und seinen entsprechenden amtlichen Vorgaben befasst, beleuchtet sie das Thema "Tod" bzw. "Todesverständnis" von soziologischer (Kap. 1), psychologischer (Kap. 2) und systematisch-theologischer (Kap. 3) Sicht. Interessante Unterthemen dabei sind "profanisierter Tod", "tabuisierter Tod", "institutionalisierter Tod", "Tod in den Medien" und die "Bedeutung des Todes für Jugendliche", um nur einige zu nennen.
Von Einsicht und Mut zeugt ein Satz aus ihrer Einführung (S.15/16), der, gerade weil er aus der Feder einer Frau stammt, nicht unerwähnt bleiben soll: "Der Gebrauch der maskulinen Form 'Religionslehrer' und 'Schüler' geschah weder unreflektiert noch in der Absicht, weibliche Leser zu verletzen. Die neue Schreibweise 'ReligionslehrerInnen' oder 'SchülerInnen' widerstrebt der Ästhetik des Schriftbildes und würde die Arbeit ausweiten. Daher wurde stets die kürzere, raumsparende maskuline Form verwandt. Diese steht stellvertretend für beide Geschlechter." Insgesamt ist die Sprache der Autorin jedoch nicht nur raumsparend, sondern äußerst prägnant, unverblümt und offen, und dort, wo sie sich damit befasst, wie unsere Gesellschaft über den unumgänglichen Tod der Alten spricht, der Alten, die nichts mehr leisten (können) und die Gesellschaft nur Geld kosten, schwingen in ihren Formulierungen gewollte Schärfe und Verbitterung mit (S. 67/68). - Schon allein die ersten drei Kapitel machen das Buch mehr als lesenswert. Sie umfassen insgesamt 140 Seiten und sind als Einführung in die Problematik gedacht. Trotz ihrer Komprimierung sind sie bestens fundiert.
Die folgenden Kapitel behandeln das Thema "Tod" in den Lehrplänen (4) und in den Lehrbüchern (5). Dabei berücksichtigt sie nicht nur die amtlichen Lehrpläne der Länder, sondern auch die bischöflich-überdiözesanen Lehrpläne, wie Zielfelderplan und Grundlagenplan für den katholischen Religionsunterricht. Wenn die Schule, wie es der Beschluss Nr. 4 der Würzburger Synode fordert, "dem jungen Menschen zur Selbstwerdung verhelfen" und "der Religionsunterricht durch sein Fragen nach dem Sinn-Grund" dazu mit beitragen soll, dann darf - so die Forderung der Autorin - das Thema "Tod" im Religionsunterricht nicht verschwiegen werden. Unter dieser Voraussetzung ist das Untersuchungsergebnis der Lehrpläne, wenn auch von Land zu Land leicht abgestuft, mehr als niederschmetternd: Für die Lehrpläne der Grundschule und der Sekundarstufe I ist der Tod im Prinzip kein Thema. - Dass sich hinter diesem Fazit ein immenser Arbeitsaufwand für die Beschaffung, Durchsicht, Auswertung und tabellarische Darstellung des Materials verbirgt, sei am Rande vermerkt.
Abschließend ist die Behandlung des Themas "Tod" in den Lehrplänen nach den verschiedensten Gesichtspunkten wie Bundesländer, Altersstufen etc. übersichtlich und zum Teil tabellarisch aufgelistet. Für den eiligen Leser besonders erfreulich sind die Zwischenergebnisse bei längeren, und die Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels. Ihre Arbeit stützt sich auf ein umfangreiches Verzeichnis von Primär- (S. 413 bis 426) und Sekundärquellen (S. 427-441).
Das Buch ist nicht nur allen Religionslehrern dringend zu empfehlen, sondern auch den Schulbuchautoren und den für unsere Lehrpläne wie für die Auswahl der Schulbücher Verantwortlichen. Pfarrer, die sich mangels Kenntnisse nicht trauen, über den Tod zu predigen, können sich hier gründlich informieren.
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