Bergmann, Wolfgang: Abschied vom Gewissen. Die Seele in der digitalen Welt. - Asendorf: Mut - Verlag. 1999. 208 S., DM 29,80 (ISBN 3-89182-075-5)
Manchmal können Bücher gar nicht aktuell genug sein: Da setzt sich der amerikanische Präsident in diesen Tagen mit Experten zusammen, um über die Sicherheit des Internets nachzudenken, nachdem Hacker das weltweite Computernetz empfindlich in Unordnung gebracht haben. Und auch die Experten im Wiesbadener Bundeskriminalamt kommen auf einer Tagung vor wenigen Tagen zu einer ähnlichen Einsicht: Sabotage im Netz, so das BKA, sei nicht beherrschbar.
Was Politiker und Sicherheitsexperten beunruhigt, ruft auch andere auf den Plan. Der Psychologe und Publizist Wolfgang Bergmann gehört dazu. Er - keinesfalls ein Technikfeind und Computerhasser - nähert sich dem Phänomen des Internets aufgrund seiner Erfahrungen als Kindertherapeut. Umso mehr sollten seine Warnungen über die individuellen und sozialen Folgen des "Cyberspace" Gehör finden.
Seine These: Unsere wichtigsten geistig-disziplinierten Tugenden sind in der Überfülle der digitalen Welt sinnlos geworden. Die Disziplinierung der Sinne, das Begrenzen der Wünsche - dies alles geht in den eiligen Bewegungen der neuen Spiel- und Kommunikationswelten unter. "Alles ist möglich" ist der Traum der Computerwelt. Starre Grenzen von Zeit und Raum lösen sich auf, besonders in populären Computerspielen für Kinder und Jugendliche. Nicht ohne Grund, so Bergmann, spielen sie in einer Welt mythologischer und mystischer Phantasiegestalten. Das "entgrenzte Ich", urteilt der Psychologe, setzt dabei omnipotente "narzisstische Urgefühle" frei.
Wo aber werden Grenzen aufgezeigt? Wo bleibt das Gewissen, das Mitgefühl für die Gemeinschaft, die soziale Verantwortung, wenn vor dem Bildschirm nur das "leere Ich" (Bergmann) auf die Allmachtsphantasien des Virtuellen stößt?
Dieses - in die internationale Computersprache Englisch gewendete - Everything-goes führt Wolfgang Bergmann zu besorgten Folgefragen: Werden in den neuen Symbolwelten, die immer mehr gesellschaftliche Geltung beanspruchen, die Fundamente des autonomen Ich widerrufen?
Und was passiert, wenn in der "Ich-Grandiosität" von Computerspielen, der Allmachtsphantasien virtueller Bilder und entgrenzter Kontakte die letzten sozialen Bindungen vollends verloren gehen? Anders ausgedrückt: Was passiert, wenn - trotz aller Daten- und Informationsflut - die Welt auf ein globales Dorf von Internet-Deppen zusammenschrumpft?
Fragen, auf die Politiker zur Zeit noch überhaupt keine Antworten geben. Und auch die Wissenschaft schweigt beredt. Im Gegenteil: Die jüngste Ankündigung der Telekom, alle deutschen Schulen mit einem kostenlosen Internetanschluss zu versehen, mag unter (aus) - bildungspolitischen Gesichtspunkten in der Sache durchaus ihr Gutes haben.
Umso wichtiger wird in solchen Momenten aber ein Buch wie das von Wolfgang Bergmann werden und die Fragen, die der Autor aufgrund seiner Berufspraxis stellt.
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