Zwickel, Wolfgang, Einführung in die biblische Landes- und Altertumskunde, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2003. 176 S. m. 11 SW.-Abb. und Karten, € 19.90 (ISBN 3-453-15084-8)
Das Studium der biblischen Landes- und Altertumskunde hat in der Exegese von Anfang an einen breiten Raum eingenommen. Dies ist nicht erst seit der Aufklärung der Fall. Die Erforschung von Land und Umwelt der biblischen Geschichten hat schon die ersten einflussreichen Exegeten der antiken Kirchengeschichte beschäftigt, selbst wenn sie im einzelnen auf so unterschiedliche Ergebnisse gekommen sind wie Origenes und Theodor von Mopsuestia. Der heutigen Industrie- und Dienstleistungs-Gesellschaft ist die vorwiegend agrarische Umwelt der Bibel allerdings so fremd geworden, dass das Alltagswissen kaum noch mehr die Grundlagenkenntnisse vermittelt, um die biblischen Texte zu verstehen. Wegen der zunehmenden Distanz zur biblischen Lebenswelt ist die biblische Realienkunde mittlerweile zu einem Forschungsgebiet geworden, das unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen mit ihrer jeweiligen Methodik einbezieht: Archäologie, Alte Geschichte, die Orientalistik von der Ägyptologie bis zur Assyrologie, Papyrologie und Altphilologie u. a. m. In dieses weitgefächerte Forschungsgebiet gibt das vorliegende Buch eine gut verstehbare Einführung, die bisweilen sogar spannend zu lesen ist. Dabei lässt sich die Einführung dank ihres klaren Aufbaus auch als ein nützliches Handbuch verwenden. Die gut gegliederte umfangreiche Bibliographie im Anhang gibt noch zusätzlich weiterführende Literaturhinweise.
Im 2. Kapitel definiert der Verfasser seinen Forschungsgegenstand. Bereits die geographische Eingrenzung des Landes muss rechtfertigen, auf welche Grundlage sie sich stützt. Diese Frage hat Konsequenzen bis zu aktuellen politischen Fragen. Wolfgang Zwickel grenzt seinen Forschungsgegenstand einem heute verbreiteten Verständnis entsprechend auf das Gebiet von "Dan bis Beerscheba" ein (nach Ri 20,1; 1 Sam 3,20; 2 Sam 3,10 u.ö., vgl. SS. 14-15). Damit lässt er das gesamte übrige Gebiet des östlichen Mittelmeerraums außer acht, das später für die neutestamentliche Perspektive relevant wird, und bezieht sich mit seinem Buch vorwiegend auf den alttestamentlichen Teil biblischer Landeskunde, der allerdings auch für das Neue Testament die entscheidende Grundlage bleibt.
Nach einem Überblick (2. Kapitel) über die Forschungsgeschichte biblischer Archäologie, die schon früh in der Spätantike mit den ersten Pilgerreisen einsetzt, beschäftigt sich Zwickel im 3. Kapitel mit einer zweiten notwendigen Vorklärung biblischer Altertums- und Landeskunde: der Frage nach den Widersprüchen der biblischen Berichte zu den Ergebnissen moderner historischer Forschung (3. Kapitel). Eine Antwort auf dieses Problem zwingt heute dazu, eine Vielfalt an Methoden in Exegese und Geschichtswissenschaften miteinander in Einklang zu bringen. Der Verfasser schlägt in seinem Buch einen Weg ein, auf dem er beiden Disziplinen gerecht zu werden versucht. Seine Vorgehensweise veranschaulicht er an ausgewählten Problemfällen (47-51), z. B. an der klassischen Frage nach der Landnahme. Nach Zwickels Darstellung bleibt die Archäologie aber auch in diesen Problemfällen eine Hilfe, die biblischen Texte besser zu verstehen.
Nach diesen Vorklärungen widmet sich das Buch in den weiteren Kapiteln überblickartig dem Grundwissen biblischer Realienkunde: Chronologie (52-69), Landeskunde (70-107), archäologische Methoden (108-127), historische Topographie (128-136), Sitten und Gebräuche (137-139) und Kulturgeschichte (140-152).
Auf eine Grenze seines Buches weist der Verfasser selber gleich im Vorwort hin. Die archäologischen und historischen Ergebnisse für die Zeit des Neuen Testaments sind darin nur wenig berücksichtigt. Zwickel begründet dies damit, dass dieses Gebiet auch in neuerer deutschsprachiger Literatur nicht gründlich behandelt wird. Dies ist zum Teil richtig, wenn auch einige durchaus interessante Arbeiten zum Neuen Testament vorliegen (Rainer Riesner zu Jesus, Paulus und zum Johannesevangelium, Roland Deines zu einer Teilfrage wie den Reinigungsgefäßen in Joh 2,6, Jürgen Zangenberg zu dem frühen Christentum in Samarien u. a.). Zwickel selbst verweist auf S. 170 zumindest auf Michael Tilly (So lebten Jesu Zeitgenossen) und schon vorher auf das mehrbändige Werk von Gustav Dalman (137-138; 168).
Zwickel hat damit aber auch auf ein tatsächliches Problem aktueller neutestamentlicher Exegese hingewiesen. In ihr hat die Literarkritik in den letzten Jahrzehnten zu komplexen Theorien über die Entstehungsgeschichten neutestamentlicher Texte geführt, die ihrem Verständnis oft nicht mehr viel weiterhelfen. Die Möglichkeit, das Neue Testament von den Ergebnissen politischer, religions- und kulturgeschichtlicher Forschungen her zu verstehen, ist dabei deutlich in den Hintergrund des Interesses getreten. Dabei würden gerade diese den lebendigen Hintergrund vieler neutestamentlicher Texte neu erschließen. Sie würden auch den schulischen Unterricht zum Neuen Testament wieder neu interessant machen. Deshalb wäre es sehr wünschenswert, dass Zwickels Buch bald ein Pendant erhält, das die biblische Landeskunde aus neutestamentlicher Perspektive ähnlich gründlich und umfassend darstellt, wie es seines aus vorwiegend alttestamentlicher Perspektive bereits tut.
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