Verweyen, Hansjürgen: Philosophie und Theologie. - Vom Mythos zum Logos zum Mythos. - Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2005. 400 S., - 74.90 (ISBN: 3-534-15616-1)
Der vor einem Jahr emeritierte Freiburger Fundamentaltheologe Hansjürgen Verweyen legt mit diesem Handbuch den ersten Band einer Geschichte des Verhältnisses von Philosophie und Theologie vor. Interessanterweise beginnt er nicht mit den Vorsokratikern, sondern eröffnet den historischen Teil seines Handbuches mit einem Blick auf Entmythologisierungs- und Entmagisierungsprozesse im alten Israel (26-38). Auch die Frage nach philosophischen Ansätzen im Neuen Testament würdigt er mit einem eigenen Kapitel (109-127). In beiden Fällen ignoriert er die neuere exegetische Literatur weitgehend und setzt stattdessen auf die Darlegung von Grundlinien.
Neben diesen Bezugnahmen auf den Logos biblischer Aussagen behandelt er in klassischer Weise die verschiedenen Epochen abendländischer Philosophie- und Theologiegeschichte von den Vorsokratikern bis zum 19. Jahrhundert. Schwerpunkt seiner Darlegungen ist neben "attischer Klassik" (55-99), Spätantike (128-172) und Scholastik (180-208) vor allem der deutsche Idealismus (316-360). Beschlossen wird der Band mit einem Ausblick auf Nietzsche, der in den Augen des Vf. paradigmatisch für den im Untertitel angedeuteten Rückfall in den Mythos steht. Ein ausführlicher, kritischer Blick auf die Entwicklung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie in den letzten 150 Jahren bleibt dem noch nicht erschienen zweiten Band vorbehalten.
Verweyen geht es bei seinem Werk nicht um eine enzyklopädische Zusammenschau des wechselvollen Verhältnisses von Philosophie und Theologie, sondern um seine historisch entfaltete systematische Durchdringung, die den eigenen Entwurf des Vf. im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Geschichte philosophischer Theologie erkennen lässt. Entsprechend beginnt Verweyen sein Handbuch nicht historisch, sondern mit einem systematischen Eingangskapitel, das Kriterien für die Umgrenzung und Durchführung seiner Untersuchungen festsetzen möchte (16-25).
Wie auch sonst in seinen Werken orientiert der Vf. seine Kriteriologie an einer mit Hilfe von Fichte herausgearbeiteten Elementarstruktur menschlichen Bewusstseins. Kerngedanke ist dabei die Behauptung, dass sich Bewusstsein "durch eine Differenz des Ich zu anderem bei gleichzeitigem Verlangen nach unbedingter Einheit" konstituiert (19). Die hier im Hintergrund stehenden Grundsätze der Wissenschaftslehre des frühen Fichte bilden wie schon in Verweyens fundamentaltheologischem Entwurf auch hier Ausgangs- und Ankerpunkt sowie Richtschnur aller seiner Überlegungen.
Verweyens Handbuch ist eine dicht und in einem Guss geschriebene, gut lesbare Darlegung der Geschichte des Verhältnisses von Philosophie und Theologie. Es besticht durch seinen geistesgeschichtlichen Durchblick und seine enorme Kraft, Zusammenhänge sichtbar zu machen. Es zieht interessante Entwicklungslinien, bietet Verknüpfungen und Querverweise, so dass philosophische Grundintuitionen auch über Epochengrenzen hinweg erkennbar bleiben. Darüber hinaus zeichnet es sich durch knappe, aber gelungene Einordnungen in politische und gesellschaftliche Entwicklungen und Konstellationen aus.
Für eine gerechte Würdigung des Buches und eine angemessene Verwendung ist es wichtig, dass es weder auf Vollständigkeit noch auf Neutralität abzielt. Vielmehr stellt es ein klares Bekenntnis für eine erstphilosophisch orientierte Glaubensverantwortung und eine aufs Eine und Ganze gehende Philosophie dar. Verweyen geht es darum, die Möglichkeit von schlechthin allgemeingültigen Aussagen zu sichern und so etwas wie eine erstphilosophische Orientierung aller hermeneutischen und theologischen Entwürfe zu leisten. Ohne eine solche Orientierung erscheint ihm "jede Rede über das Verhältnis von Philosophie und Theologie mit Geltungsanspruch für beide Disziplinen (als; Vf.) ... unverbindlich" (16).
Wer mit dieser Grundorientierung seines Denkens nicht einverstanden ist, wird bei der Lektüre des Handbuches immer wieder auf bestreitbare Bewertungen und Einordnungen stoßen. Auch wird ihm mitunter die sprachlich einheitliche Fassung von äußerst schillernden Philosophien aufstoßen und er wird die Wertschätzung von Unterschieden im Ähnlichen vermissen. Aber wer die Anstrengung des Begriffs nicht scheut und nicht nur schnell eine kurze verständliche Zusammenfassung zu Einzelthemen in einem Nachschlagewerk sucht, sondern tieferen Entwicklungslinien nachspüren und sich an einem klaren Standpunkt abarbeiten möchte, wird in diesem Buch einen interessanten Denkanstoß finden.
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